Das droht Deutschland unter Grün-Rot-Rot

Datum des Artikels 16.06.2021
MittelstandsMagazin

Die grüne Kanzlerkandidaten Annalena Baerbock will nach der Bundestagswahl auch mit der Linkspartei sprechen. Eine grün-rot-rote Regierung schließt sie nicht aus. Was würde dies für den Wirtschaftsstandort Deutschland bedeuten?

Arbeitsmarktpolitik

Sollten Grüne, SPD und Linkspartei nach der Bundestagswahl am 26. September die Regierung stellen, dürfte der Mindestlohn sofort steigen. Diese Forderung findet sich in allen drei Programmen beziehungsweise Programmentwürfen. Die Grünen wollen den Mindestlohn auf 12 Euro anheben, ebenso die SPD. Die Linke fordert 13 Euro. Die SPD will die „Spielräume der Mindestlohnkommission für künftige Erhöhungen ausweiten“.
Außerdem wollen alle drei Parteien die sachgrundlose Befristung von Beschäftigungsverhältnissen abschaffen. Die SPD will zudem „die vom Gesetz akzeptierten Gründe für eine Befristung kritisch überprüfen“. Ähnlich steht es im Entwurf der Linken. Grüne und Linke wollen Hartz IV inklusive Sanktionen abschaffen. Bei den Grünen soll der Regelsatz um 50 Euro steigen, die Linke will 1200 Euro für jeden Arbeitslosen. Die SPD will Hartz IV zu einem „Bürgergeld“ entwickeln und das Schonvermögen erhöhen. Werkverträge und Subunternehmen sehen alle drei Parteien kritisch. Die Linke will Zeitarbeit verbieten. Die SPD will eine deutliche Einschränkung, zudem eine Reform der Betriebsverfassung, mit der die Mitbestimmungsrechte von Mitarbeitern und Gewerkschaften ausgeweitet werden sollen.
Die Linke will ferner Minijobs abschaffen und unfreiwillige Teilzeit durch einen Rechtsanspruch auf mindestens 22 Wochenstunden beenden. Beschäftigte sollen ein Recht auf Aufstockung auf Vollzeit bekommen, bevor weitere (Teilzeit-)Stellen im Betrieb besetzt werden. Die Grünen wollen Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen überführen. Für Studenten, Schüler und Rentner sollen sie aber erhalten bleiben.

Die Linke fordert eine „kurze Vollzeit“ mit 28 bis 35 Stunden bei vollem Lohn- und notwendigem Personalausgleich. Von solchen Forderungen nehmen Grüne und SPD Abstand. Die Grünen wollen „starre Vollzeit zu einer Wahlarbeitszeit zwischen 30 und 40 Stunden bei flexiblem Arbeitszeitkorridor umgestalten“. Allerdings sehen auch die Grünen in generell kürzeren Arbeitszeiten eine Möglichkeit, „Arbeit gerechter zu verteilen, Arbeitsplätze zu sichern und Arbeitnehmer*innen zu entlasten“. Die SPD schließt hingegen eine Erhöhung der täglichen Arbeitszeit aus.

Renten- und Sozialpolitik

Die Linke will das Rentenniveau auf 53 Prozent anheben, SPD und Grüne wollen es bei 48 Prozent stabilisieren. Die Grünen wollen dafür notfalls auch auf Steuerzuschüsse zurückgreifen. Alle drei Parteien wollen, in unterschiedlichem Umfang, die Zahl der Beitragszahler erhöhen. Alle drei Parteien wollen alle Erwerbstätigen in die gesetzliche Rente holen. Die Grünen wollen in einem ersten Schritt nicht abgesicherte Selbstständige und Abgeordnete in die gesetzliche Rente holen. Grüne und Linke wollen künftig auch Beiträge auf Kapitaleinkommen, also auf Zinsen, auf Dividenden aus Aktien oder auf Gewinnausschüttungen von Unternehmen, zur Finanzierung der Rente erheben.
Alle drei Parteien kritisieren in ihren Programmen die Riesterrente. Die SPD will andere Angebote der privaten Altersvorsorge stärken. Die Linke will Riester auf freiwilliger Basis in die gesetzliche Rente überführen. Die staatlichen Subventionen für Riester von knapp vier Milliarden Euro will die Linke abschaffen und in die gesetzliche Rente investieren. Die Grünen wollen Riester durch einen öffentlich verwalteten Bürgerfonds ersetzen. In diesen Fonds sollen alle einzahlen, die nicht aktiv widersprechen. Der Fonds soll politisch unabhängig verwaltet werden und nachhaltig investieren. Die Grünen wollen alle Arbeitgeber verpflichten, eine betriebliche Altersvorsorge anzubieten. Der Bürgerfonds soll dafür als Standard dienen. Auch SPD und Linke wollen die betriebliche Altersvorsorge ausbauen, sie jedoch nicht verpflichtend machen. Die Linke fordert, dass die betriebliche Altersvorsorge „überwiegend von den Arbeitgeber*innen finanziert wird (als betriebliche Sozialleistung)“.

Die Linke fordert weitere Einschränkungen für Arbeitgeber: „Wir lehnen es ab, die Arbeitgeber*innen im Rahmen kapitalgedeckter betrieblicher Altersvorsorge und sogenannter Zielrenten aus der Haftung zu entlassen. Das gilt auch für den Verzicht auf Rentengarantien zugunsten einer reinen Beitragszusage.“ Außerdem will die Linke „die Rentenprivatisierungen zurücknehmen und die Mittel der Spekulation entziehen“.

Energie- und Umweltpolitik

Die SPD will eine gesetzliche Regelung schaffen, damit die neue CO2-Bepreisung fürs Heizen alleine vom Vermieter getragen wird. Bislang wird er vom Mieter getragen. Die Grünen streben ein Drittelmodell an, bei demVermieter, Mieter und Staat zu gleichen Teilen an den Kosten beteiligt werden. Für ärmere Menschen soll es höhere Zuschüsse zum Wohngeld geben, damit auch diese in klimaneutralen Wohnungen leben können. Für Eigenheimbesitzer soll es „Steuervergünstigungen und zielgerichtete Förderprogramme“ geben. 

Für die Linke wird „der Klimawandel nicht von den Menschen gemacht, sondern von den Reichen“. Die Linke will deswegen „die Energiekonzerne entmachten und eine Energiewende in Bürgerhand, in öffentlichem oder genossenschaftlichem Eigentum“. Strom- und Wärmenetze müssten „in die öffentliche Hand überführt und demokratisch kontrolliert werden“, fordert die Linke. Außerdem soll Deutschland nach ihrem Willen bis 2035 klimaneutral sein. Die Grünen streben bis 2023 einen CO2-Preis von 60 Euro pro Tonne an. Sie wollen bis 2030 70 Prozent COeinsparen, die SPD 65 Prozent. Alle drei Forderungen gehen weit über das europäische Ziel, bis 2030 55 Prozent COeinzusparen, hinaus.

Wenig überraschend, sind die klimapolitischen Forderungen im Wahlprogramm der Grünen die weitreichendsten: „Mit einer deutlichen Reduzierung von Emissionszertifikaten und der Löschung überschüssiger Zertifikate vom Markt erreichen wir einen CO2-Preis im Bereich Strom und Industrie, der dafür sorgt, dass erneuerbare Energie statt Kohlestrom zu Einsatz kommt.“ Sollte das auf europäischer Ebene nicht schnell genug gelingen, setzen die Grünen auf einen nationalen CO2-Mindestpreis im ETS für Industrie und Strom.

Die Grünen wollen eine CO2-Bremse für alle Gesetze. Für Genehmigungsprozesse soll eine Klimaverträglichkeitsprüfung eingeführt werden. Klimaschutz soll zur Querschnittsaufgabe werden, indem Gesetze an ihrer Vereinbarkeit mit den nationalen Klimaschutzzielen gemessen werden und ihre Klimawirkung geprüft wird. Geht es
nach den Grünen, soll die EU die Einnahmen aus dem CO2-Grenzausgleich erhalten. Auch die Besteuerung von Plastik und Digitalkonzernen und möglichst auch der Finanztransaktionen soll in den EU-Haushalt fließen.

Finanz- und Steuerpolitik

Die Grünen wollen, dass sich die öffentliche Hand vollständig aus Investitionen in fossile Energien zurückzieht. „Öffentlich-rechtliche Banken und Pensionsfonds müssen eine Vorreiterrolle bei der grünen Finanzwende und dem Divestment einnehmen. Klimarisiken sollen offengelegt und bei Banken und Versicherungen mit Eigenkapital unterlegt werden sowie bei Ratings berücksichtigt werden“, heißt es im Programmentwurf der Partei. Divestment bezieht sich hier auf Unternehmen im Bereich der Gewinnung, Verarbeitung oder Vertrieb fossiler Energieträger. Ziel von Divestments ist es, diesen Unternehmen Kapital zu entziehen.

Die Linke will eine neue Wohnungswirtschaftsgesetzgebung. Ziel ist es, „das Geschäftsmodell von Immobilienfonds beenden, die Mieten kassieren, Renditen ausschütten, kaum investieren und nur auf die Steigerung der Immobilienpreise setzen“. Außerdem will die Linke eine Finanztransaktionssteuer von 0,1 Prozent auf jede Transaktion am Geldmarkt. „Die eingenommenen Gelder sollen einerseits für eine nachhaltige Entwicklung in den Ländern des Südens und für globalen Klimaschutz und andererseits für den sozialökologischen Umbau unserer Industriegesellschaft genutzt werden“, heißt es im Programm der Linken. Auch die SPD will die Finanztransaktionssteuer einführen. Außerdem will die SPD Digitalunternehmen stärker besteuern. Ferner will die SPD mehr nachhaltige Staatsanleihen auflegen und auf weitere als nachhaltig zertifizierte Finanzprodukte hinwirken. Die Linke will die Finanzmärkte entschleunigen und im Volumen schrumpfen. „Schattenbanken, außerbilanzielle Zweckgesellschaften, Derivate, Hedgefonds und Private-Equity-Gesellschaften müssen aufgelöst oder streng reguliert werden“, schreibt die Partei. Dazu soll die Kontrolle der Banken verstärkt durch Gewerkschaften und die öffentliche Hand erfolgen. 

Alle drei Parteien wollen die alte Vermögensteuer wieder einführen. SPD und Grüne wollen einen zusätzlichen Steuersatz von einem Prozent jährlich auf Vermögen oberhalb von zwei Millionen Euro. Die Linken legen kräftig drauf: Vermögen von 50 Millionen Euro werden dann mit fünf Prozent zusätzlich besteuert. Sowohl SPD als auch Grüne wollen den Spitzensteuersatz von derzeit 42 auf 45 Prozent anheben. Die SPD findet es ungerecht, dass die Erbschaftssteuer vermögende Unternehmens-Erben bevorzugt. „Mit einer effektiven Mindestbesteuerung werden wir die Überprivilegierung großer Betriebsvermögen abschaffen“, schreibt die Partei. Auch für vermögenshaltende Familienstiftungen will die SPD eine Mindestbesteuerung einführen. Im Grünen-Programm taucht die Erbschaftssteuer nicht auf. Es wird jedoch angedeutet, diese im Falle des zu erwartenden Scheiterns der verfassungswidrigen Vermögenssteuer neu anzupacken. Die Linke schreibt lediglich, sie wolle Erben „stärker besteuern“.

Wirtschafts- und Haushaltspolitik

Die Grünen wollen für Ausgaben des Bundes eine Klimaquote. In einem ersten Schritt sollen Subventionen für Diesel und schwere Dienstwagen abgeschafft werden. Kürzlich forderte Annalena Baerbock, dass der Preis für einen Liter Benzin um 16 Cent steigen soll. Dieses Geld soll in Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit investiert werden. Außerdem wollen die Grünen ein „Gender-Budgeting“ einführen. Damit sollen Gleichstellungsaspekte bei finanz- und haushaltpolitischen Entscheidungen berücksichtigt werden. Die Schuldenbremse wollen alle drei Parteien abschaffen oder zumindest aufweichen. Die SPD will außerdem, dass der Bund die Schulden besonders verschuldeter Kommunen übernimmt.

Auch setzen sich alle drei Parteien für eine striktere Frauenquote ein. „Wir wollen, dass an der Spitze von Unternehmen und in den Führungsebenen darunter genauso viele Frauen wie Männer vertreten sind. Dies werden wir auf alle börsennotierten oder mitbestimmten Unternehmen ausweiten und wirksame Sanktionen einführen für alle, die sich nicht daran halten“, schreibt die SPD. Die Linke will eine 50-prozentige Frauenquote auf jeder Karrierestufe durchsetzen. Die Grünen wollen einen Frauenanteil von 40 Prozent auf allen Ebenen.

Europa

Alle drei Parteien wollen den kürzlich geschaffenen EU-Wiederaufbaufonds dauerhaft erhalten und ausbauen. Wie weiter oben beleuchtet, sollen die Gelder dafür aus der CO2-Grenzabgabe, einer noch zu schaffenden Steuer für Digitalunternehmen sowie einer Finanztransaktionssteuer kommen. Die SPD will die Förderung der Landwirtschaft reformieren: „Weg von der Flächenförderung, hin zu einer Förderung, die an Kriterien für Klima, Natur- und Umweltschutz und Tierwohl gebunden ist.“ Die SPD will für alle zukünftigen europäischen Handels-, Wirtschaftspartnerschafts- und Investitionsabkommen verbindliche soziale Standards sowie menschenrechtliche und ökologische Standards und auch konkrete Beschwerde- und Sanktionsmechanismen vereinbaren.

Die Grünen wollen der EU „ein Instrument für eine dauerhafte, eigene Fiskalpolitik“ geben. Im Programmentwurf heißt es: „Wir wollen Ungleichgewichte gemeinsam in Überschuss- und Defizitländern reduzieren sowie wirtschafts- und finanzpolitische Entscheidungen als Gemeinschaft treffen.“ Dies dürfte in der Praxis bedeuten, dass reichere Länder in Zukunft deutlich mehr an die EU zahlen und die Transfers in ärmere Länder ebenso deutlich zunehmen. 

Alle drei Parteien befürworten ein nationales Lieferkettengesetz und fordern außerdem ein entsprechendes Gesetz für die gesamte EU. Die SPD will „Arbeits- und Gesundheitsschutz als Kernarbeitsnorm der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO)“ aufwerten und das Zusatzprotokoll zum Sozialpakt der Vereinten Nationen ratifizieren. Die Linke will ein Lieferkettengesetz, welches neben sozialen Aspekten auch „CO2-Bilanz in der gesamten Wertschöpfungskette“ einbezieht. So soll beispielsweise die Einfuhr von seltenen Rohstoffen aus Konfliktregionen beendet werden. Dafür will die Linke ein Zertifikat schaffen und Daten über den Ressourcenverbrauch für die gesamte Lebensdauer eines Produktes erheben. Unternehmen sollen verpflichtet werden, diese zu veröffentlichen. Die Grünen setzen sich ein für einen Importstopp auf EU-Ebene für Agrarprodukte, die im Zusammenhang mit illegaler Entwaldung und Menschenrechtsverletzungen wie Vertreibung stehen. Außerdem setzt sich die Partei für eine Kompensation gerodeter Wälder in Deutschland und weltweit ein. 

Bewertung

Ökonomen und Wirtschaftsverbände warnen angesichts der Wahlvorhaben vor einem Linksbündnis in Deutschland. Rainer Dulger, Präsident des Arbeitgeberverbands BDA, warf Grünen, SPD und Linken vor, ein „Feuerwerk neuer Belastungen und Regulierungen“ für die Wirtschaft zu planen. Er kritisierte vor allem die Ausweitung der Sozialbeiträge. Ohne Reformen drohe eine Überschreitung der Marke von 40 Prozent des Bruttolohns. Joachim Lang, Hauptgeschäftsführer des Industrieverbands BDI, warnte regelrecht vor den Grünen: „Die Grünen wollen eine andere Gesellschaft. Den Umbau sollen Wirtschaft und Gesellschaft teuer bezahlen.“ Für ein Wiederanlaufen der Wirtschaft nach der Pandemie benötige Deutschland eine deutlich wachstumsfreundlichere Politik. In der Mai-Umfrage zum Ökonomen-Barometer von„Euro am Sonntag“ , für das monatlich 600 Volkswirte befragt werden, sahen zwei Drittel der Teilnehmer das grüne Wahlprogramm als ökonomisches Risiko an. „Zunehmende Staatsverschuldung, höhere Steuern, mehr Marktregulierung, Aufweichung der Eurostabilitätskriterien sowie eine ungebremste moralische Bevormundung des Einzelnen werden in keinem Lehrbuch als positive Standortfaktoren geführt und haben eindeutig die empirische Evidenz gegen sich“, warnte beispielsweise Prof. em. Dr. Juergen Donges, vorm. Lehrstuhl f. Wirtschaftspolitik an der Uni Köln. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat unterdessen ausgerechnet, was die Pläne der drei Parteien für verschiedene Einkommen bedeuten würden. Gutverdiener mit einem Einkommen von 150.000 Euro brutto pro Jahr müssten zwischen rund 1000 Euro (Grüne), 2000 Euro (SPD) und 7700 Euro (Linke) mehr im Jahr zahlen.

Anmerkung
Die MIT nutzt das generische Maskulinum, welches grammatikalisch richtig ist und sowohl Männer als auch Frauen anspricht (siehe auch S. 33). In den Programmen von Grünen, Linken und SPD wird aber gegendert (beispielsweise Kund*innen statt Kunden). Wenn wir aus den Programmen zitieren, übernehmen wird die gegenderte Version. Damit unterstützen wir nicht das Gendern, sondern halten uns an die journalistischen Regeln beim Zitieren.


Micha Knodt

Redakteur