Der Traum vom grünen Fliegen

Datum des Artikels 19.08.2021
MittelstandsMagazin

Kaum eine Branche wurde so hart von der Pandemie getroffen wie der Luftverkehr. Dabei hat die Branche noch eine andere große Baustelle. Sie muss klimafreundlicher werden. Zwei Experten erklären, wie die Luftfahrt wieder abhebt und dabei dennoch CO2 sparen kann.

Im Jahr 2019 flogen weltweit mehr als 4,5 Milliarden Menschen – so viele wie nie zuvor. Ein wesentlicher Grund für die stetig steigenden Passagierzahlen ist eine neue globale Mittelschicht. Vor allem in bevölkerungsreichen Ländern wie Brasilien, Indien und China haben immer mehr Menschen die Möglichkeit zu fliegen. Dann kam die Pandemie. „Durch Corona gab es bei den Passagierzahlen einen tiefen Einbruch. In einigen Corona-Monaten haben wir nur acht bis zehn Prozent der Passagierzahlen des Vorjahres erreicht“, berichtet Matthias von Randow. Er ist Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL). Durch die Lockerungen und den Impffortschritt habe sich die Situation seit Juni dieses Jahres etwas entspannt. „Damit könnten im Jahresdurchschnitt 2021 rund ein Drittel der Passagierzahlen von 2019 erreicht werden. Wir sind also noch weit vom Vorkrisenniveau entfernt“, sagt von Randow.

Als größte deutsche Fluggesellschaft wurde auch die Lufthansa von der Krise hart getroffen. „Wir sind für die Überbrückungshilfen des Bundes sehr dankbar. Sie haben der Lufthansa durch die Krise geholfen und uns während der Pandemie stabilisiert“, sagt Kay Lindemann, Leiter für Konzernpolitik der Lufthansa. Sowohl Lindemann als auch von Randow betonen aber, dass die Lufthansa kein Geld vom Staat geschenkt bekommen habe. „Wir haben Kredite und stille Einlagen erhalten. Von den in Deutschland, Österreich, Belgien und der Schweiz bereitgestellten neun Milliarden Euro wurden bisher weniger als die Hälfte in Anspruch genommen und auch schon Teile wieder zurückgezahlt“, so Lindemann. Da für die Hilfen des deutschen Staates eine ansteigende Verzinsung vorgesehen ist, hat Lufthansa auch ein eigenes Interesse an einer raschen Rückzahlung.

Restrukturierung der Lufthansa

Außerdem musste sich die Lufthansa in vielen Bereichen neu aufstellen. „Der Geschäftsreiseverkehr, der für die Lufthansa eine große Rolle spielt, ist aufgrund immer noch geltender Beschränkungen stark eingeschränkt“, berichtet Lindemann. Der Konzern stehe vor der Aufgabe, das Verhältnis zwischen Tourismus und Geschäftsreisenden neu zu vermessen. „Selbst wenn die Pandemie endgültig vorbei ist, wird das touristische Segment stärker wachsen. Deswegen wird sich Lufthansa hier künftig stärker positionieren, was bereits vor der Krise entschieden war.“ Der Konzern stelle sich mit einem umfassenden Restrukturierungsprogramm neu auf. Das bedeute auch schmerzhafte Einschnitte. Vor der Krise hatte die Lufthansa Group mehr als 130.000 Mitarbeiter. „Unser Ziel ist es, insgesamt 100.000 Beschäftigte an Bord zu halten. Auch die Zahl der Flugzeuge wird sinken. Von etwa 800 vor der Krise auf rund 650. Die Lufthansa wird nach der Krise kleiner, aber auch agiler sein“, bilanziert Lindemann.

Matthias von Randow, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft, will mehr Menschen auf die Schienen bringen: „Wenn Sie den Zubringerflug durch die Eisenbahn ersetzten können, ist das ökonomisch und ökologisch sehr sinnvoll."

Während der Passagierbereich massiv zurückging, nahm der Frachtverkehr während der Pandemie zu. „Der Cargobereich hatte kurz nach dem Lockdown im März 2020 einen kurzen Einbruch. Das Geschäft ist dann aber rasch wieder angestiegen. Der Frachtverkehr konnte während der Pandemie voll durchfliegen und sogar gegenüber 2019 zulegen“, berichtet von Randow. Der Grund für die die Zunahme des Frachtverkehrs liegt unter anderem in dem Umstand begründet, dass andere Transportwege durch die Krise eingeschränkt wurden. Lindemann bezeichnet den Frachtverkehr als „eine Lebensader für die Lufthansa, da es der einzige Bereich ist, der ohne Einbußen durch die Krise kam“. Lindemann: „Dazu muss man aber wissen, dass die Lufthansa nur wenige spezielle Cargoflugzeuge hat. In normalen Zeiten wird der Großteil unserer Fracht in den Bäuchen der Passagierflugzeuge transportiert.“ In der Folge wurden Passagierflugzeuge umgebaut, sodass Cargo auch im Sitzbereich transportiert werden konnte. „Im Volumen ging der Cargobereich unbeschadet durch die Krise, da die Industrie die Produktion aufrechterhalten konnte. Gleichzeitig können die Ausfälle im Passagierbereich nicht im Cargobereich ausgeglichen werden“, erklärt Lindemann. Wann die Luftfahrtbranche wieder das Vorkrisenniveau erreicht, ist noch nicht klar. „Für konkrete Prognosen ist die Situation zu volatil“, sagt Matthias von Randow. Der BDL gehe aber davon aus, dass ab frühestens 2024 wieder das Vorkrisenniveau erreicht werden könne. Damit läge die Branche aber immer noch weit unter dem Niveau, das sie unter Normalbedingungen erreicht hätte.

Fliegen muss klimaneutral werden

Neben den Auswirkungen der Krise steht die Luftfahrtbranche noch vor einer weiteren großen Herausforderung: dem Klimaschutz. Fliegen verursacht im Vergleich zu anderen Transportmitteln hohe Umweltschäden. Wer mit der Bahn reist, erzeugt laut Umweltbundesamt auf langen Strecken 32 Gramm Treibhausgase pro Kilometer. Mit dem Auto sind es 147 Gramm. Wer im Inland fliegt, kommt
auf einen Ausstoß von 230 Gramm pro Kilometer – siebenmal mehr als mit dem Zug. Der weltweite Anteil des Luftverkehrs am CO2-Ausstoß beträgt etwa 3,5 Prozent. Die Branche muss also reagieren, auch um möglichen Flugverboten zuvorzukommen. Kurzstrecken sind immer wieder Gegenstand von Verbotsdebatten. Zwar wird dies von keiner Partei für die kommende Legislaturperiode gefordert. Allerdings sagte die grüne Spitzenkandidatin Annalena Baerbock gegenüber der „Bild“-Zei
tung, dass es Kurzstreckenflüge „perspektivisch nicht mehr geben“ solle. Im Wahlprogramm der Grünen steht: „Kurzstreckenflüge wollen wir ab sofort Zug um Zug verringern und bis 2030 überflüssig machen.“

„Den Luftverkehr in Einklang mit dem Klimaschutz zu bringen, ist die größte Aufgabe, an der wir als Branche arbeiten“, sagt von Randow. Die Branche sieht hierfür drei Felder: technische Innovationen, eine verbesserte Organisation von Verkehr und schließlich die CO2-Kompensation. „Am wirkungsvollsten sind technische Maßnahmen, also die Entwicklung von Flugzeugen, die immer weniger Treibstoff verbrauchen und damit weniger CO2 emittieren“, so von Randow. „Die ganze technologische Innovationskraft der Branche fließt in Sicherheit und Treibstoffreduktion. Um die Wirkung voll zu entfalten, müssen die Airlines ältere gegen neuere Flugzeuge austauschen. Das tun sie ständig“, so von Randow. Ein starker ökonomischer Treiber für diese ökologisch wirkungsvollen Investitionen sei die Tatsache, dass Treibstoff der größte Kostenfaktor beim Fliegen ist.

Mehr Biokerosin

Neben der Krisenbewältigung liegt ein Schwerpunkt der der Unternehmensstrategie der Lufthansa darauf, Fliegen umweltfreundlicher zu machen. Dazu erneuert Lufthansa ihre Flotte und setzt auf nachhaltige Kraftstoffe. „Weil auf der Langstrecke der Einsatz von Elektroflugzeugen physikalisch selbst mittel- und langfristig nicht darstellbar ist, liegt der entscheidende Hebel für CO2-neutrales Fliegen in der Zukunft in alternativen Kraftstoffen“, erklärt Lindemann.


Hofft auf den Durchbruch klimaneutraler Kraftstoffe für die Luftfahrt: Kay Lindemann, Lufthansa-Vorstandsbevollmächtigter

Dazu könnten biogene Kraftstoffe, die aus Altöl oder Getreideabfällen gewonnen werden, genutzt werden. „Der Quantensprung aber ist synthetisches Kerosin, das aus Wasserstoff und CO2 mittels des Power-to-Liquid-Verfahrens gewonnen wird. Die Technik ist da, aber bei der industriellen Produktion stehen wir noch ganz am Anfang“, sagt Lindemann. Aktuell sind aber nur 0,05 Prozent des verwendeten Flugbenzins in der EU Biokerosin. Die EU will deswegen eine Beimischquote für solche Kraftstoffe einführen, ab dem Jahr 2025 aufsteigend beginnend mit zwei Prozent. Selbst die Branche befürwortet Beimischquoten, auch wenn die Biokraftstoffe fünf- bis achtmal so teuer sind wie herkömmliches Kerosin. „Wir haben überhaupt nichts gegen eine solche Quote, solange sie wettbewerbsneutral ausgestaltet wird. Der springende Punkt ist, ob wirklich alle Airlines einbezogen werden. Nur dann wären wir in der Lage, eine belastbare Nachfrage nach diesen Kraftstoffen zu erzeugen“, erklärt Lindemann.

EU benachteiligt europäische Airlines

Sowohl Lindemann als auch von Randow fürchten aber große Nachteile für europäische Airlines. Der internationale Flugverkehr, insbesondere der Langstreckenverkehr, wird nämlich größtenteils über Drehkreuze abgewickelt. Die Airlines bringen die Passagiere mit Zubringerflügen zu den Drehkreuzen, beispielsweise von Hamburg nach Frankfurt mit Lufthansa, oder nach London Heathrow mit British Airways, oder mit Turkish Airlines nach Istanbul, und von jeweils diesen Drehkreuzen in die ganze Welt. Während EU-Airlines für jeweils die ganze Strecke bis zum Endziel des Langstreckenfluges den deutlich teureren Kraftstoff tanken müssten, können ausländische Airlines dies leicht umgehen. „Airlines
aus Drittsaaten müssen – wenn überhaupt – nur für den Kurzstreckenflug den teuren Kraftsstoff tanken. Für die Langstrecke, auf der der mit Abstand größte Teil des Kerosins gebraucht wird, nicht“, kritisiert von Randow. Hinzu kommt, dass die Nicht-EU-Airlines so planen können, dass sie überhaupt nicht in der EU tanken müssen, indem sie bei ihrem Einflug in die EU ihr Tankvolumen so planen, dass sie ohne Tanken in Europa den Rückflug in ihre jeweiliges Drehkreuz realisieren können „Die EU will dies zwar durch Mindesttankmengen an europäischen Flughäfen umgehen. Ob sie das umsetzen kann, ist aber fraglich. Außerdem würde das nichts daran ändern, dass ausländische Airlines nur bis zu den Drehkreuzen beimischen müssen, europäische Airlines für den gesamten Flug“, kritisiert von Randow. Auf dem Hauptteil des Langstreckenfluges, den sie im Wettbewerb mit den europäischen Airlines anbieten, können sie ohne den deutlich teureren Kraftstoff fliegen.

Lindemann schlägt deswegen vor, dass sich die EU bei den Beimischquoten an der deutschen Luftverkehrssteuer orientieren soll: „Die Steuer erhebt einen Preisaufschlag auf jedes Ticket und orientiert sich an der Enddestination. Dann wäre es insoweit egal, ob der Passagier mit Lufthansa oder der Konkurrenz fliegt“, so Lindemann. Matthias von Randow fordert die EU auf, bei ihrer Strategie umzudenken: „Eine solche wettbewerbsverzerrende Politik, die zu Lasten europäischer Airlines die Passagiere auf die Flugzeuge von Emirates, Qatar, British oder Turkish Airlines verlagert, kann doch nicht im Sinne einer europäischen Politik sein.“ Das gefährde Arbeitsplätze und Wertschöpfung und sei klimapolitisch kontraproduktiv. „Denn es verlagert lediglich Emissionen statt dass sie reduziert werden. Deswegen müssen die von der EU jetzt vorgelegten Rechtsakte so umgestaltet werden, dass sie diese Wettbewerbsverzerrungen und Emissionsverlagerungen ausschließen. Dann kommen wir wirklich beim Klimaschutz voran“, meint von Randow.

Luftverkehr neu organisieren

Eine weitere Verbesserung des Schienenangebots als Alternative zum innerdeutschen Flug könnte ebenfalls zu mehr Klimaschutz beitragen. „Wir haben ein Interesse daran, mehr Menschen ein Alternativangebot auf die Schienen zu machen. Das ist ökologisch und ökonomisch sinnvoll“, erklärt von Randow, „denn sehr kurze Flüge rechnen sich auch für Airlines kaum“. Passagiere nutzten aber nur dann die Bahn, wenn die Reisezeit nicht zu lang ist. „Flugtickets sind auf Kurzstrecken fast immer deutlich teurer als die Bahn. Am Preis liegt es nicht, sondern an der Reisezeit. Die magische Grenze sind rund drei Stunden“, sagt von Randow. Er warnt zugleich davor, die Kraft dieses Hebels zu überschätzen: „Wenn Sie klimapolitisch etwas voranbringen wollen, müssen Sie beim internationalen Luftverkehr und vor allem auf der Langstrecke ansetzen. Auf den langen Strecken wird viel Energie und Kerosin verbraucht. Der innerdeutsche Luftverkehr trägt nur 0,3 Prozent zum deutschen CO2-Ausstoß bei.“

Micha Knodt

Autor

Dieser Artikel erschien im Mittelstandsmagazin, Ausgabe 4-2021