"Deutschland darf im Steuerwettbewerb nicht teilnahmslos zusehen"

Datum des Artikels 22.02.2019
MittelstandsMagazin

Mit 33 Jahren ist Paul Ziemiak der jüngste Generalsekretär in der Geschichte der CDU. Im Interview mit Mittelstandsmagazin-Chefredakteur Thorsten Alsleben spricht der Westfale über die Ausrichtung der CDU, die Kritik an seinem fehlenden Abschluss und er verrät, welchen Job außerhalb der Politik er gerne hätte.

 

Herr Ziemiak, was war die größte Überraschung nach Dienstantritt als Generalsekretär? 

Ich lerne jeden Tag viele neue Dinge. Das ist ein Amt, welches schon große Persönlichkeiten unserer Partei innehatten. Ich trete deshalb in große Fußstapfen und gehe diese Aufgabe mit viel Respekt an. Es war für mich keine Überraschung, aber ich bin jedenTag beeindruckt, mit wie viel Sachverstand und Engagement alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jeden Tag leidenschaftlich an die Arbeit gehen.

Sie haben vor ihrer Wahl bei einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft gearbeitet. Trotzdem gab es nach der Wahl Kritik, auch aus MIT-Reihen, dass Sie ihr Studium nicht abgeschlossen haben. Haben Sie Verständnis für diese Kritik? 

Natürlich kann ich das nachvollziehen. Gleichwohl vertrete ich die Auffassung, dass für gute Entscheidungen in der Politik nicht nur Zeugnisse, sondern auch Lebenserfahrung wichtig sind. Meine Lebenserfahrung außerhalb von Politik und als junger Familienvater wird mir helfen, gute Entscheidungen zu treffen. Und ich weiß vor allem, dass man am Ende dann erfolgreich ist, wenn man mit Leidenschaft an die Sache rangeht und hart arbeitet. Das habe ich in der Vergangenheit bewiesen und das werde ich auch jetzt wieder neu in diesem neuen Amt beweisen müssen. Ich möchte mich messen lassen an der Arbeit, die ich leiste, und dann am Ende am Erfolg unserer Partei.

Frau Kramp-Karrenbauer ist die erst Vollzeit-Vorsitzendeder CDU. Wie haben Sie die Aufgaben verteilt?

Wir sind ein Team und wir entscheiden die Dinge gemeinsam. Natürlich diskutieren wir viel, aber am Ende des Tages ist es wichtig, dass die Menschen wissen, wofür die CDU inhaltlich steht. Und glauben Sie mir: In diesem Wahlkampfjahr ist für das ganze Team hier viel zu tun. Darüber hinaus möchte ich mich besonders den Fragen widmen: Wie machen wir diese Partei attraktiver? Wie machen wir diese Partei moderner? Wie organisieren wir eigentlich Debatten? Annegret Kramp-Karrenbauer hat es bei ihrerWahl als Generalsekretärin auf den Punkt gebracht: Es sollte nicht um die Profilierung einzelner Personen gehen, sondern am Ende ist der Star die ganze Mannschaft.

Im Wirtschaftsflügel, aber auch in der JU wurde oft kritisiert, dass die CDU in der Großen Koalition zur Unkenntlichkeit entkernt war. An welchen Stellen wird das jetzt anders?

Jeder Stil hat seine Zeit und angesichts der vor uns liegenden Herausforderungen muss die CDU für die Öffentlichkeit unmissverständlich klar machen, wofür die Partei steht und mit welchen Vorschlägen wir glauben, unser Land fit für die Zukunft zu machen. Ein gutes Beispiel ist hier die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Wir meinen zum Beispiel, fleißige selbstständige Handwerker müssen entlastet werden. Das hilft der gesamten Wirtschaft und ist eine Frage des politischen Anstands. Die SPD dagegen stellt jeden persönlich haftenden Unternehmer auf eine Stufe mit superreichen Internetmilliardären. Das geht so nicht – hier wird die CDU hart bleiben. Gleiches gilt für das Unternehmenssteuerrecht. Wenn konkurrierende Nationen ihre Steuersysteme auf Kosten unserer Wettbewerbsfähigkeit verändern, dürfen wir nicht teilnahmslos zuschauen und warten, bis Unternehmen abwandern, Arbeitsplätze verloren gehen und der Wohlstand hierzulande sinkt.

In welchen Bereichen gibt es jetzt konkrete neue Positionender CDU?

Auf dem Parteitag im Dezember gab es ja nicht nur weitreichende Beschlüsse in der Wirtschafts- und Finanzpolitik, wir haben uns auch intensiv mit dem Thema Sicherheit auseinandergesetzt. Ich finde, dass beispielsweise der Beschluss zur Bundeswehr ein starkes Signal war. Das zeigt, dass wir als CDU an der Seite unserer Soldatinnen und Soldaten stehen. Das Werkstattgespräch Migration, Sicherheit und Integration hat gezeigt, dass wir auch bei diesem Fragenkomplex vorangehen und gewillt sind, bestehende Probleme offen anzusprechen und zu beseitigen.


Der Parteitag hat die vollständige Soli-Abschaffung bis 2021 beschlossen. Nun ist Wirtschaftsminister Altmaier davon wieder abgerückt: Er will bis 2021 nur die mit der SPD vereinbarten 90 Prozent abschaffen und dann ins Gesetz schreiben, wann der Rest abgeschafft werden soll – also nach 2021. Gilt für die CDU der Parteitagsbeschluss nicht mehr?

Ganz klar: Der Parteitagsbeschluss gilt! Sofern es der Bundeshaushalt hergibt, muss der Solidaritätszuschlag bis Ende 2021 weg – und zwar für alle und ohne neue Schulden aufzunehmen. Klar ist aber auch, dass wir das ohne Zustimmung des Koalitionspartners nicht umsetzen können. Wir wollen daher die SPD davon überzeugen, unser Vorhaben gemeinsam umzusetzen.

Könnte es eine Situation geben, dass eine Unions-Forderung und eine SPD-Forderung so unvereinbar sind, dass die Koalition auseinanderfliegt?

Der Phantasie sind ja grundsätzlich keine Grenzen gesetzt, aber das ist mir persönlich zu viel Spekulation. Die Koalitionspartner sind angetreten, um gut zu regieren. Daran werde ich die SPD nötigenfalls erinnern, wenn sie den nächsten nicht abgestimmten und dem Koalitionsvertrag widersprechenden Vorschlag über die Presse lanciert. Aber klar ist auch, dass wir zur Mitte der Legislaturperiode die Revisionsklausel des Koalitionsvertrags nutzen werden, um nötigenfalls nachzusteuern.

Sollte es so kommen, wäre eine Minderheitsregierungmöglich?

Angesichts der vielen Unwägbarkeiten und Unsicherheiten in Europa und der Welt sollte es unser aller Ziel sein, in Deutschland eine stabile Regierung bis zur nächsten regulären Bundestagswahl zu behalten.

Wer würde bei einer Neuwahl für die CDU fürs Kanzleramt kandidieren?

Wir haben eine starke und beliebte Parteivorsitzende, die hier das Vorschlagsrecht hat und das respektiere ich.

Und wenn es zu Neuwahlen käme, wären die Chancen für Jamaika größer als beim letzten Mal?

Wir sollten jetzt nicht darüber spekulieren, wer nach den Bundestagswahlen im Jahr 2021 mit wem eine Regierung bilden könnte. Deutschland steht vor großen Aufgaben. Die sollte die Regierung angehen. Wir als Partei werden sie dabei ermutigen.

Einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung zufolge steht die Parteibasis rechts von der Parteiführung, aber auch rechts von den CDU-Wählern. Manche in der Parteiführung schlussfolgern daraus, besser nicht auf die Basis zu hören, wenn man mehrheitsfähig bleiben will. Sehen Sie das auch so?

Erstens bin ich nicht wirklich einverstandenmit der Formulierung Ihrer Frage. Sie sollten schon Ross und Reiter benennen. Zweitens bin ich der Auffassung, dass jeder in der Parteiführung mit beiden Ohren hinhören und beiden Augen hinschauen sollte, was unsere Mitglieder umtreibt und bewegt. Politische Führung bedeutet aber auch, für seine Überzeugungen einzutreten und nötigenfalls gegen Widerstände zu kämpfen – auch gegen den Widerstand in den eigenen Reihen. So habe ich es als JU-Vorsitzender gehalten – so werde ich es auch als Generalsekretär tun.

Was halten Sie von dem Vorschlag, Wahlkreise zu vergrößern und dafür verpflichtend einen Mann und eine Frau für die CDU aufzustellen,um Parität hinzubekommen?

Trotz großer verfassungsrechtlicher Bedenken haben SPD und Linke in Brandenburg das so genannte Parité-Gesetz beschlossen, um verpflichtende Parität bei den Listenaufstellungen hinzubekommen. Ich habe bei solchen Maßnahmen größte Bauchschmerzen. Ich unterstütze aber das Ziel, deutlich mehr Frauen in die Parlamente zu bekommen.

Sind Sie für eine Frauenquote für die Listen? In Ihrem CDU-Heimatverband Nordrhein-Westfalen waren auf den ersten zehn Plätzen nur drei Frauen.

Ziel bleibt, dass Frauen entsprechend ihres Bevölkerungsanteils in den Parlamenten vertreten sind. Sachsen zeigt uns, dass ein Reißverschlussverfahren ein mögliches Mittel wäre, um dieses Ziel zu erreichen.

Wo wird die CDU als Organisation moderner, digitaler? Einen virtuellen Kreisverband gibt es genausowenig wie virtuelle Fachkommissionen.

Ich bin mir nicht sicher, ob eine Partei mit virtuellen Kreisverbänden und Kommissionen zur digitalen Avantgarde zählt und das der Weisheit letzter Schluss ist. Für mich ist klar, dass wir mit unseren Botschaften näher an die Menschen müssen und da bietet uns die Digitalisierung eine Vielzahl Möglichkeiten, die wir als CDU noch nicht ausreichend nutzen. Im Zuge des Grundsatzprogramm-Prozesses haben wir zahlreiche Gelegenheiten, um neue Formate zu probieren. Wir haben damit ja auch schon begonnen: Mit unserem eigenen Talkshow-Format „Grundsätzlich CDU“, das live aus dem Adenauer-Haus im Netz ausgestrahlt wurde.

Noch eine persönliche Frage: Sie haben ein kleines Kind und bekommen nochmal Nachwuchs. Wie oft können Sie bei der Familie sein?

Nicht so häufig, wie ich mir das wünschte. Aber ich werde mir auch weiter meine Freiräume erkämpfen, um bei meiner Familie zu sein.

Werden Sie als erster Spitzenpolitiker in Deutschland Elternzeit nehmen?

Wenn ich mich richtig erinnere, ist die Position schon vergeben. Sigmar Gabriel hat sich 2012 eine Pause nach der Geburt seiner Tochter genommen.

Jetzt bitte ich Sie, die nächsten Fragen nur mit „Ja“oder „Nein“ zu beantworten. Einmal dürfen Sie einen Joker ziehen und sagen, das beantworte ich nicht. Hat die CDU auch einen konservativen Markenkern?

Ja, natürlich.

Wird die CDU am Jahresende mehr Regierungschefs inden Ländern stellen als jetzt?

Ja.

Wird Angela Merkel am Ende des Jahres noch Bundeskanzlerin sein?

Ja.

Wird der Soli am Ende der Legislaturperiodekomplett abgeschafft sein?

Das ist unser Ziel.

Ja oder nein?

Wenn es nach mir geht, ist doch logisch: ja. Ich kann nur in einem Interview nicht als Bürge für die Sozialdemokraten auftreten.

Dann ist es ein Joker.

Ja.

Wird der nächste Koalitionspartner der Union im Bund wieder die SPD sein?

Nein.

Wenn ich kein Politiker wäre, wäre ich am liebsten…

… wenn es nach der Leidenschaft ginge, wäre ich am liebsten Polizeibeamter.


Paul Ziemiak wurde 1985 in Stettin (Polen) geboren und kam 1988 mit seiner Familie nach Iserlohn. Nach dem Abitur studierte er zunächst Jura, wechselte dann zur Unternehmenskommunikation. Daneben arbeitete er bei einer internationalen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft.Ziemiak wurde 2012 zum Landesvorsitzenden der Jungen Union NRW und 2014 zum JU-Bundesvorsitzenden gewählt. Bei der Bundestagswahl 2017 zog der verheiratete Familienvater über die NRW-Landesliste in den Deutschen Bundestag ein. Seit Dezember 2018 ist MIT-Mitglied Ziemiak Generalsekretär der CDU Deutschlands.

Das Interview erschien im Mittelstandsmagazin, Ausgabe 1-2019.