"Die Politik sollte uns einfach mal machen lassen"

Datum des Artikels 23.06.2021
MittelstandsMagazin

Die rasante Erholung der Weltwirtschaft hat eine fatale Nebenwirkung: Weil die Nachfrage stark steigt, explodieren die Preise für Rohstoffe wie Holz, Stahl oder Kupfer. Das neue Lieferkettengesetz dürfte die Situation verschärfen.

Im Januar fing es an. „Da ist bei uns das Sperrholz knapp geworden“, sagt Gabriele Köstner, Geschäftsführerin des Berliner Holzverpackungsbetriebs Müller-Zeiner. „Anschließend war es wie beim Domino und ein Stein fiel nach dem anderen. Plötzlich stiegen bei allen Materialien die Preise, immer rasanter“, sagt MIT-Mitglied Köstner, die 120 Mitarbeiter an vier Standorten in Deutschland beschäftigt. Dank langjähriger Lieferantenbeziehungen habe sie einige Spitzen abfangen können. „Aber wir sind ständig dabei, die Preise zu erhöhen“, sagt sie. „Die Situation ist sehr kritisch und wir haben Angst, was passiert, wenn im Sommer, wie jedes Jahr, die Sägewerke pausieren.“

Holzpreise steigen um 340 Prozent

Maßgeblicher Antreiber der Preisexplosion ist vor allem die ins Rollen gekommene Weltkonjunktur – nachdem die Produktion in der ersten Phase der Pandemie abrupt heruntergefahren wurde. Nach Berechnungen des Hamburger Forschungsinstitutes HWWI stiegen die Preise auf dem Weltmarkt allein von April bis Mai um durchschnittlich acht Prozent. Die Preise für Industrierohstoffe erhöhten sich um 14,2 Prozent, die Holzpreise gar um 33 Prozent. Über die vergangenen zwölf Monate hinweg beträgt das Plus 111 Prozent – bei Holz sogar 340 Prozent.

„Die rasche Erholung der Weltwirtschaft und insbesondere der starke Aufwärtstrend der chinesischen Wirtschaft sorgen derzeit für eine hohe Nachfrage nach Rohstoffen“, beschreibt HWWI-Rohstoffexpertin Claudia Wellenreuther die Situation. So seien im Mai auf nahezu allen wichtigen Rohstoffmärkten Preissteigerungen zu beobachten gewesen. 

Elektrifizierung treibt Nachfrage

Enorme Preissteigerungen beobachten die Experten auch bei Kupfer oder Nickel. „China ist der weltweit größte Verbraucher von Kupfer und verbraucht die Hälfte der globalen Produktion“, sagt Wellenreuther. Ebenso treibe die klima- und konjunkturpolitisch angetriebene Elektrifizierung der Wirtschaft die Nachfrage. Ein Zehn-Jahres-Hochmacht das HWWI bei Zinn aus, was mit der Nachfrage aus der Unterhaltungselektronik erklärt wird. Wellenreuther: „Aufgrund der zunehmenden Remotearbeit und des Homeschoolings während der Pandemie ist die Nachfrage nach Smartphones, Laptops und iPads stark angestiegen.“ Die Industrie hierzulande fürchtet eine weitere Verschärfung. Laut einer Konjunkturumfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) sehen inzwischen zwei Drittel der Industriebetriebe die Energie- und Rohstoffpreise als Gefahr für ihre wirtschaftliche Entwicklung. „Kein Faktor wird derzeit in der Industrie häufiger genannt“, heißt es dazu vom DIHK. Zu Jahresbeginn lag der Anteil noch bei 45 Prozent. Auch im Baugewerbe wurde das Geschäftsrisiko Energie- und Rohstoffpreise höher eingestuft: von 35 Prozent zu Jahresbeginn auf 62 Prozent zum Frühsommer. Nur der Fachkräftemangel (67 Prozent) stellte noch mehr Bauunternehmen vor Herausforderungen. 

Wirtschaft gegen Exportverbote und Zölle

Politik und Wirtschaft suchen derzeit noch nach Lösungen. Im Mai lud Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) die Holzindustrie zu einem Runden Tisch ein. Forderungen nach einem Exportstopp für Holz erteilte Altmaier eine Absage. Denn diese könnten eine Kettenreaktion auslösen, wenn andere Länder sich ebenso abschotten würden. Neben der Verlängerungen der Kurzarbeitergeldregelung bis Ende 2021 sah er zudem Handlungsbedarf beim Verzicht auf Konventionalstrafen bei lieferbedingten Bauzeitverzögerungen, wie der Dachdeckerverband ZVDH nach dem Treffen mitteilte. Die Verbandsvertreter wünschten sich unter anderem Anreize für eine regionale Vermarktung von Holzprodukten. So sei eine CO2-Bepreisung langer Transportwege vorstellbar oder Anreizprämien für einen Holzvertrieb innerhalb der EU.

„Die Politik kann die Gesetze des Marktes nicht außer Kraft setzen“, sagt auch Bauunternehmer Thomas Sander aus Hamburg. Allerdings könne die Politik die Rahmenbedingungen verbessern. Das Vorstandsmitglied des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe fordert daher eine nationale oder gar europäische Rohstoffstrategie. „Es kann nicht sein, dass wir von importierten Baustoffen abhängig sind, wenn wir über genügend Rohstoffe im eigenen Land verfügen“, sagt Sander. Diese müssten nur abgebaut werden. „Wenn wir mit heimischen Produkten bauen, entfallen die langen Transportwege für den Import. Damit wird auch der CO2-Ausstoß reduziert.“
Rufe nach Exportverboten, Handelsschutzinstrumenten oder Zöllen seien in dieser Situation daher keine Lösung, sagt auch Anton Börner, Präsident des Bundesverbands Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA). „Gerade in der jetzigen Situation sollte man jegliche zusätzliche Belastungen für die Lieferketten, so auch ein schlecht gemachtes nationales Lieferkettengesetz, unterlassen“, fordert Börner.

Gesetz legt Handel an die Kette

Seine Warnung, die auch von einem Großteil der deutschen Wirtschaft vorgetragen wurde, verhallte jedoch: Mitte Juni machte der Bundestag den Weg für das umstrittene Lieferkettengesetz frei. Danach müssen Unternehmen mit mindestens 3000 Beschäftigten ab 2023 sicherstellen, dass es in ihrem Geschäftsbereich und bei unmittelbaren Zulieferern nicht zu Menschenrechtsverletzungen kommt. Für die weiteren Glieder der Lieferkette müssen Unternehmen tätig werden, sobald sie Kenntnis von möglichen Verstößen erhalten.
Ab 2024 greift das Gesetz dann ebenso in Unternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten. Die Wirtschaft – von Arbeitgeberverbänden bis zum Zentralverband des Bäckerhandwerks – kritisierte das Gesetz unisono als „gut gemeint, aber schlecht gemacht“. Es erzeuge Rechtsunsicherheiten, führe zu mehr Bürokratie und stelle Unternehmen unter Generalverdacht. „Das geplante Gesetz legt den Handel an die Kette, begrenzt unternehmerische Freiheit und führt nicht zu besseren Arbeits- und Lebensbedingungen vor Ort“, kritisierten 20 Wirtschaftsverbände in einer gemeinsamen Stellungnahme.

Auch Mittelstand betroffen

Gabriele Köstner befürchtet, dass nicht nur Konzerne, sondern auch der Mittelstand eingeschränkt wird. „Das Lieferkettengesetz soll zwar nur für Konzerne gelten, aber die Großbetriebe werden die Pflichten durch vertragliche Regelungen auf kleine Zulieferer abwälzen“, sagt die Unternehmerin. „Deshalb verstehe ich auch, warum einige Konzerne das Lieferkettengesetz befürworten: Sie haben die Ressourcen dafür, aber wir Mittelständler ziehen uns zurück.“ Sie verweist darauf, dass es bereits viele Gesetze und Abkommen gibt, die der Holzwirtschaft Pflichten zur Überwachung der Lieferkette auferlegen. So habe sie sich, als 2013 das Holzhandelssicherungsgesetz in Kraft trat, aus dem Import zurückgezogen. Seitdem kauft sie nur noch in der EU. „Trotzdem wurden wir danach mit neuer Bürokratie überschüttet“, berichtet die Unternehmerin.

Staat soll deregulieren

Köstner hätte sich wie weite Teile der Wirtschaft gewünscht, dass Deutschland keinen nationalen Alleingang startet, sondern sich für eine europäische Lösung einsetzt. Denn die wird parallel ebenfalls vorbereitet. Ob die deutschen Regelungen dann noch einmal angepasst werden müssen, bleibt abzuwarten. Ihr Wunsch an die Politik: „Der Staat soll sich auf seine Kernaufgaben konzentrieren, Gesetze deregulieren und Hemmnisse abbauen – und uns einfach mal arbeiten lassen. Wir haben so viel zu tun, wir kommen schon klar.“



Hubertus Struck

CvD/Redakteur