Hans-Joachim Watzke im Interview: „Wir brauchen eine Agenda der Fleißigen“

Datum des Artikels 26.10.2021
MittelstandsMagazin

Hans-Joachim Watzke war Familienunternehmer, dann rettete er Borussia Dortmund vor der Pleite. Im Interview mit Mittelstandsmagazin-Chefredakteur Thorsten Alsleben spricht der BVB-Geschäftsführer, der seit Jahrzehnten CDU-Mitglied ist, über die neuen Herausforderungen nach Corona, seine Wahlkampfhilfe für Armin Laschet und die Perspektiven für die CDU.

Herr Watzke, wenn ein langjähriger Serien-Meister plötzlich von einer Mannschaft, die vor kurzem noch weit abgeschlagen war, von der Tabellenspitze abgelöst wird: Was passiert dann mit diesem Club?

Hans-Joachim Watzke: Fußball und Politik sind nicht direkt miteinander vergleichbar. In der Nachwahlbetrachtung gibt es häufig viele Sieger. Im Fußball hingegen weiß man anhand des Resultats: Es gibt einen Sieger oder die Teams trennen sich unentschieden. Bei der vergangenen Bundestagswahl war es noch einmal eine differenziertere Situation: Es stand schon lange fest, dass die Trainerin, wenn man die Bundeskanzlerin denn so bezeichnen mag, am Ende der Saison ausscheiden würde. Eine solche Situation wäre auch im Fußball keine leichte, und sie hatte sicher Einfluss auf das Wahlergebnis vom 26. September.

Aber was macht das mit dem Team?

Das kommt darauf an, wie gut der Verein organisiert und strukturiert ist, wie gefestigt er sich darstellt. In einem guten Verein mit klaren Organisationsprinzipien führt das möglicherweise zu einer Gegenreaktion. Beispielsweise bei Bayern München: 2011 und 2012 sind wir Meister geworden, haben die Bayern abschließend noch im Pokalfinale geschlagen. Das hat dort dann zu einer heftigen Gegenreaktion geführt. (Anm. d. Red.: Bayern München tauschte erst den Sportdirektor, dann den Trainer aus und verstärkte sich personell. Ab 2013 gewann der Verein neunmal hintereinander die Meisterschaft). Wenn aber die Strukturen nicht intakt sind, dann kann es auch in die komplett andere Richtung gehen. Wir müssen jetzt abwarten, wie sich die Situation rund um die Union entwickelt. Ich bin gespannt.

Sie haben Armin Laschet im Wahlkampf unterstützt. Haben Sie auf das falsche Pferd gesetzt?

Ich bin zwar schon lange CDU-Mitglied, aber das war das erste Mal in den vergangenen 20 Jahren, dass ich als Privatperson einen CDU-Kanzlerkandidaten öffentlich unterstützt habe. Dafür gab es nur einen Grund: die Person Armin Laschet. Als Ministerpräsident hat Armin Laschet sehr viel für uns und den Fußball insgesamt getan. Er ist sehr verlässlich und anständig – Eigenschaften, die in einer manchmal oberflächlichen und schnelllebigen Welt für viele vielleicht nicht mehr so wichtig sind, für mich aber schon. Als dann in der Öffentlichkeit nach meiner eigenen Wahrnehmung ein immer größeres Zerrbild von ihm entstanden ist, habe ich mich privat für ihn eingesetzt.

Hat Sie das Wahlergebnis enttäuscht?

Mir war schon vorher klar, dass sich die CDU in einer schwierigen Situation befindet. Die CDU hat sich jahrelang vorgemacht, dass diejenigen, die die Partei wegen Angela Merkel gewählt haben, ausschließlich klassische CDU-Wähler sind. Das war aber nicht immer der Fall. Unter ihnen waren auch viele Menschen, die sich teilweise links von der Mitte verorten und dabei das Gefühl hatten, Angela Merkel und die CDU-geführte Koalition stünden ebenfalls für eine Politik der Mitte, vielleicht sogar links von der Mitte. Das hat nichts mit Armin Laschet zu tun, jeder andere potenzielle Nachfolger hätte ebenfalls mit diesem Erbe leben müssen.

Was sind aus Ihrer Sicht die Ursachen für das Ergebnis der Union?

Die Gründe sind sehr vielschichtig und nur schwer in ein, zwei Aussagen zu pressen. Ein Punkt: Aus meiner Sicht ist in der Partei während der vergangenen Jahre inhaltlich viel zu wenig diskutiert worden. Die CDU ist immer mehr aus dem Debattiermodus herausgekommen. Ich bin in den 70er Jahren zur CDU gekommen, als Helmut Kohl die Partei gerade runderneuert hatte von einer Honoratioren- hin zu einer Programmpartei. Mein Eindruck: Das ist während der vergangenen Jahre sukzessive zurückgedreht worden. Obendrein fehlte mir die Einheit nach außen. Sicher: Armin Laschet hat einige Fehler gemacht, das weiß er selbst. Dennoch hatte man im Wahlkampf nie das Gefühl, eine geschlossene Mannschaft auf dem Platz zu haben – um im Fußballer-Jargon zu bleiben.

Sie haben aus dem Sanierungsfall BVB ein erfolgreiches Wirtschaftsunternehmen gemacht. Unter anderem dafür bekommen Sie im November den Deutschen Mittelstandspreis der MIT 2021 verliehen. Welchen Tipp können Sie aus dieser Erfahrung für die aktuelle Lage der CDU geben?

Das ist schwer zu transformieren. Beim BVB ist klar geregelt, wer in der Öffentlichkeit auftritt und wie die Entscheidungsprozesse ablaufen. Das ist in der Politik mit den vielen Querverstrebungen, Interessen, Karriereplänen und notwendigen Kompromisslinien ganz anders. In der Politik ist es deshalb auch viel schwieriger, Disziplin herzustellen, weil am Ende viele sich selbst am nächsten sind. Das war lange Zeit eher ein Problem der SPD. Jetzt ist es auch ein Problem der CDU. Wenn die CDU nun nicht den Fokus auf ein gemeinsames Projekt lenkt, werden die nächsten Jahre schwieriger, als viele das glauben. 

Wie kann der CDU das gelingen: mit neuen Personen oder Strukturen?

Es ist immer einfach, Personalwechsel zu fordern und zu glauben, das allein würde alles ändern. Ich habe mich schon gewundert: Da fordern manche altgedienten Spitzenpolitiker, die selbst jahrelang nicht die besten Aushängeschilder der Partei waren, nun eine personelle Erneuerung. Die CDU muss erst einmal wieder lernen, miteinander zu diskutieren, und zwar auf eine konstruktive Art und Weise. Trotzdem muss die CDU versuchen, jüngere Leute mit einzubeziehen. Die Generation um Carsten Linnemann und Jens Spahn muss jetzt in einem Mix aus jungen und erfahrenen Politikern mehr Verantwortung übernehmen. Wichtig ist, dass wir uns als Partei neu erfinden, nämlich als eine Partei, die wieder miteinander ringt um die besten Rezepte in der Politik. Das ist mir im letzten Jahr stark verlorengegangen.

Sehen Sie eine Chance, dass die CDU wieder zu alter Stärke findet?

Natürlich. Es führt aber kein Weg an einer sachlichen Bestandsaufnahme vorbei. Jens Spahn beklagt – um nur ein Beispiel zu nennen – völlig zurecht, dass die Auswirkungen der Flüchtlingspolitik 2015 bis heute nicht vernünftig aufgearbeitet wurden. Dazu kommt das Thema Energie, der notwendige ökologische Umbau. Wir müssen weniger über Personen und mehr in der Sache streiten. Um zu Ihrer Frage zurückzukommen: Wenn es darum geht, wie schnell und auf welchem Weg die CDU wieder zu alter Stärke zurückfinden kann, macht es am Ende selbstverständlich auch einen Unterschied, ob die Partei in einer Jamaika-Regierung an der eigenen Regierungsarbeit gemessen wird oder sich in der Opposition wiederfindet.

Die Pandemie hat auch den Sport schwer getroffen. Wie schwer war es für Ihren Verein?

Die Lage war dramatisch. Wir sind ohne einen einzigen Euro Finanzschulden in die Corona-Krise gegangen. Das erste Corona-Halbjahr hat uns knapp 43 Millionen Euro Verlust beschert, das zweite Halbjahr etwa 72 Millionen Euro. Zuvor hatten wir 15 Jahre lang schwarze Zahlen geschrieben. Corona war eine heftige Zäsur. Jetzt müssen wir Aufbauarbeit leisten. Umso wichtiger ist es, dass wir sukzessive zu einer wie auch immer gearteten Normalität zurückkehren.

Wie fanden Sie das Corona-Management der Politik – als Unternehmer und als Bürger?

Mein Gefühl war, dass die Ministerpräsidenten etwas progressiver agiert haben als die Bundesregierung, wobei ich Jens Spahn von dieser Einschätzung ausnehmen möchte. Ich glaube, dass speziell das Bundeskanzleramt lange Zeit sehr defensiv war. Die Ministerpräsidenten haben etwas mehr auf die Situation der Bürger und Unternehmen in ihrem Land geschaut, so mein Eindruck. Und in Gänze hat sich der Föderalismus – bei aller öffentlichen Kritik – eigentlich bewährt. Denn insgesamt sind wir wirtschaftlich als Nation doch ganz gut durch diese Krise gekommen. Das Einzige, was uns nicht gelungen ist: die Gesellschaft zu einen. Eine Entwicklung, die sich ehrlich gesagt schon seit 2015 abgezeichnet hat, hat sich durch die Pandemie weiter verstärkt. Wir schaffen es aktuell nicht, eine Art Corporate Identity für die Breite der Gesellschaft zu entwickeln. Ein gemeinsames Ziel, dem sich das Gros empathisch verschreibt. 20 bis 30 Prozent der Leute grenzen sich selbst aus. Auf mich macht diese Gesellschaft momentan einen sehr instabilen und zerrissenen Eindruck.

Sie haben einen mittelständischen Betrieb für Schutzbekleidung gegründet und sind dort noch heute Gesellschafter. Was müsste die neue Bundesregierung aus unternehmerischer Sicht als Erstes angehen?

Ich persönlich hätte mir Jamaika gewünscht. Denn es wäre ein spannendes Projekt, ökonomischen Sachverstand mit ökologischer Expertise zu verbinden. Aber unabhängig davon, ob es eine Ampel oder Jamaika wird: Meine Hoffnung ist, dass die FDP wirtschaftspolitischen Sachverstand einbringen und verhindern wird, dass auf diesem Sektor Entscheidungen getroffen werden, die uns allen schaden. In einem Hochsteuerland wie Deutschland inmitten einer Krise, in der Millionen Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen und es vielen Unternehmen nicht gut geht, die Steuern zu erhöhen, kann nicht wirklich sinnvoll sein. Sebastian Kurz ist in Österreich gerade Teil eines Ermittlungsverfahrens, insofern muss man mit grundsätzlichem Lob vorsichtig umgehen. Was man allerdings wertschätzen sollte: Er hat eine große Steuerreform mit umfassenden Entlastungen auf den Weg gebracht, die den ökologischen Aspekt voll beinhaltet. Klar ist aus meiner Sicht: Wir benötigen in Deutschland eine Agenda für die Fleißigen. Und die Fleißigen, die gibt es in jeder Berufsgruppe. Es gibt fleißige Unternehmer, faule Unternehmer, es gibt fleißige und weniger fleißige Facharbeiter. Die hart arbeitende Bevölkerung, die Millionen Fleißigen, finanzieren diesen Staat, und die müssen wieder mehr Gehör finden.

Der Fußball wird immer politischer. Spieler gehen auf die Knie, Stadien sollen in Regenbogen-Farben leuchten. Was halten Sie von dieser Entwicklung?

Wir bei Borussia Dortmund verstehen uns durchaus als politischer Verein und setzen uns dafür ein, dass sich die Gesellschaft nicht weiter spaltet. Unser Einsatz gegen Rassismus, gegen jede Form von Ausgrenzung und für Toleranz, ist uns extrem wichtig. Es geht uns um Werte, die jeder ernstzunehmende Mensch unterstützt. Diese Themen bilden wir beim BVB inhaltlich ab, wir bilden sie personell ab und wir bilden sie längst auch wirtschaftlich ab.

Gehen Sie im Verein auch dazu über, gendergerecht zu sprechen? Sprechen Sie zum Beispiel von „Zuschauer*innen“?

Ich halte überhaupt nichts von einem Genderzwang. Jeder kann für sich entscheiden, ob er gendern mag oder nicht. Und wie weit er dabei gehen möchte. Ich persönlich sage, um nur ein Beispiel zu nennen, gern „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, das ist völlig normal, das machen wir auch beim BVB. Aber ich muss nicht jeden Satz bis zur Unkenntlichkeit mit Genderbegriffen auffüllen. Ich habe das Gefühl, dass manch eine Forderung in ihrer Intensität – gemessen an den gewaltigen Problemen dieser Gesellschaft – ausgesprochen viel Raum einnimmt.

Sie treibt das Thema Spaltung der Gesellschaft um. Wie bewerten Sie vor dem Hintergrund die Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks?

Kritisch. Es ist auf dem öffentlich-rechtlichen Sektor, der der Neutralität und unser aller Information verpflichtet ist, aus meiner Sicht selten so viel Meinung gemacht worden wie in den vergangenen 16 Monaten. Ich habe das im Fußball selbst erlebt. Als wir die Geisterspiele ohne Zuschauer durchgeführt haben, vermittelten gerade die Öffentlich-Rechtlichen den Eindruck, dass das gesamte Gesundheitssystem zu entgleisen droht. ARD und ZDF haben gefühlt in jeder zweiten Talkshow Stimmung gegen den Fußball gemacht, gleichzeitig aber durchweg positiv über jene Sportarten berichtet, an denen sie die Live-Übertragungsrechte hielten: Skispringen, Biathlon, Ski Alpin... Da war das alles im Regelfall kein Thema. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hat sich im Nachhinein für seine falschen Annahmen bezüglich des Fußballs entschuldigt, was ich ihm hoch anrechne. Von ARD und ZDF habe ich Ähnliches nie gehört. Auch im Wahlkampf hatte ich das Gefühl, dass mitunter sehr einseitig Partei genommen wurde. In Gänze ist bei mir im letzten Jahr einiges an Vertrauen in die öffentlich-rechtlichen Sender verloren gegangen.

Ihr Vater war CDU-Landtagsabgeordneter, Sie selbst waren in JU und CDU aktiv. Könnten Sie sich vorstellen, auch Politiker zu werden?

Nein, definitiv nicht. Ich habe höchsten Respekt vor jedem, der das macht. Aber für mich kommt das überhaupt nicht infrage. Dafür bin ich viel zu gerne unternehmerisch tätig. Wenn ich hier morgens eine Idee habe, dann kann ich sie morgen umsetzen. Die langen politischen Gespräche und Prozesse samt notwendiger Kompromisse würden mich zermürben.

Warum sind Sie nicht auf Social Media aktiv?

Das hat einen einfachen Grund: Social Media würde mir Lebensqualität rauben. Mir wird dort in den oft anonymen Kommentaren zu viel Müll abgeladen. Damit käme ich nicht klar.

Bitte vervollständigen Sie folgenden Satz: Wenn ich zum neuen CDU-Vorsitzenden gewählt würde…

… würde sich meine Frau wohl scheiden lassen.

 

Hans-Joachim „Aki“ Watzke (62) führt seit 2005 die Geschäfte des Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund (BVB). Der Diplom-Kaufmann arbeitete zunächst in einem Unternehmen für Arbeitsbekleidung. Als 30-Jähriger gründete er selbst ein Unternehmen in dieser Branche, die Watex Schutz-Bekleidungs GmbH mit Sitz im südwestfälischen Marsberg. Für den BVB gab er die Geschäftsführung an seine Frau Annette weiter. Inzwischen arbeitet auch Sohn André als Prokurist im Familienunternehmen mit. Nach seinem Amtsantritt beim BVB bewahrte er den angeschlagenen Fußballverein vor der Insolvenz. Als Geschäftsführer etablierte er den BVB als sportliche und wirtschaftliche Nummer zwei hinter dem FC Bayern München. Unter anderem dafür erhält Hans-Joachim Watzke im November den Deutschen Mittelstandspreis der MIT in der Kategorie Gesellschaft. Watzke trat bereits mit 16 Jahren der CDU bei. Sein Vater Hans Watzke war ebenfalls CDU-Mitglied und gehörte von 1975 bis 1990 dem nordrhein-westfälischen Landtag an.

Das Interview erschien im Mittelstandsmagazin, Ausgabe 5-2021