Thorsten Alsleben im Interview: „In der CDU brauchen Sie einen Mahner für Ordnungspolitik“

Datum des Artikels 22.03.2023

Es ist sein letztes Interview im Mittelstandsmagazin: Nach fast neun Jahren verlässt Hauptgeschäftsführer Thorsten Alsleben im April die MIT und damit endet auch seine Zeit als Chefredakteur. Dieses Mal ist nicht er der Interviewer. Dieses Mal bekommt er die Fragen gestellt – über seine bisherige und die neue Rolle – und zwar von Melanie Amann, der Leiterin des SPIEGEL-Hauptstadtbüros. Dass das nicht leicht wurde, war beabsichtigt.

 

Amann: Mit welchem Gefühl verlassen Sie nach fast neun Jahren die MIT?

Alsleben: Das ist schon ein komisches Gefühl, weil ich viele Dinge angeschoben habe und auch noch dabei bin. Es ist nicht so, dass ich jetzt eine komplett fertige Organisation an den Nachfolger übergeben kann, sondern es ist alles im Fluss. Politische Themen, organisatorische Themen. Wir haben den Bundesmittelstandstag im September, den ich jetzt vorbereiten muss. Das ist so, wie wenn man schwanger ist, aber jemand anders bringt das Kind zur Welt.

Wie ist dieser Wechsel jetzt zustande gekommen? War es so, dass Sie auch gesagt haben, „jetzt, da die Union nicht mehr regiert, macht es nicht mehr so richtig Spaß“?

Das kann ich ausschließen. Ich dachte anfangs auch, als wir in die Opposition kamen, ab jetzt wird es ja ruhig und langweilig. Man kann sich schön auf grundsätzliche Dinge konzentrieren. Dem ist aber nicht so! Gerade in der Oppositionszeit sind wir als MIT besonders gefordert, weil die ganze Infrastruktur der Regierung ja weggebrochen ist. Und wir werden sehr häufig angesprochen. Was könnte man dazu sagen? Habt ihr dazu was? Und dann können wir Papiere und Ideen entwickeln.

Von wem angesprochen?

Zum Beispiel von Abgeordneten, aber auch aus der Partei. Wir werden jetzt als Think-Tank genutzt und das macht Spaß. Wir können Einfluss nehmen. Und ich denke sogar, dass wir in der Opposition das eine oder andere erreicht haben, was wir vielleicht in der Regierung gar nicht erreicht hätten. Beispiel Bürgergeld. Die starke Ablehnung des Bürgergelds am Ende auch durch die Union im Bundesrat, dazu haben wir in der ganzen Debatte zumindest ein Mosaiksteinchen beigetragen.

Und warum dann genau jetzt?

Es ist zum einen eine reizvolle Aufgabe bei der INSM: Wie jetzt auch für Soziale Marktwirtschaft und Ordnungspolitik zu werben, aber eben künftig parteiübergreifend. Es gibt auch familiäre Gründe, weil Politik doch für jemanden, der drei noch relativ kleine Kinder hat, auf Dauer sehr, sehr fordernd ist. Man ist 24/7 erreichbar, man ist eigentlich immer online, man muss immer mitkriegen, was läuft in den klassischen Medien, was läuft in sozialen Medien, man muss reagieren, immer präsent sein. Und das ist nach meiner Erfahrung mit Familie gar nicht richtig vereinbar, jedenfalls nicht auf Dauer. Bei der INSM kann ich Themensetzung viel besser planen. Zum anderen bin ich der Überzeugung, Amtszeitbegrenzung hat was Gutes, weil auch in der Wirtschaft gesagt wird: Nach etwa acht bis zehn Jahren wäre die optimale Zeit, um eine Amtszeit würdevoll abzuschließen. Danach sind die Netzwerke zu erstarrt, ist vielleicht auch das Denken zu einseitig, man wird betriebsblind und ist zu etabliert. Und es braucht dann halt wieder jemanden mit neuen, anderen Ideen, der auch die Dinge, die man selbst nicht mehr sieht, hinterfragt.

Waren Sie eher ein Kämpfer oder sind Sie eher Helfer oder Berater?

Alles. Ich war Kämpfer, Helfer, Berater. Und diese unterschiedlichen Rollen vertragen sich auch nicht immer. Manchmal habe ich für manche zu viel gekämpft. Und umgekehrt gab es aber auch die Rückmeldung: „Jetzt musst du mal wieder kämpfen.“ Es war beides. Aber ich glaube, dass ich für viele schon anstrengend war.

Das kann ich bestätigen. Und ich habe immer den Eindruck gehabt, dass Sie eigentlich de facto diesen Laden geschmissen haben, vielleicht auch für den Hauptgeschäftsführer normal, aber sie waren für mich immer ein bisschen der Chef. Und Carsten Linnemann war eher der Präsident, der die Inhalte dann nach außen vertreten hat, aber Sie waren eher der, der wirklich die Zügel in der Hand hatte. Sehe ich das falsch?

Das stimmt so nicht. Der oder die Vorsitzende bei uns ist schon sehr, sehr stark und die klare Nummer 1, insbesondere da ja sowohl jetzt Gitta Connemann als auch vorher Carsten Linnemann Berufspolitiker sind. Das heißt, sie sind auch stets in Berlin präsent und in allen Themen drin. Das ist anders als in vielen Verbänden, in denen Ehrenamtler neben ihrem Unternehmen mal ab und zu in Berlin aktiv sind und auch anders als früher bei MIT-Chef Josef Schlarmann, der Unternehmer war. Aber klar, in dem Tagesgeschäft war ich als Hauptgeschäftsführer, der keinen Wahlkreis hat, sondern sich nur mit Bundespolitik beschäftigt ist, schon sehr stark eingebunden und musste auch viele Entscheidungen treffen. Aber am Ende treffen politische Entscheidungen immer der bzw. die Vorsitzende.

Und gab es denn jemals ein Thema, das Linnemann ganz auf eigene Faust setzen wollte? Weil meistens ist mein Eindruck von außen gewesen, dass Sie intern die Impulse gesetzt haben und Linnemann das dann nach außen getragen hat.

Das meiste ist in Teamrunden entstanden und viele Ideen stammten von ihm. Aber immer wieder hat er auch mal unabgestimmt Akzente gesetzt: Beispielsweise die Debatte um die Vorschulpflicht, das war eine Initiative allein von ihm...

Das hat ja auch nicht super funktioniert...

Doch das hat super funktioniert, weil die Debatte danach genau zu dem Ergebnis geführt hat, was er damals angeregt hatte, nämlich, dass wir auf dem Parteitag beschlossen haben, fast einstimmig, dass Kinder, die nicht genügend Deutschkenntnisse haben, rechtzeitig individuell gefördert werden, dass sie also nicht einfach auf die Grundschule geschickt werden ohne die richtigen Voraussetzungen. Seine Aussage wurde damals falsch zugespitzt. Die Nachrichtenagentur dpa hatte sich ja sogar bei ihm entschuldigt für die Überschrift...

... nach dem Interview...

... aber die Debatte, die er angestoßen hat, die war sehr wertvoll und hat am Ende zu einer Einigkeit sogar mit Karin Prien (Bildungsministerin aus Schleswig-Holstein, Anm. der Red.) geführt.

Aber es hat natürlich auch das Image von Linnemann erst mal, vorsichtig ausgedrückt, geschärft in eine Richtung, die ihm, glaube ich, nicht so gut bekommen ist. Er galt danach ja schon als jemand, der nicht nett zu den Ausländerkindern ist, auch wenn das sicher gut gemeint war.

Das kommt darauf an, mit wem sie reden. Wenn Sie mit Grundschullehrerinnen und -lehrern reden, da haben viele gesagt: „Gott sei Dank spricht das mal einer an!“ Das ist genauso wie jetzt mit den kleinen Paschas von Friedrich Merz. Da gibt es die einen in Berlin-Mitte, die sagen, das ist eine Überzeichnung und diskreditiert ganze Bevölkerungsgruppen. Und die anderen sagen, man muss es so ansprechen, wenn wir erfolgreich integrieren wol-len.

Friedrich Merz ist/war auch immer Ihr Wunschkandidat. Also ist das jetzt für Sie so ein Gefühl von „Mission accomplished“, dass er jetzt Parteivorsitzender ist? Das, wofür Sie immer gekämpft haben, schon bei AKK, schon bei Laschet?

Das würde ich schon sagen. Es war ein wichtiges Ziel der MIT, für das auch ich mich mit Überzeugung und Herzblut eingesetzt habe, dass Friedrich Merz Parteichef wird.

Und finden Sie, er macht das jetzt erfolgreich?

Ja.

Und können Sie mir erklären, warum? Es gibt ja auch Fragezeichen.

Also erstmal ist die Union, und ich weiß nicht, ob es das schon mal gegeben hat, ein gutes Jahr nach Regierungswechsel, in den Umfragen deutlich vor den anderen Regierungsparteien. Der Kanzlerbonus, von dem die größte Regierungspartei normalerweise profitiert und die sie ganz nach oben zieht, den hat die SPD nicht. Und das hat sicherlich damit zu tun, dass Friedrich Merz viele Dinge in Partei und Fraktion richtig gemacht hat. Und ich muss auch sagen: Es hat mich in der Merkel-Zeit am meisten gestört, dass zu wenig diskutiert wurde, sondern dass immer von vornherein gesagt wurde, „wir dürfen die Regierung nicht gefährden und nicht zu sehr hinterfragen“. Und ich habe immer die Rolle der Partei als eine eigene Rolle verstanden, nicht als Appendix zu einer CDU-geführten Regierung, sondern eigentlich als Impulsgeber, der auch durchaus mal was anderes sagen muss als die Regierung. Das gilt für alle Parteien. Und das ist jetzt in der Opposition leichter. Aber Friedrich Merz lässt auch zu, dass es in der Partei verschiedene Meinungen gibt. Die werden dann ausgetragen und dann gibt es auch eine Mehrheitsentscheidung. Natürlich hat er in seiner neuen Rolle, er ist jetzt nicht mehr der Kandidat eines Flügels, sondern Parteivorsitzender, Entscheidungen treffen müssen, die mir und vielen bei der MIT nicht gefallen haben. Aber das gehört wahrscheinlich dazu.

Die Frauenquote, vermute ich?

Zum Beispiel.

Sehen Sie die CDU als Partei im Moment in einem guten Zustand?

Ich sehe die CDU als Organisation in einem sehr herausgeforderten Zustand. Ich glaube, dass die alte Volkspartei mit Kreis-, Bezirks- und Landesverbänden es immer schwerer haben wird, kampagnenfähig zu sein. Und da man die Partei nicht komplett neu erfinden kann, fällt es schwer, die Strukturen umzumodeln. Das geht von der Beitragshöhe bis zur optimalen Einbindung der Mitglieder. Das wird sehr schwer. Die CDU hat jetzt einen sehr guten neuen Bundesgeschäftsführer, der versucht, Prozesse stärker digital zu steuern. Aber er trifft da auf eine Substanz, die es sehr schwierig macht.

Das bringt uns zu der Frage: Ist das jetzt das Erbe von Angela Merkel? Also wie blicken Sie auf die CDU nach Merkel?

Das ist schon ein Erbe. Wobei ich sagen muss: Wahrscheinlich hängt das auch damit zusammen, dass sich eine Parteichefin in der Regierung nicht vor allem darauf konzentriert, die Partei kampagnenfähig zu machen. Dafür gibt es eigentlich Generalsekretäre, aber die waren halt sehr stark damit beschäftigt, die Partei bei der Stange zu halten, dass sie nicht zu sehr in Opposition zur Regierung geht. Und dadurch sind diese ganzen Reformansätze für eine moderne Kampagnenorganisation wahrscheinlich hinten runtergefallen. Ist aber auch nicht leicht, wenn man das eben nicht wie einen Konzern von oben nach unten durch-steuern kann, sondern da gibt es halt Kreisverbände, Landesverbände, jeder mit eigenen Interessen.

Ich hatte bei Ihnen teilweise schon den Eindruck, dass sie nicht nur ins Lager der Merkel-Kritiker, sondern teilweise sogar ins Lager der Merkel-Hater eingezogen sind. Würden Sie das auch so sehen?

Hater? Nein. Da würde mich interessieren, woran Sie das festmachen.

Ich habe diese Verve gesehen, mit der Sie die politischen Entscheidungen aus dem Kanzleramt kritisiert haben.

Öffentlich werden Sie mit Sicherheit nichts von mir finden, was Sie beschreiben.

Vielleicht stimmt es ja trotzdem.

Es gibt gewisse Grundsatzentscheidungen, die ich für sehr schädlich halte. Dazu gehört der voreilige Atomausstieg. Dazu gehört die Art und Weise, wie wir mit der Flüchtlingskrise umgegangen sind. Aber dazu gehört vor allem die Haltung gegenüber der Partei. Ich habe diese emotionale Bindung, die, glaube ich, notwendig ist, zwischen einem Parteichef und seiner Partei bei Frau Merkel nie gespürt. Und deswegen wurde die Partei aus meiner Sicht immer nur als Wahlkampfinstrument genutzt. Und das ist zu wenig.

Kann es sein, dass das auch daran liegt, wie die Partei in den früheren Jahren mit Merkel umgesprungen ist? Dass das eine Altlast war aus dem früheren Verhältnis der jungen Merkel zur CDU, dass deswegen nie so wirklich eine Nähe entstand, sondern das Verhältnis immer instrumentell geblieben ist?

Das weiß ich nicht. Da müsste ich mich ja in ihre Psyche tief eingraben. Ich finde nur, wenn man Parteichefin ist, dann kann man das nicht nur als Mittel zum Zweck nutzen, sondern da muss man auch schon eine gewisse emotionale Bindung haben.

Aber das heißt, es ist bei Ihnen mehr als nur Kritik. Sehe ich das richtig, dass da schon auch eine emotionale Komponente dabei ist, die, wenn man so will, den CDU-Wutbürger Thorsten Alsleben ausmachte?

Das war ich nie. Ich finde diesen Begriff Wutbürger auch völlig unpassend, wenn jemand berechtigte Kritik emotional vorbringt. In der Analyse, die ich über die Merkel-Zeit anstelle, sind sich ja Politikwissenschaftler und auch viele Journalisten durchaus einig. Da muss man gar nicht wütend sein. Ich bin auch gar nicht wütend darüber, sondern eher enttäuscht. Ich finde das traurig. Zum Beispiel: der Parteitag 2016, der die Entscheidung gegen die doppelte Staatsangehörigkeit unter schwersten Geburtswehen hervorgebracht hat. Man kann dazu stehen, wie man will, aber die gab es nun mal und quasi noch auf dem Boden des Parteitags zu sagen, „interessiert mich nicht“, das ist schon hart.

Sie hat ja nicht gesagt, „interessiert mich nicht“, sondern „ist nicht durchsetzbar mit der SPD“.

So, und da hätte ich erwartet, dass sie sagt: „Ich akzeptiere den Beschluss. Und ich verstehe dieses Ergebnis. Und ich werde bei meinem Koalitionspartner dafür werben.“ Und jeder, der sich ein bisschen in der Politik auskennt, weiß, dass am Ende wahrscheinlich nichts dabei rumkommt. Aber trotzdem: Wenn Sie als Trainer ins Spiel gehen und sagen, „wir werden sowieso nicht gewinnen, deswegen probieren wir es gar nicht“, sind Sie der falsche Mann oder die falsche Frau.

…also ein bisschen auch eine undemokratische Perspektive, wenn man so will, weil die Mehrheitsentscheidung der Partei nicht akzeptiert wird?

Erstens das. Und zweitens habe ich oft genug in der Politik erlebt, dass Dinge, die scheinbar nicht durchsetzbar sind, dann am Ende doch kommen, wenn man nur lange genug dafür kämpft. Ich will mal ein Beispiel nennen: die Grundrente. Die war für die SPD an sich nicht durchsetzbar. Sie hat es in den Koalitionsverhandlungen versucht und hat sie sich damit gegen die CDU nicht durchgesetzt. Und dann hat sie es hinterher doch geschafft, gegen den Koalitionsvertrag. Also, es geht.

Wenn man nur will.

Wenn man nur genug Druck macht.

Und trotzdem habe ich den Eindruck, dass es schon der CDU auch geschadet hat, mit welcher Energie eben angekämpft wurde von Institutionen wie der MIT oder dem PKM. Und ich hatte immer den Eindruck, Merkel kann machen, was sie will, trotzdem werden Truppen formiert, die dagegen agitieren, und dass die Schärfe und Härte, mit der das geführt wurde, vielleicht mehr waren als nur innerparteiliche Divergenzen. Da wurden Gräben geschaffen, die bis heute nicht wirklich zugeschüttet sind, die auch Herr Merz sich jetzt nicht bemüht, zuzuschütten, wenn man ehrlich ist.

Faktisch gab es doch diese Streitereien nicht. Das unterscheidet die CDU ja von den Grünen, wo auf Parteitagen wirklich Richtungsstreite ausgetragen werden. Das gab es bei uns nicht. Es gab Grummeln hinter den Kulissen und Frust, aber es gab nie die offene Diskussion. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass auf Parteitagen da großartig Gegenanträge kamen, sondern im Gegenteil: Es wurde immer versucht, am Vorabend einen Kompromiss hinzukriegen. Bloß kein Streit auf dem Parteitag. Das fand ich schlimm. Warum denn nicht? Ich gehe doch lieber mit 45 Prozent als Minderheit nach Hause und habe meine Position nicht durchgesetzt, weiß aber, dass 45 Prozent so denken wie ich. Das ist für mich befriedigender als irgendeinen Wischiwaschi-Kompromiss, von dem ich weiß, dass da eigentlich keiner so richtig hinter steht.

Also es hätte aus ihrer Sicht mehr Konflikt geben müssen.

Mehr Diskussion. So lebt doch Demokratie. Ich finde das nicht schlimm, denn dann schärfen sich auch die Argumente und vielleicht wird sogar der eine oder andere in der Diskussion überzeugt. Bei der Frauenquote war das übrigens so: Da gab es diese Debatte, ganz offen, mit guten Argumenten für beide Seiten, mit tollen Protagonisten, die da in die Bütt gegangen sind.

Aber auf dem Parteitag von 2015, als Merkel dann in so einer ganz großen Rede ihre Linie verteidigt hat, gab es hinter den Kulissen diese Frage: Gibt es einen Gegenantrag von Bosbach und anderen? Aber letztlich hat sich keiner so richtig rausgetraut. Es gab da ja die Möglichkeit, bei der Aussprache etwas zu sagen, aber die Leute, die sich da geäußert haben, waren eher irrelevant, obwohl man wusste, dass die relevanten Leute auch totale Probleme hatten mit Merkels Linie. Ist das nicht auch schwierig? Sozusagen stänkern hintenrum und vorne wegducken?

Die größten Helden finden Sie an der Theke. Das stimmt. Aber die Frage lautet ja: Welche Kultur wird von vorne vorgelebt? Bei der MIT habe ich das immer so erlebt: Carsten Linnemann hat die Kritiker, von denen er wusste, motiviert, sich zu äußern, und zwar in der Sitzung. Wir haben bei unserem Mittelstandsmagazin eine Rubrik Pro und Contra eingeführt, in der nur MIT'ler gegeneinander antreten, weil wir zeigen wollen: Es gibt auch die andere Meinung. Diese Kultur gibt es bei uns. Und trotzdem sind wir uns in den meisten Punkten sehr einig. Ist ja auch leichter bei 25.000 Mitgliedern als bei 380.000.

Bei Annegret Kramp-Karrenbauer hatte ich aber den Eindruck, dass sie wirklich am Anfang sehr intensiv versucht hat, die verschiedenen Lager der Partei, insbesondere das Merz-Lager, zu versöhnen, doch letzten Endes hat es ihr nichts gebracht. Als dann ein Jahr später der Druck noch größer wurde, auch wegen der Lage in Thüringen und dem Verhältnis zur AfD, war es ja nicht so, dass dann irgendwer in die Bresche gesprungen wäre, bei dem sie sich vorher um Unterstützung bemüht hatte. Sondern letztlich war es so: MIT & Co. wollten Merz oder fanden AKK blöd als Merkel-Klon oder zumindest als sehr Merkel-ähnlich.

Viele sowohl an der Parteibasis als auch bei der MIT wollten halt Merz, unabhängig davon, wer da war.

Sie auch.

Ich wollte auch Merz. Aber ich muss sagen, AKK ist klug und fair mit den verschiedenen Flügeln umgegangen.

Ich sehe da ihre Rolle oder die der MIT ein bisschen als der Geist, der irgendwie das Gute will und das Böse schafft...

...was ist denn „das Böse“?

Mein Eindruck ist, dass es 2021 eine unnötige Wahlniederlage war. Das sagen ja auch Leute wie Jens Spahn: „die unnötigste Wahlniederlage, die, die es je gab“.

Ich glaube, die Wahlniederlage war nötig für die CDU. Genauso, wie es für Personen gilt, gilt es auch für eine Partei, dass es Abnutzungserscheinungen, Ideenlosigkeit und Betriebsblindheit gibt, wenn sie länger an der Macht ist.

Da würde jetzt jeder Mandatsträger, der sein Mandat deswegen verloren hat, oder dessen politische Karriere deswegen beendet ist, ihnen erst mal an den Hals springen und sagen: „Wie können Sie nur sagen, das war wichtig für die CDU? Auf Jahre hinweg hocken wir da in der Opposition.“

Man muss sich doch wieder selbst vergewissern und wissen, wofür man steht. Was sind die Inhalte? Und das passiert hier jetzt mit dem Grundsatzprogrammprozess und mit vielen anderen Debatten. Die CDU muss wieder lernen, politisch intellektuell eine Basis zu bilden, und nicht nur pragmatisch irgendwie eine Regierung zu managen.

Den Grundsatzprozess hat ja schon AKK angestoßen, und ich habe jetzt auch bisher nicht den Eindruck, dass dabei bisher viel rauskommt. Hat sich die Partei gefunden?

Sie ist dabei.

Die Parteitagsbeschlüsse, also die, die ich bisher kenne, haben dann ja eher für noch mehr Unruhe gesorgt.

Die Partei ist dabei, sich zu finden, und Unruhe ist dafür gut.

Und ist der Markenkern der CDU für Sie jetzt erkennbar, was ist jetzt der Markenkern?

Der Markenkern muss sich jetzt in den nächsten ein, zwei Jahren herausbilden. Ich glaube schon, dass die Union wieder mehr Richtung wirtschaftliche Freiheit und innere Sicherheit geht. Das ist in der Öffentlichkeit nicht mehr so stark mit der CDU verbunden, wie es sein sollte. Und genau das ist die Aufgabe, und dafür braucht die Union die Oppositionszeit. In der Regierung kann man das nicht. Ja, klar, würden alle lieber regieren. Aber ich glaube, für die Demokratie und für die CDU ist es gut, dass sie jetzt mal in der Opposition ist.

Wenn Sie jetzt dann künftig die MIT von außen betrachten: Welche Rolle soll die spielen? Also was ist sozusagen das Verständnis von dieser Institution, gerade mit der CDU in der Opposition? Eine Lobbyorganisation?

Nein, höchstens Lobby für die Soziale Marktwirtschaft, aber auf keinen Fall Lobby für Branchen. In der CDU brauchen Sie einen Mahner, quasi das Gewissen für Ordnungspolitik. Und das ist die MIT. Und das ist gar nicht so leicht, weil wir natürlich auch Unternehmer und Branchenvertreter als Mitglieder haben mit ganz speziellen Brancheninteressen. Und das widerspricht manchmal der Sozialen Marktwirtschaft und der Ordnungspolitik. Bei der MIT versuchen wir immer, die Ordnungspolitik hochzuhalten. Das muss der Anspruch der MIT sein. Und deswegen muss sie das auch immer wieder in der CDU deutlich ansprechen. Weil Politiker oft dazu tendieren, den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen oder populäre Dinge zu machen. Und wir müssen dann manchmal auf das Unpopuläre, Notwendige hinweisen.

Apropos: unpopulär. Reden wir über Twitter. Gibt es Dinge, die Sie bereuen, die Sie auf Twitter gepostet haben oder wo Sie sagen würden „Das hätte ich besser nicht gemacht“. Haben Sie auch was gelöscht?

Ja, ich habe zwei, drei Mal Sachen gelöscht und mich entschuldigt. Ich habe das immer transparent gemacht. Ich habe mich auch persönlich manchmal mit Leuten ausgetauscht, um Dinge einzuordnen.

Wollen Sie mal sagen, um welche Themen es da ging?

Nein, weiß ich wirklich nicht mehr. Vergessen ist auch sehr hilfreich manchmal. Twitter ist ein schwieriges Medium, weil es aufgrund der Zeichenobergrenze natürlich zu einer Zuspitzung führt, auch dadurch, dass gerade die Tweets nach oben kommen, die eine gewisse Blase positiv wie negativ ansprechen. Diese Tweets werden dadurch gepusht. Man kann viel Reichweite erzeugen, aber es ist eben immer ein Risiko drin. Twitter ist zweischneidig.

Würden Sie sagen, dass es Dinge gibt, die Sie da getwittert haben, die Ihrem Ansehen auch geschadet haben oder den Anliegen der MIT?

Das ist schwer zu sagen. Es gibt sicherlich Aussagen, die den einen oder anderen provoziert haben oder die dann bei einigen das Image verfestigt haben, die MIT sei zu laut. Aber ich weiß, dass ich über Twitter Leute für die MIT gewonnen habe. Es sind Leute aufgrund meiner Tweets in die MIT eingetreten. Nachweislich. Ich weiß nicht, wie viele ausgetreten sind. Nur von einem weiß ich es.

Sie waren ja früher beim ZDF, und ich kenne trotzdem wenige in der Union, die auch eine so kritische Sicht auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk haben. Man sollte ja denken, dass jemand wie Sie als ehemaliger Journalist vielleicht mehr Verständnis für unsere Sicht oder unser Tun hat. Oder haben Sie den Eindruck, dass Sie vielleicht sogar besser qualifiziert dafür sind, uns zu kritisieren? Wie prägt Ihr Vorleben Ihre Sicht auf die Medien jetzt?

Erstens habe ich natürlich damals schon gesehen, dass beim öffentlich-rechtlichen Rund-funk wahnsinnig viel Geld und Ressourcen verschwendet werden. Umgekehrt habe ich gemerkt, dass an manchen Stellen das Geld dann für die wirklich fundierten Recherchen fehlt. Ich sage deshalb nicht, man soll überall streichen, sondern ich glaube, man muss beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk anders priorisieren. Ich glaube zum Beispiel, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk in der Auslandsberichterstattung besser werden kann: Er sollte Auslandsbüros in Regionen betreiben, selbst wenn die nicht alle zwei Tage fürs „heute journal“ einen Bericht liefern. Das muss man sich einfach leisten, weil gute Information kein Luxus ist. Sondern das gehört zur Daseinsvorsorge. Und das werden sich private Medien so in dem Umfang für elektronische Berichterstattung nicht leisten können. Und zweitens habe ich inhaltliche Bedenken: Ich habe ja eine Haltung, die hatte ich natürlich auch als Journalist. Aber ich glaube, ich selbst habe nie Leute, die ich sehr kritisch gesehen habe, unfair behandelt. Als Journalist nie. Ich erlebe das aber durchaus bei Journalisten, dass sie sehr, sehr einseitig Leute darstellen, auch so überzeichnet, dass es aus meiner Sicht mit der Realität wenig zu tun hat. Und das finde ich unfair. Und das regt mich einfach auf, wenn jemand sehr unfair behandelt wird.

Da ist natürlich die Frage, was versteht man unter unfair? Sie sind ja in einer Partei und damit auch parteilich. Deswegen ist eine Darstellung nicht unbedingt objektiv unfair, son-dern vielleicht nur durch Ihre politische Brille.

Ich gebe Ihnen ein Beispiel, das ich selbst erlebt habe: Als bekannt wurde, dass ich zur INSM wechseln würde, hat der Tagesspiegel online einen Artikel veröffentlicht, in dem ich beschrieben wurde als „selbst für Merz zur reaktionär“. Vielleicht würde Herr Merz nicht alles genauso formulieren wie ich, aber er sieht mich ganz bestimmt nicht als reaktionär an. Was mich an der Sache gestört hat: Dieser Journalist hat den Artikel geschrieben, ohne vorher auch nur den Versuch zu unternehmen, mal mit mir zu reden. Ich kannte ihn gar nicht. Dann habe ich ihn sofort angeschrieben und gesagt, „ich habe als Journalist noch gelernt, wenn man über jemanden berichtet, und jemandem kritisch einordnet, dann redet man noch mal mit ihm – und ich biete mich an, dass Sie das jetzt nachholen“. Und dann antwortete er, er komme gegebenenfalls drauf zurück. Und eine Woche später erschien derselbe Artikel mit der gleichen Umschreibung in der Druckausgabe. Und das meine ich. Das hat nichts mit Journalismus zu tun, sondern das ist Kampagne.

Wenn ich Sie so im persönlichen Gespräch erlebt habe, sind Sie ja wirklich ein fröhlicher, interessierter, toleranter Typ, auch mit Spaß an der Auseinandersetzung, der sich aber auch – so wie ich hoffe – auch mal überzeugen lässt. Wir hatten viel Austausch dieser Art, und ich habe auch viel gelernt über Ihren Teil der CDU, also über die Denkwelt der MIT. Deshalb wundere ich mich, wenn ich Sie in sozialen Medien erlebe. Da schält sich dann das, was ich an Ihnen so schätze, total weg und es bleibt nur dieser scharfe Thorsten Alsleben übrig. Da geht, glaube ich, sehr viel verloren von Ihrer wahren Persönlichkeit.

Vielleicht ist das in der Tat so, dass dieses Medium einen in die falsche Richtung lenkt. Das Medium ist für die Zuspitzung gemacht. Es gibt von mir, durchaus auch öffentlich, bei Twitter Zugeständnisse an die andere Seite. Ich lobe übrigens auch hier und da mal die CDA, was ich so in dem Sinne auch parteiintern von anderen umgekehrt nicht wahrnehme. Aber ich gebe zu, dass das Medium eigentlich nicht für Beliebtheitswettbewerbe geeignet ist. Herr Habeck hat ja auch mal entschieden, nicht mehr dabei zu sein.

Aber da haben Sie ja schon gesagt, es ist nicht vorstellbar für Sie.

Doch, klar ist das vorstellbar. Aktuell mache ich bis Ostern Twitter-Fasten - habe ich schon öfters gemacht. Sehr erholsam.

Wird sich durch Ihre neue Rolle bei der INSM etwas an Ihrem Twitter-Verhalten ändern?

Auf jeden Fall, weil ich ja dann eine andere Rolle habe. Ich bin dann nicht mehr der Werber für eine Parteirichtung, sondern ich muss mit Vertretern aller Parteien in den Austausch kommen, und das möchte ich auch. Das war einer der Gründe, die mich an der Stelle gereizt haben. Es gibt ja nicht nur bei CDU und FDP, sondern auch bei Grünen und SPD Soziale Marktwirtschaftler und auch Leute, die unternehmerisch denken. Und da freue ich mich auf den Austausch. Und ich bin dann nicht mehr in der Verpflichtung, dauernd für eine bestimmte parteipolitische Richtung zu kämpfen, das war ich übrigens den kleinsten Teil meines Berufslebens.

Wenn Sie jetzt verabschiedet werden, was möchten Sie auf dem – sagen wir mal – Grabstein Ihrer Amtszeit lesen?

Bei meiner Abschiedsparty habe ich mir gewünscht, dass keine Grabreden gehalten werden. Deswegen will ich die Metapher eigentlich gar nicht annehmen. Mein Anspruch war mehr als alles, was wir politisch so diskutiert haben, immer: Ich wollte, dass die MIT eine besser und moderner aufgestellte Organisation wird. Bei allem, was wir organisatorisch gemacht haben, waren wir immer sehr, sehr innovativ, progressiv, teilweise avantgardistisch innerhalb der Unionsfamilie. Wir waren die ersten, die digitale Wahlen durchgeführt haben. Wir haben mit der MIT:FUTURA ein preisgekrönt innovatives Veranstaltungsformat kreiert, das andere heute noch in Teilen kopieren. Wir sind auch noch immer die einzige parteipolitische Organisation, die ihre Fachkommissionen rein nach Kompetenz und nicht nach Regionalproporz besetzt. Wir bieten allen Mitgliedern an, sich online zu bewerben, aber mit dem eigenen Profil. Jeder muss also dokumentieren, warum er für diese Position qualifiziert ist. Das gibt es normalerweise nicht in den Parteiorganisationen. Und darauf bin ich sehr stolz, dass wir das durchgesetzt haben. Dadurch sind unsere Kommissionen wirklich top besetzt, vom engagierten Mittelständler, der in der Handwerkskammer aktiv ist, über den Wirtschaftswissenschaftler bis zum Spezialisten in einem Spitzenverband.

Gibt es noch weitere Punkte, wo Sie sagen würden, das sind Meilensteine oder Erfolge, die Sie wirklich erreicht haben?

Politisch? Die Abschaffung der kalten Progression, die zwar nicht im Gesetz steht im Sinne eines Tarifs auf Rädern, die aber vom Bundesfinanzministerium 2015 auf unseren Druck hin so zugesagt worden ist für Zukunft. Und bis jetzt hat sich auch jeder Finanzminister daran gehalten. Das war gleich im ersten Jahr meiner Tätigkeit für die MIT eine Kampagne, und da hat sich die ganze Power einer Parteiorganisation gezeigt. Wenn man zusammen mit CDA und JU über die Kreisverbände geht, dann konnte man auch einen Parteitag drehen, selbst wenn die Bundeskanzlerin, der Finanzminister und alle Top-Funktionäre gegen einen sind.

Und ein Flop, den Sie vielleicht nennen wollen.

Wir wollten 2015 unseren Namen ändern von „Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU“, einfach in „Mittelstands- und Wirtschaftsunion“. Wir hatten drei einstimmige Vorstandsbeschlüsse dazu und auf dem Bundesmittelstandstag ist es uns entglitten, weil dann irgendwelche Widerstände, die unerklärlich waren, hochkamen, und damit fehlte die Mehrheit für die Satzungsänderungen. Und es hat mich geärgert, dass wir uns in so einer wichtigen Sache auf diesen Fall nicht vorbereitet hatten. Vier Jahre später waren wir dann vorbereitet, und die Namensänderung wurde beschlossen.

Jetzt kommen die Satzvervollständigungen, die Sie ja auch immer mit Ihren Interviewpart-nern gemacht haben. Auf meinem Grabstein soll stehen...

Sie haben es aber mit den Grabsteinen. Also: „Er war ein guter Ehemann und Vater und hat die Welt ein bisschen besser gemacht“, wäre schön, aber da ich mir unsicher bin, ob es dasteht, werde ich mich lieber, wie meine Eltern, auf See bestatten lassen.

Mein Fünfjahresplan für die INSM sieht als Herzstück vor...

...zu zeigen, dass Soziale Marktwirtschaft zum Wohle aller Menschen und nicht nur der Unternehmer ist.

Bei meinem ersten Termin bei Bundeskanzler Scholz werde ich...

...dafür werben, dass Unternehmen deutlich weniger reguliert werden und dass dann trotzdem alle davon profitieren. Das glaube ich wirklich.