Akademieabend der MIT Lingen mit Prof. Dr. Haucap - Wettbewerb 4.0: Neuer Wein in alten Schläuchen?

Datum des Artikels 14.11.2016
Basis aktuell

Neue Strukturen durch Digitalisierung brauchen neue Rahmenbedingungen. Die MIT Lingen und das Ludwig-Windthorst-Haus veranstalteten einen Akademieabend mit Prof. Dr. Justus Haucap, Direktor des Düsseldorfer Instituts für Wettbewerbsökonomie.

In seinem Vortrag und der anschließenden Diskussion erörterte der Wirtschaftsprofessor gemeinsam mit den Gästen den durch die Digitalisierung hervorgerufenen Strukturwandel in der Wirtschaft und die erheblichen Veränderungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens – vergleichbar mit der industriellen Revolution. Bisherige Marktstrukturen und Wertschöpfungsketten wandeln sich, Besitzstände werden entwertet, Machtgefüge verändern sich. Zu den Grundprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft gehört die Ermöglichung von Chancen und Chancengerechtigkeit. Eine Politik, die Besitzstände verteidigen will (Google zerschlagen, Amazon regulieren), verhindert sowohl Chancen für Unternehmer als auch Vorteile für Verbraucher. Die Kernfrage sollte nicht lauten, wie neue Technologien und Märkte unter „altes Recht“ gezwängt werden können („Preisbindung für E-Books“, „Ladenöffnungszeiten für Online-Shops“), sondern wie ein Rechtsrahmen aussieht, der zum einen mögliche Fehlentwicklungen und unerwünschte Nebenwirkungen der Digitalisierung verhindert und zugleich Chancen eröffnet und positive Wirkungen nicht unterdrückt.

Durch die Digitalisierung verändern sich Wertschöpfungsketten und der Wettbewerb auf vielen Märkten in erheblicher Weise (und nicht nur da, auch in anderen Bereichen der Gesellschaft). Im wirtschaftlichen Bereich sind folgende Trends auszumachen: Prozessinnovationen durch Digitalisierung (Logistik, 3D-Drucker, Smart XYZ, …), Produktinnovationen durch Digitalisierung (Smarte Haushaltsgeräte, selbstfahrende Autos, …); Plattformen nehmen als Form der Intermeditation zu und lösen klassische Großhandelsmodelle ab (und auch Einzelhandelsgeschäfte).Transportkosten werden weniger wichtig („the death of distance“). Wie beeinflussen diese Trends den Wettbewerb auf den Märkten? Durch das Internet intensiviert sich tendenziell der Wettbewerb in vielen Bereichen. Preis- und Produktvergleiche werden tendenziell einfacher. Die Märkte werden durch Online-Angebote größer. Befördert das Internet zumindest langfristig auch eine Monopolisierung oder zumindest wachsende Konzentration (erhebliche Marktkapitalisierung der GAFA - Google, Apple, Facebook, Amazon)? Dominieren am Ende die Langfristeffekte über die kurzfristige Wettbewerbsbelebung? Internet-Plattformen (Google, eBay, Facebook, Amazon, Uber, AirBnB, …) sind für Ökonomen sog. „Two-sided Markets“ (mehrseitige Plattformen). Der Nutzen der einen Marktseite (z. B. Verkäufer) steigt, je mehr Nutzer es auf der anderen Marktseite (z. B. potenzielle Käufer) gibt. Big Data ermöglicht bessere Prognosen und damit eventuell mehr Produktdifferenzierungen (maßgeschneiderte Produktion, „3D‐Drucker“), vor allem aber mehr Preisdifferenzierungen - Preisdifferenzierung nach Tageszeiten (siehe Tankstellen) und nach Kunden(gruppen). Der Wettbewerb verliert seine Schutzfunktion, wenn alle/viele Kunden unterschiedliche Preise zahlen: Waren träge Verbraucher bisher durch die „Schnäppchenjäger“ geschützt, wird dies zunehmend weniger der Fall sein. Allerdings hat Preisdifferenzierung auch ihre Grenzen in Wettbewerb und Arbitrage. Beispiel Amazon: Marktanteil etwa 80% des Online‐Buchhandels, aber „nur“ 25% des gesamten Buchhandels. Die Buchpreisbindung unterbindet Preiswettbewerb im Buchhandel nahezu (Ausnahme: gebrauchte Bücher, Zugangstarife für E‐Book‐Bibliothek). Der Wettbewerb erfolgt über Beratung, Sortimentsbreite, Standorte, Zahlungsmöglichkeiten, Service usw. Der stationäre Buchhandel fürchtet E‐Books, die Verlage tendenziell auch. Jetzt: Preisbindung für E‐Books. Gesetzlich wird das festgeschrieben, was Kartellbehörden weltweit bekämpfen: Kartelle zu Lasten der Verbraucher. Und: Bildungsfeindlich – Bücher werden teurer! Vielleicht überraschend, aber: Langfristig wird das ein Sargnagel für Verlage und Buchhändler sein, denn: Amazon wird sich zu einer Bibliothek entwickeln! Leute werden Bücher nicht mehr kaufen, sondern Zugang zu einer Bibliothek suchen. Für die flächendeckende Literaturversorgung wird dann ein Internetzugang wichtiger als ein Buchhändler vor Ort. Die Verlage verlieren an Bedeutung (welche Funktion erfüllen sie noch?). Auch Nischenprodukte („the long tail“) haben Chancen. Wie lange wird man noch (aus)gedruckte Bücher besitzen? Wird Amazon der einzige Buchhändler und Verleger werden? Beispiel Uber: Die heutige Regulierung des Taximarktes ist völlig antiquiert, sie dient einzig und al-lein dem Schutz der Taxiunternehmen. Weder Taxifahrer noch Fahrgäste werden durch die heutige Regulierung adäquat geschützt. Die Regulierung des Taximarktes ist ein Fall von kompletten Politikversagen. Die Begrenzung der Lizenzen schadet vor allem den Fahrern, aber auch den Kunden – nutzt allein den Taxi‐Unternehmen und befördert Konzentration. Schwarzarbeit und Steuerhinterziehung blühen im Taxigewerbe. Mindestpreise schaden Verbrauchern ebenfalls. Die Ortskundeprüfung ist heute überflüssig (technischer Fortschritt). Wesentlich sind Versicherungspflichten, sinnvolle Anforderungen an Fahrer und Fahrzeuge und vernünftige Steuerregeln (z.B. anhand von Schwellenwerten). Beispiel AirBnB: Prinzipiell ist das Überlassen kurzfristig privat nicht genutzter Wohnungen sehr sinn-voll. Probleme sind die Zweckentfremdung und die Umgehung von Standards. Das Verbot ist nicht angemessen. Es verhindert sinnvolles Teilen. Besser Beispiel Amsterdam: Shared City‐Programme mit AirBnB, Privatvermietung von bis zu 2 Mo-naten pro Jahr, Einverständnis des Vermieters ist Voraussetzung, AirBnB erhebt eine Ortstaxe und führt diese ab (ähnlich: Paris) und verschärfte Kontrollen gegen illegale „Ferienwohnungen“ Beispiel Medienbranche: Informationen und Meinungen sind heute im Internet verfügbar. Das Mediennutzungsverhalten der Verbraucher ändert sich. Folge: Der Verkauf gebündelter Inhalte wird schwieriger, da es einfacher wird, Informationen aus unterschiedlichen Quellen zusammenzutragen. Anders ausgedrückt: Der Mehrwert der Bündelung und der Vorauswahl von Inhalten nimmt ab. Die Verbraucher stellen sich ihre Inhalte selbst aus verschiedenen Quellen zusammen: Politik vom Spiegel/FAZ, Sport von kicker.de, Wirtschaft vom Handelsblatt, Musikrezensionen von Amazon. Folge: Der Mehrwert der „Komposition“ nimmt ab, Entbündelung der Inhalte. Anders ausgedrückt: Die „Kompositionen“ sind in einem viel intensiveren Wettbewerb, vor allem wenn sie sehr ähnlich sind. Das Alleinstellungsmerkmal für viele Zeitungen sind die regionalen Inhalte. Früher erfolgte der Kauf von Westfälischen Nachrichten, NOZ, RP etc. wegen regionaler Inhalte, der Rest kam gleich mit. Für viele Presseerzeugnisse wird das Geschäft auf dem Lesermarkt daher zunehmend schwieriger (Auflagen seit Jahren rückläufig). Dasselbe gilt für den Anzeigenmarkt: Viele Anzeigen sind ins Internet abgewandert. Die Informationsprodukte sind „grenzkostenlos“ mehrnutzbar – je weniger differenziert/einzigartig ein Inhalt ist, desto eher geht der Preis gegen null. Bezahlmodelle sind durchsetzbar für Presse mit einzigartigen Inhalten, aber sind nicht zwangsläufig das profitabelste Modell. Viele Inhalte sind aus Sicht der Leser „austauschbar“. Rezipienten zahlen jedoch mit ihrer Aufmerksamkeit (Werbung) – je mehr Besucher, desto besser. Welche Rolle spielt der öffentlich‐rechtliche Rundfunk? Wo sind deutsche Unternehmen? Unter den 20 größten Internetunternehmen der Welt ist kein einziges europäisches. Unter den 20 größten Tech‐Unternehmen der Welt ist immerhin SAP. Die öffentliche Hand (E-Government, Open Data) hängt international auch eher hinterher - Expertenkommission Forschung und Innovation (17. Februar 2016): „Digitale Service‐Wüste in deutschen Amtsstuben“. Hinzu kommt, dass Deutschland natürliche Standortnachteile hat (nicht Englisch als Muttersprache, kleiner als USA und China). Die Rahmenbedingungen sind auch weniger gut: sehr strikte Regulierung vieler Bereiche und sehr strikter Datenschutz. Zusammen kann das eine toxische Mischung für den Standort sein. Skepsis in Deutschland: Viele Deutsche sind sehr skeptisch gegenüber vielen Innovationen (Gentechnik, Biotechnologie, Fracking, Digitalisierung….) und gegenüber Infrastrukturvorhaben. Weit verbreitet ist in Deutschland eine sehr skeptische Haltung zur Marktwirtschaft, zu Wirtschaftswachstum und zur Digitalisierung. Warum? Die Digitalisierung krempelt viele Märkte um. Dies bringt Verlierer hervor, die sich dagegen wehren (Beispiele: Buchpreisbindung für E‐Books, Uber‐Verbot, Verbot von (Rx)‐Arzneimittel‐Versandhandel, etc. pp). Wieso hängt Deutschland hinterher? Im B2C‐ und C2C‐Bereich: Englisch ist nicht unsere Muttersprache – Nachteil in einem globalen Markt. B2B‐Bereich: Weltmarktführer dürfen sich nicht ausruhen. Wir werden nie ein deutsches Harvard, Stanford, MIT, Yale, Princeton haben, nicht einmal Berkeley oder U Michigan, auch keine ETH Zürich – deutsche Unis sind Behörden, keine Unternehmen, international zweitklassig (bestenfalls). Der demografische Wandel begünstigt den Stillstand – wenig junge Leute mit neuen Ideen und Mut zur Veränderung, viele alte, die wollen, dass sich nichts ändert, und Stillstand bevorzugen. Folge 1: Es fehlen die Unternehmer, die nicht geboren wurden. Folge 2: Die Mehrheit will den Stillstand bewahren: Uber verbieten, Google zerschlagen, Amazon regulieren, kein Apotheken‐Versandhandel etc.. Der massive Datenschutz ist tendenziell unternehmensfeindlich (die allgemeine Wirtschaftspolitik im Übrigen auch). Zahlreiche Branchen sind völlig überreguliert: Verbot von Uber auf dem Taximarkt, Buchpreisbindung von E‐Books, geplantes Versandhandelsverbot für Rx‐Arzneimittel, Leistungsschutzrecht für Presseverlage, Datenschutz bei Google Street View, „Servicewüste in deutschen Amtsstuben“ (Expertenkommission Forschung und Innovation, 2016: Deutschland hängt beim Thema E‐Government und Open Data im EU‐Quervergleich völlig hinterher…). Fazit: Die Digitalisierung führt zu zahlreichen Prozess‐ und Produktinnovationen mit erheblichen Wachstumschancen. Zugleich bringt die Digitalisierung neue Geschäftsmodelle hervor. Oftmals sind das sogenannte Plattformmärkte. Es kann zu einer hohen Marktkonzentration kommen, deren Auswirkungen für Anbieter und Nachfrager nicht eindeutig (d.h. ambivalent) sind. Maßgeschneiderte Angebote bieten Chancen und Risiken. Digitalisierung und Globalisierung sind komplementäre Prozesse, die sich gegenseitig verstärken. Die Arbeitsteilung entlang der Wertschöpfungskette wird tendenziell weiter zunehmen. Aktuell bietet Deutschland keine guten Rahmenbedingungen für digitale Geschäftsmodelle.Wir brauchen nach der Bundestagswahl eine Reformkommission.