Diese Entwicklung hat vielfältige Ursachen. Sie kann nicht allein auf die Zuwanderungs-krise der Jahre 2015 und 2016 zurückgeführt werden, die gleichwohl ihre Wirkung gezeigt hat. Diese Entwicklung beruht darauf, dass wesentliche Teile des politischen Orientie-rungsrahmens und wichtige Stabilitätsfaktoren für die Politik unseres Landes erodieren oder ganz verloren gehen:
- Die Konfrontation der westlichen Demokratien mit dem totalitären kommunisti-schen Imperium ist überwunden. Der Außendruck, der im Inneren vieles zusam-menhält, ist entfallen.
- Die Westintegration und das europäische Einigungswerk, Eckpunkte christlich-demokratischer Politik, haben für unser Land spezifische historische Aufgaben mit vollem Erfolg erfüllt: den politischen und wirtschaftlichen Wiederaufstieg als ge-achtete und reiche Nation nach dem schwersten politischen Tiefpunkt, in den un-ser Land je schuldhaft geraten ist. Heute bedürfen das Europäische Einigungswerk und das westliche Bündnissystem einer weitergehenden, darüber hinaus weisen-den Legitimation. Und gerade in dieser Lage zeigt die Europäische Union sich bis-lang nur unzureichend fähig, gemeinsame tragfähige Lösungen für zentrale Prob-leme zu finden, z. B. die gemeinsame Währung oder die Kontrolle über die Zuwan-derung. Und der wichtigste Verbündete und Anker der westlichen Gemeinschaft ist dabei, sich vom offenen Welthandel zu verabschieden und eröffnet immer neue Konflikte mit den Verbündeten.
- Die großen sozialen Milieus in unserer Gesellschaft erodieren wie z. B. die konfes-sionellen Bindungen oder die Arbeiterbewegung. Die Bereitschaft, sich dauerhaft an soziale Institutionen zu binden, dem örtlichen Verein, den Kirchen, den Ge-werkschaften, den Parteien schwindet zusehends. Die Gesellschaft individualisiert sich. Die Wahlentscheidungen der Menschen werden immer mobiler.
- Mit dem erheblichen demografischen Wandel unseres Landes, der trotz akuter protektionistischer Tendenzen fortschreitenden Globalisierung der Wirtschaft, dem dramatischen Zuwanderungspotential aus Afrika und Teilen Asiens, dem Kli-mawandel oder dem schnellen technologischen Wandel wie der Digitalisierung, stehen wir vor neuen Zukunftsfragen, für die die Menschen von der politischen Führung Orientierung, einsichtige Lösungen und geordnete Gestaltung erwarten.
- Über 25 Jahre nach dem nicht zuletzt auch wirtschaftlichen Zusammenbruch der kommunistischen Regime in Europa werden kritische Stimmungen gegen markt-wirtschaftliche und liberale Konzepte wieder lauter und kräftiger. „Neoliberal“ ist ein politischer Kampfbegriff geworden, mit dem marktwirtschaftliche Ordnung pauschal abgelehnt wird. Das gilt nicht nur für das linke politische Spektrum, son-dern auch für die angewachsenen rechtspopulistischen Parteien und Bewegungen.
Im Zuge dieser Entwicklung ist das politische Profil der CDU, statt solchen Zukunftsanfor-derungen zu genügen, immer unklarer geworden. Worin sich ihre Politik von den politi-schen Mitbewerbern unterscheidet, wird immer weniger erkennbar. Wirkliche Kompro-misse kann es nur geben, wenn man mit klaren eigenen Vorstellungen verhandelt. Die CDU hat darüber die Unterstützung vieler Mitglieder und Anhänger verloren. Diese Stra-tegie ist nun im Kern gescheitert. Ein neuer Anfang ist erforderlich.
Aufbruch zur Erneuerung der CDU mit einem neuen Grundsatzprogramm
Die CDU kann den Negativtrend nur aufhalten und in sein Gegenteil umkehren, wenn sie sich gründlich erneuert. Dabei kann und muss die Diskussion eines neuen Grundsatzpro-grammes der CDU eine wichtige Rolle spielen. Entsprechend intensiv und offen muss sie geführt werden. Die CDU muss sich darin der Grundlagen ihrer Politik aus dem christli-chen Menschenbild neu vergewissern. Sie muss daraus nachvollziehbar die Leitlinien und ordnungspolitischen Konzepte für die verschiedenen Politikfelder folgern und anschlie-ßend in konkrete Lösungen für die wichtigsten politischen Zukunftsfragen umsetzen und auf diese Weise Zukunftsthemen und Kompetenzen mit ihrem Namen verbinden. Kern-punkte dafür sind:
- Das Ordnungsmodell der Sozialen Marktwirtschaft ist unverändert modern. Auch heute gehört ihm die Zukunft. Im Spannungsfeld von Freiheit und Verantwortung gestaltet die CDU bestmögliche Lösungen für eine faire Globalisierung, die In-tegration Europas, den Klima- und den Umweltschutz und die künftige soziale Si-cherung.
- Innere und äußere Sicherheit müssen unverzichtbare Markenkerne der CDU blei-ben. Der Nationalstaat kann sie heute nicht mehr allein gewährleisten. Sicherheit ist nach der wirtschaftlichen Integration ein neuer Schwerpunkt, der das europäi-sche Einigungswerk wieder voranbringen soll und muss.
- Die CDU ist die Partei für technologischen und wirtschaftlichen Fortschritt. Sie ist nicht die Partei des status quo, sondern der Zukunftschancen. Sie erkennt die un-ausweichliche moralische Ambivalenz vieler unserer immer weiter reichenden Handlungsmöglichkeiten als Grundbedingung menschlicher Existenz. Wir wollen unvoreingenommen neue Chancen nutzen und zugleich Missbrauch zu Lasten der Menschenwürde verhindern.
10 Leitlinien für ein neues Grundsatzprogramm der CDU
Die Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU hat 2017 ihr erstes umfassen-des Grundsatzprogramm beschlossen. Die MIT hat damit als Repräsentantin wichtiger Teile unserer Gesellschaft und Kernwählerschichten der Union ihren Beitrag zur pro-grammatischen, ordnungspolitischen und strategischen Erneuerung christlich-demokratischer Politik vorgelegt. Sie hat sich eine Richtschnur für ihre Entscheidungen und Forderungen zu akuten politischen Fragen gegeben, an der sie ihre konkreten Lö-sungsvorschläge ausrichtet. Sie bezieht aus ihrem Grundsatzprogramm diese 10 Leitlinien für neues Grundsatzprogramm der CDU:
1. Das neue Grundsatzprogramm der CDU muss das christliche Bild vom Menschen und der Gesellschaft beschreiben:
- die unantastbare Würde des Menschen, die auf seinem Schöpfer beruht,
- die Irrtumsfähigkeit und Vorläufigkeit seines Handelns, aus der Politik und Wirtschaft als notwendige, aber in ihrem Anspruch begrenzte Bereiche des Le-bens folgen,
- die dem Menschen eigene Freiheit und Selbstbestimmung, der persönliche Verantwortung und damit Haftung für sein Handeln sowie Bindungen und Zu-gehörigkeiten gegenüberstehen.
Aus diesem Menschenbild muss das Grundsatzprogramm die Aktualität und Zukunfts-fähigkeit des Gesellschafts- und Wirtschaftsmodells der Sozialen Marktwirtschaft entwickeln
- mit Markt und Wettbewerb als wirtschaftlichem Ordnungsprinzip,
- mit dem Recht auf Eigentum, das im eigenen Interesse und nach Regeln im Sin-ne des Gemeinwohls eingesetzt werden soll,
- mit dem Prinzip der Subsidiarität, das den Vorrang der Verantwortung eines je-den für sich selbst bestimmt,
- mit der Rolle und den Aufgaben von Unternehmern, Selbständigen, beschäftig-ten Mitarbeitern und Verbrauchern,
- mit der Rolle des Staates als Garant von fairer Ordnung und gleichem Rechts-schutz für alle, aber nicht als Lenker des Wirtschaftsprozesses, als Garant der Hilfe für Bedürftige, als Gestalter einer Ordnung für Daseinsvorsorge und sozi-ale Sicherung.
2. Das neue Grundsatzprogramm der CDU muss die Grundzüge für ein in sich schlüssiges Konzept für die Zukunft der Europäischen Union enthalten
- mit einer Kritik an den Aufgaben der EU im Sinne des Subsidiaritätsprinzips,
- mit einer Überprüfung und Weiterentwicklung der wirtschaftlichen Integration und einer reformierten Währungsunion nach dem Ordnungsmodell der Sozia-len Marktwirtschaft, bei der die Maßstäbe des Wettbewerbs und der Haftung aller Beteiligten für ihre Handlungen und Entscheidungen konsequent befolgt werden und eine Insolvenzordnung für die Eurostaaten eingeführt wird, mit mehr Binnenmarkt und weniger Zentralisierung und konsequentem Einsatz für offene Weltmärkte,
- mit tragfähigen gemeinsamen Grundregeln der Zuwanderung von Asyl, Hilfe für Flüchtlinge vor Krieg bis zur geregelten Zuwanderung in den gemeinsamen Arbeitsmarkt nach den Bedürfnissen der Wirtschaft und leistungsfähigem Schutz der gemeinsamen Außengrenzen,
- mit immer mehr gemeinsamer Außenpolitik und Politik für die innere und äu-ßere Sicherheit als neuer Triebfeder des europäischen Einigungswerkes,
- mit einer Verständigung der Europäischen Union über ihre künftigen geogra-phischen Grenzen.
3. Das neue Grundsatzprogramm der CDU muss ein in sich schlüssiges Konzept für die Zuwanderung nach Deutschland enthalten, in dem die Grenzen der Aufnahmefähig-keit und der Integrationsfähigkeit unseres Landes gewahrt werden und in dem der Be-darf unserer Wirtschaft nach Fachkräften, deutlich vereinfachte und schnellere Asyl-verfahren, die Aufnahme von Hilfsbedürftigen durch Kriege und Katastrophen ver-antwortlich mit einander verbunden werden, mit dem illegale Einwanderung zuverläs-sig verhindert werden kann und das die hierzu notwendige Zusammenarbeit in der Eu-ropäischen Union auf eine stabile Grundlage stellt.
4. Das neue Grundsatzprogramm der CDU muss das Ziel einer grundlegenden Erneue-rung des Föderalismus enthalten mit klarer Aufgabentrennung und einer Entflechtung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern nach dem Grundsatz der Kon-nexität.
5. Das neue Grundsatzprogramm der CDU muss das Ziel eines einfachen und gerechten Steuersystems für Deutschland bekräftigen, das sich mit absoluten Vorrang an dem Prinzip der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit und dem ständig zu überprüfenden Finanzbedarf des Staates orientiert, bei Verzicht des Staats darauf, mit einem immer komplexeren Steuerrecht die wirtschaftlichen Entscheidungen von Unternehmern und privaten Haushalten steuern zu wollen.
6. Das neue Grundsatzprogramm der CDU muss eine ordnungspolitische Neubestim-mung der Klima- und Energiepolitik unseres Landes nach den Maßstäben der sozialen Marktwirtschaft und mit technologischer Offenheit enthalten mit einer klaren Ab-grenzung zur planwirtschaftlichen, teuren und unsozialen Förderung einzelner Ener-gietechniken.
7. Das neue Grundsatzprogramm der CDU muss Wege für die Aufrechterhaltung und Fortentwicklung der sozialen Sicherung und der Altersvorsorge im Generationenver-trag angesichts der bestehenden demografischen Entwicklung aufzeigen, mit der Un-ternehmen und Erwerbstätige nicht übermäßig belastet werden. Dazu gehören der Verzicht auf weitere Leistungsansprüche an die Rentenversicherung, die über den Kern der Versicherungsaufgabe hinausgehen und freiwillige, flexible und anreizgeför-derte Wege zu einer verlängerten Lebensarbeitszeit, deren Dauer an die Entwicklung der Lebenserwartung gekoppelt werden muss, sowie eine Stärkung und verbesserte Wege der betrieblichen und privaten Altersvorsorge.
8. Das neue Grundsatzprogramm der CDU muss Offenheit und Gestaltungswillen für wissenschaftliche und technische Innovationen zum Maßstab christlich demokrati-scher Politik machen. Dazu zählen der Prozess der Digitalisierung, aber auch weitere Felder wie z. B. die Medizin, die Chemie, die Biotechnologie, die Gentechnik und ande-re. Das neue Grundsatzprogramm muss Innovation als eine Querschnittsaufgabe für die gesamte Gesellschaft begreifen, die neue Chancen mutig aufgreift, undifferenzier-te Dämonisierung neuer Technologien hingegen ablehnt und sich nicht auf Risi-kovermeidung und den status quo beschränkt. Es muss zugleich den verantwortlichen und menschenwürdigen Gebrauch von Innovationen immer im Blick haben.
9. Das neue Grundsatzprogramm der CDU muss Bildung als eine zentrale staatliche Auf-gabe beschreiben. Denn Bildung ist der Schlüssel zu Freiheit, Wohlstand und Gerech-tigkeit in einem selbstbestimmten Leben und einer der wichtigsten Standortfaktoren für eine erfolgreiche Wirtschaft. Bildung ist Kernkompetenz der Bundesländer. Die Bildungspolitik der CDU sollte aber länderübergreifend als Politik im gleichen Sinn er-kennbar sein. Akademische Bildung und Berufsbildung sind zwei gleich wichtige Bil-dungsbereiche. Angesichts des Fachkräftemangels bedarf die berufliche Bildung im dualen System einer deutlichen Stärkung.
10. Das neue Grundsatzprogramm der CDU muss die elementare Rolle der Familie für die Existenz der Menschen bekräftigen und darstellen, wie der besondere verfassungsmä-ßige Schutz von Ehe und Familie zukünftig gewahrt werden soll. Es muss Wege aufzei-gen, wie familiäre Aufgaben und Nachkommenschaft mit Erwerbstätigkeit flexibel und individuell zu verbinden sind und damit auch Wege aus einer problematischen Überal-terung der Gesellschaft aufzeigen.
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