Industrie 4.0: Chancen für den Mittelstand

Datum des Artikels 06.05.2017
Beschluss

Dass unsere Gesellschaft und Wirtschaft zunehmend vernetzt sind, ist eine inzwischen bekannte Realität. Zeitsparendere Fahrrouten basieren auf den Bewegungsdaten des Nutzers und werden mit den Verkehrsberichten verknüpft. Bei Produktsuchen und Bestellungen im Internet sagen Algorithmen voraus, für welche Produkte man sich sonst noch interessiert. Passende Vorschläge werden dann unterbreitet. Gesammelte Nutzerdaten bestimmen die Produktportfolios und optimieren die Entwicklungs- und Herstellungsprozesse.

Dies alles ist keine neue Erkenntnis. Aber es ist der Grundstein für die massive Beeinflussung unserer Lebens- und Arbeitsumwelt heute und in der Zukunft. Vernetzung vereinfacht und beeinflusst den Alltag und macht ihn punktuell auch komplizierter. Durch mobile Endgeräte, Apps und der rasanten technischen Entwicklung, entstehen immer neue Möglichkeiten und Herausforderungen in immer kürzeren Intervallen. Dabei hat diese Vernetzung gerade erst angefangen.

Aber die Digitalisierung ist mehr als Vernetzung. Sie ist Entwicklungs- und Produktionsmotor für unser Land.
Mit dem vorliegenden Antrag rücken wir die Auswirkungen des digitalen Wandels auf die mittelständisch geprägte Industrie in den Fokus.

Was ist Industrie 4.0?

Industrie 4.0 ist zum einen vernetzte Produktion. Maschinen erkennen Materialien, Rohstoffen und Produktionsteile anhand von Barcodes und Sensoren. Sie kommunizieren untereinander. Sie melden, welcher Produktionsschritt als nächstes ansteht, aus welchen Bestandteilen das zu verarbeitende Material ist. Sie melden, wann die Anlage mit neuem Material bestückt oder gewartet werden muss.

Sie lernen aber auch hinzu. Sie nutzen riesige Datenmengen aus den eigenen Prozessen, um diese Prozesse zu optimieren. So lernen IT-Systeme selbst hinzu. Produktionsprozesse werden mobil. Fabrikkomponenten werden von Mitarbeitern auf dem mobilen Endgerät von Zuhause oder unterwegs gesteuert, gewartet und verändert. Durch die Analyse von Daten, deren Vernetzung und der Verbindung von virtueller und künstlicher Intelligenz entstehen cyber-physische Systeme. Dies ist eine systemübergreifende Vernetzung von Menschen, Produkten und Maschinen, die eine neue Komplexität der Produktion ermöglichen. Dabei geht es vorrangig nicht allein um die Produktivitätssteigerung und den bloßen Einsatz von neuen Technologien, sondern um eine bisher ungekannte Flexibilisierung von Produktion und Logistik und damit um die Möglichkeit, Optimierungspotenziale auszuschöpfen.

Und dies alles basiert auf Vernetzung. Bis Ende 2020 werden voraussichtlich zwischen 50 und 200 Milliarden Geräte vernetzt sein, wodurch Ressourceneinsparungen von bis zu 50 Prozent erwartet werden. Nach Einschätzungen des Fraunhofer Instituts für Arbeitswissenschaft und Organisation (IAO) können Unternehmen ihre Produktivität um 30 Prozent steigern. Damit wird auch die Einordnung von Industrie 4.0 als vierte industrielle Revolution schlüssig, denn auch sie verändert Wirtschaft, Leben und Arbeiten des Einzelnen und Gesellschaft, wie zuvor die Einführung von Dampfmaschine, Fließband und Roboter.

Industrie 4.0 eröffnet Herstellern die Chance, über in Produkten integrierten Sensoren per Online-Überwachung jederzeit zu ermitteln, in welchem Zustand die Anlage ist (Condition Monitoring). Damit kann der Hersteller die Wartung oder den Aus-tausch von Komponenten nach Bedarf organisieren und dem Kunden eine zusätzliche Leistung anbieten. Durch Aggregation der Daten aller seiner im Einsatz befindlichen Anlagen erfährt er zudem mehr über seine eigenen Produkte als er jemals vorher in Testumgebungen erheben konnte und kann diese somit optimieren. Gerade hier liegt ein hohes Potenzial sowohl für die Produktion als auch für neue Geschäftsmodelle.

Industrie 4.0 ist daher mehr als bloß vernetzte Produktion. Industrie 4.0 zwingt Unternehmen dazu, bisher erfolgreiche eigene Geschäftsmodelle in Frage zu stellen und durch neue zu ersetzen, um nicht durch neu entstehende oder bislang marktfremde Unternehmen aus dem Markt gedrängt zu werden.

Ursache hierfür ist die Veränderung des Kundenverhaltens durch die voranschreitende Digitalisierung. So werden Kunden im Rahmen des Internet der Dinge künftig stärker Leistung und Service anmieten anstatt Produkte zu kaufen (sogenanntes Contracting). Aus Käufern werden Nutzer:

  • Statt eine Heizungsanlage zu kaufen, einbauen zu lassen, warten zu lassen, Öl oder Gas zu bestellen etc., könnte zukünftig der Nutzungsvertrag stehen. Der Anbieter garantiert dem Nutzer Wärme und Warmwasser für das Haus, ohne dass er sich selbst noch um Kauf, Einbau, Wartung oder Brennstoff kümmern muss. Möglich macht das digitale Technik: Der Anbieter von Haustechnik wird von der beim Nutzer installierten Heizung ständig darüber informiert, wie lange der Brennstoff noch reicht oder welche Teile der Anlage gewartet und ggf. ausgetauscht werden müssen, damit es keinen Defekt gibt.
  • Statt ein Auto zu kaufen, Parkraum zu mieten, einen Versicherungsvertrag abzuschließen, Reifen- und Ölwechsel durchzuführen, Reparaturen in Auftrag zu geben und an die regelmäßige Hauptuntersuchung zu denken, wird im Rahmen der Share Economy nur ein Vertrag mit einer Carsharing-Plattform geschlossen. Diese gewährleistet dem Nutzer immer und überall Mobilität, ohne dass er sich um Dinge wie Versicherung, Steuer oder Wartung selbst kümmern muss.

Dies hat gravierende Auswirkungen auf die bestehenden Geschäftsmodelle produzierender Unternehmen. Die Frage für unseren Mittelstand ist: Ist er zukünftig selbst Anbieter von Leistungen oder ist er reiner Zulieferer anderer Unternehmen. Industrie 4.0 wird nur dann eine Erfolgsgeschichte für den Standort Deutschland, wenn hier die Gesamtlösungen angeboten und vermarktet werden und wir nicht zur Werkbank von google, amazon und anderen werden. Werkbank können andere Weltregionen billiger.

Wo steht Deutschland dabei?

Industrie 4.0 kann für Deutschland ein ökonomischer Segen werden. In kaum einem anderen Land sind so viele Unternehmen in der Lage, ähnlich komplexe Produkte im Bereich der IT-Industrie herzustellen wie in Deutschland. Intelligente Netzwerksysteme, Sensoren, Schnittstellen und Maschinensoftware sind nirgends so ausgereift wie in Deutschland. Der Innovationsvorsprung dieser meist mittelständischen Unternehmen ist groß. Wenn wir bedauern, dass es keinen großen Player im Internet aus Deutschland gibt, so können wir hervorheben, dass im „Internet der Dinge“ viele deutsche Unternehmen Marktführer sind.

Was muss Politik tun?

Dadurch, dass diese Innovationen nicht nur im Fabrikgebäude und in den Entwicklungsabteilungen der Unternehmen stattfinden, sondern diese Vernetzung unser aller Alltag und die Arbeitswelt verändert, muss auch Politik umdenken. Die Beschäftigung mit Arbeitszeitverordnungen, Renteneintrittsaltern und Arbeitsplatzverordnungen in einer regulativen Art und Weise sind Signale dafür, Chancen nicht zu erkennen. Wir stehen für einen anderen Ansatz. Wir wollen die Chancen nutzen. Die Menschen können durch die Verbesserung von Lebensqualität, Wohlstand und Flexibilität von diesen Entwicklungen profitieren. In Gesetzen müssen Chancen eröffnet werden, diese Arbeitswelt zu leben und zu gestalten und gleichzeitig Privates dort zu schützen, wo der Einzelne es will. Diese digitale Revolution ist eine Chance für die Eigenverantwortung, die wir als Wert hochhalten.

Unsere Erkenntnis heißt: Entweder es kommt zu Deregulierung in vielen dieser Bereiche oder zu Deindustrialisierung – und zwar diesmal nicht im Massenproduktionssektor sondern im technologisch getriebenen Innovationssektor.

Handlungsfelder:
Intelligente Vernetzung findet überall statt und prägt die Industrie der Zukunft

Big Data - Smart Data ist Voraussetzung von Vernetzung

Industrie 4.0 basiert auf der Handhabung von komplexen Prozessen und der Verarbeitung umfangreicher Informations- bzw. Datenmengen. Laut der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (2013) bieten solche Big Data-Anwendungen ein Potential von 300 bis 350 Milliarden Euro durch Umsatzzuwächse bis 2020. Daten sind der „Rohstoff“ und die Grundlage der Entwicklung. Durch die technologischen Fortschritte sind Rechenleistung und Speicherkapazitäten preiswert geworden. Heute besuchen monatlich 800 Millionen Nutzer den Google-Videodienst YouTube und laden pro Sekunde eine Stunde Videos hoch. Menschen wählen IP-Adressen an und hinterlassen damit digitale Spuren. Diese Daten werden aggregiert und für wirtschaftliche Prozesse genutzt. Verbraucherverhalten wird vorhersagbar. Veränderungen in diesem Verhalten frühzeitig erkennbar.

Die bloße Sammlung von Daten bringt jedoch an sich keinen Mehrwert. Es ist die hohe Verarbeitungsgeschwindigkeit und Nutzung dieser verschiedensten Quellen, die einen wirtschaftlichen Nutzen erzeugen. Daten werden verknüpft. Nicht mehr die Kausalität (warum), sondern die Korrelation (was) ist dabei entscheidend. Datenintelligenz entsteht durch die schnelle Verarbeitung riesiger Datenmengen zur Gewinnung von Wahrscheinlichkeiten. Diese Daten sind Grundvoraussetzung der vernetzten Industrie und Wirtschaft.

Smart Devices als Mittel der Datenerfassung für die Industrie

Smart Devices sind elektronische Geräte, welche mobil und kabellos vernetzt und mit Sensoren ausgestattet sind. Sie lassen sich durch den eigenständigen Daten- und Informationsaustausch gegenseitig steuern - bei Bedarf weltweit und ohne Rücksichtnahme auf Zeitzonen und Öffnungszeiten. Jede Maschine und jedes Werkstück in diesem Verbund aus verschiedensten Komponenten (elektronisch und mechanisch), hat eine eigene Internetadresse. Dadurch sind die Objekte jederzeit eindeutig identifizierbar und lokalisierbar. Gleichzeitig können Rückschlüsse durch die Kommunikation in Echtzeit und die Datenauswertung der Produkte über Ihren Lebenszyklus/Nutzungszyklus hinweg gezogen werden. Maschinen liefern über Sensoren, Kommunikation und Messwerte Daten im Überfluss – aus Big Data wird durch Algorithmen und Knowhow-Austausch über ländergrenzen hinweg Smart Data.

Bei der Entwicklung und beim weltweiten Vertrieb dieser intelligenten Komponenten ist Deutschland Vorreiter. Hier besteht unsere Wettbewerbsstärke. Die wirkliche IT-Ingenieurskunst findet in diesem Sektor statt. Im Bereich der Haustechnik ist das deutsche Handwerk Maßstab weltweit. Um intelligente Gebäude durch intelligente Zähler mit dem intelligenten Netz zu verknüpfen, ist das hochkompetente deutsche Handwerk das entscheidende Bindeglied. In der industriellen Prozesssteuerung ist Deutschland führend. Politik muss das erkennen und gezielt weitere Innovationen in diesem Bereich fördern und erleichtern.

Smart Production - clevere Produktionsprozesse

Durch den schnellen Wandel in den Wünschen der Verbraucher und der Erforschung neuer, besserer Technologien nimmt die durchschnittliche Lebenszeit von Produkten immer weiter ab. Gleichzeitig erhöht sich der Wunsch nach Individualität und einer großen Anzahl an Varianten jeden Produktes enorm.

Industrielle Produktionsanlagen können nicht mehr wie früher über Jahrzehnte das gleiche Produkt fertigen, sondern müssen schnell einsatzbereit sein und sich idealerweise auch einfach auf neue Produktvarianten rekonfigurieren lassen. Bei der Mass Customization (kundenindividuelle Massenfertigung) können individualisierte Produkte bis zur Losgröße 1 zu Massenartikelpreisen hergestellt werden. Kunden und Geschäftspartner werden integriert (Supply Chain Management), da sie direkten Einfluss auf die Gestaltung und die Anforderungen an das Produkt nehmen können. Zudem kann auf schwankende Märkte unmittelbar reagiert werden. Gleichzeitig trägt jeder Partner nur einen Teil zum Gelingen in dem komplexen Wertschöpfungsnetzwerk bei. Damit steigen die Austauschbarkeit und der Druck, eine exakte vorher definierte Qualität zu liefern. Innovationen entstehen in Zukunft an den Schnittstellen von Branchen und Märkten. Hierfür wird es neue Kooperations- und Geschäftsformen geben müssen.

Smart Factory – ein anfassbares Beispiel

Durch Industrie 4.0 werden alle Wertschöpfungsketten miteinander vernetzt: horizontal (dem Produkt bzw. der Anlage folgend) und vertikal (über alle Hierarchien eines Unternehmens). Sie sind der Ort, an dem kundenspezifische Produkte und kundenspezifische Produktionsprozesse mit der mitarbeiterspezifischen Arbeitsgestaltung aufeinandertreffen. In der Produktion ist jederzeit die Ist-Situation in Echtzeit abrufbar. Neben einer ressourcenschonenden und urbanen Produktion sind so auch statistikbasierte und simulationsbasierte Optimierungsmaßnahmen möglich. Lange Testverfahren entfallen. Cyber-physische Systeme erlauben den Einsatz dezentraler Steuerungsmechanismen (Modularisierung und Komplexitätsbeherrschung). Voraussetzung für die Einführung der Industrie 4.0 sind allerdings klar definierte Prozesse und Zusammenhänge.

Um es anfassbar zu machen: Die Fabrik der Zukunft ist 24 Stunden in Betrieb oder im Stand-By. Sie produziert individuelle Fertigungsstücke mit hohem Automatisierungsanteil. Sie wartet sich selbst oder zumindest erfasst sie notwendige Wartungsarbeiten in Echtzeit. Die Massenfertigungsfabrik steht heute nur noch selten in Deutschland, aber ihre Komponenten, ihre technischen Prozesse sind sehr oft in Deutschland erdacht worden. Hochtechnologische Präzisionsteile werden weiterhin in Deutschland gefertigt. Aber warum sollen diese Großfabriken in Zukunft nicht auch wieder hier vor Ort entstehen? Der Personalkostenanteil sinkt aufgrund hoher Automatisierung. Und das macht auch wieder Endfertigung in Nordrhein-Westfalen interessant.

Smart Services

Unternehmen überführen heute nicht mehr alleine Ideen in marktfähige Innovationen. Vielmehr ist systemübergreifendes Know-how und die Kooperation von verschieden Branchen sowie die enge Anbindung an Innovationszentren und Forschungseinrichtungen nötig. Es wird nicht mehr nur die Ingenieurleistung und Qualität eines Produktes kaufentscheidend sein, sondern Produkte treten durch die Vernetzung in den Hintergrund. Was den ökonomischen Mehrwert bringt, sind die verknüpften Dienstleistungen/Zusatznutzen durch den Einsatz und die Auswertung von Daten. Das hat zur Folge, dass Kunden vermehrt Leistungen und Services anmieten werden, anstatt Produkte zu kaufen. Der Besitz wird der Nutzung untergeordnet. Aus Käufern werden Nutzer und dies ist sichtbar an den Beispielen Streaming, Carsharing und dem Kauf von Haushaltstechnik.

Guter, innovativer Service auf Basis von Vernetzung bietet dem Kunden Komfort - vor allem bringt er Zeit. Zeit, die der Mensch neu und anders nutzen kann. Am Beispiel des autonomen Fahrens wird dies deutlich. Das sichere Bewegen eines Fahrzeuges im Straßenverkehr kostet Zeit. Die in diesem Vorgang parallel möglichen Handlungen sind sehr begrenzt. Derzeit schreitet die Entwicklung selbstfahrender Autos, wie Google und das chinesische Unternehmen Baidu aber auch deutsche Hersteller sie vorbereiten, voran. So entsteht Zeit für den Fahrer.

Aber Zeit ist kein Wert an sich. Der Mensch ist in der Lage, diese Zeit zu füllen. Wir als Politik sind aufgerufen, ihm das zu ermöglichen. Und zwar so, dass er dabei frei und eigenverantwortlich wählen kann. Arbeiten im Fahrzeug, Benutzung von Kommunikationsmitteln. Er kann diese Zeit privat oder beruflich nutzen. Dies ist sein freier Wille und muss es sein.

Smart Work - Veränderung der Arbeitswelt

Die Veränderungen auf die Produktion haben gravierenden Einfluss auf Arbeitsinhalte und Arbeitsprozesse. Laut einer Studie der ING-DiBa, sind 18,3 Millionen Arbeitsplätze, das entspricht 59 Prozent aller sozialversicherungspflichtigen und geringfügig Beschäftigten Arbeitsplätze, - allein in Deutschland - in ihrer jetzigen Form von der zunehmenden Technologisierung bedroht.

Die Digitalisierung muss uns keine Angst vor Arbeitslosigkeit machen. Schon heute stanzen, schweißen und lackieren in deutschen Fabriken rund 130.000 Industrieroboter, 100.000 mehr als in Frankreich. Und trotzdem ist die Arbeitslosenquote beim Nachbarn gut doppelt so hoch. Statt mit Massenarbeitslosigkeit, wie noch in den 80er und 90er Jahren, kämpft die heimische Wirtschaft mit Fachkräftemangel. Allerorten fehlt es an technisch ausgebildetem Nachwuchs. Welche Auswirkungen die Entwicklung abschließend auf die Arbeitswelt haben wird, ist derzeit noch nicht abschätzbar und stellt eine enorme gesamtgesellschaftliche Herausforderung dar. Chancengleichheit bleibt geboten.

Klar ist, dass sich Berufe wie wir sie heute kennen verändern werden. Und: Obwohl es technische, organisatorische und personelle Auswirkungen durch die Selbstorganisation der Prozesse geben wird, wird der Mensch ein entscheidender Faktor bleiben. Der Mensch wird von Routinearbeit entlastet, und Assistenzsysteme unterstützen ihn bei komplexen Design- und Planungsprozessen. Monotone und sich wiederholende Tätigkeiten werden, wie auch in den vorangegangenen industriellen Revolutionen, von Maschinen übernommen. Anspruchsvolle Tätigkeiten werden hingegen zunehmen. Mitarbeiter werden mehr Verantwortung übernehmen und innerhalb des Prozesses die korrigierenden Faktoren sein. Damit wird Weiterbildung zum Bestandteil der Arbeit, denn Industrie 4.0 fordert nicht nur leistungsfähige IT, sondern auch qualifizierte Mitarbeiter, die sie bedienen und überwachen können.

Starre Arbeitszeiten und die Vorstellung, dass eine gewisse Anzahl Arbeitsstunden an einem bestimmten Ort erbracht werden, werden für viele ein Relikt der Vergangenheit sein.

Mitarbeiter werden ihre Arbeitszeiten dem Privatleben anpassen können. Es wird Projektorientierte Tätigkeiten geben. So ist es keine Utopie mehr, dass der Mitarbeiter von zuhause die Maschine schon mal startet oder abends nach dem Abendessen und dem Ausflug mit der Familie noch mal in die Fabrik geht, um ein Projekt zu vollenden.

Auch hier passen Gesetze und Realität dann nicht mehr zusammen. Ist dies Arbeitszeit und soll der Staat sich zukünftig überhaupt in die Arbeitszeit der Menschen einmischen? Passen die Lebensarbeitszeiten überhaupt mit den beruflichen Zielsetzungen der Menschen zusammen? Der Staat wird von der realen Arbeitswelt überholt. Wie soll ein Arbeitsplatz bewertet werden, der immer am Handgelenk des Menschen ist, wenn er es möchte?

Auch die Vorstellung, ein Mensch habe genau eine Arbeit, einen Beruf, wird für immer mehr Menschen der Vergangenheit angehören. Menschen, die Zeit gewinnen, werden zumindest zum Teil, diese wieder für sich nutzbringend investieren. Die Grenzen zwischen Arbeitnehmern und Selbständigen verschwimmen schon heute. Menschen haben neben reinen Arbeitsverhältnissen zunehmend Beraterverträge, Honorarverträge. Möglicherweise ist der Werktätige der Zukunft Unternehmer, Berater, Investor und Arbeiter zugleich.

Diese Menschen speisen ihr Einkommen aus immer weiter differenzierten Quellen. Die Abbildbarkeit in Sozial- und Rentenversicherungssystemen wird schwierig oder gar unmöglich. Arbeits-, Haftungs- und Versicherungsrecht wird einfachere Regeln finden müssen, um dem zu begegnen. Dies stellt auch die soziale Gesetzgebung vor neue Herausforderungen.

Smart Deutschland

Unser Land und vor allem seine Politik sind gut beraten, dies aufzunehmen und die bestehenden Rechtssysteme schnellstmöglich anzupassen.
Innovationen passen sich nicht Rechtsordnungen an. Rechtsordnung passen sich Innovationen an. Je schneller, desto erfolgreicher und wettbewerbsfähiger ist das Land.

Die Startchancen unseres Landes sind denkbar gut. Bei Produktionstechnologien, bei eingebetteten Systemen, welche Produktionsprozesse überwachen und steuern, sind unsere Unternehmen führend. Diese Unternehmen, meist industrieller Mittelstand, haben die Erfahrung, komplexe Wertschöpfungsketten und Netzwerke zu managen. Damit unser Land diese Wettbewerbs- und Standortvorteile voll ausnutzen kann, sollten Innovationen und neue Technologien zuerst hier realisiert werden, um die Wettbewerbsfähigkeit zu halten. Innovationsorientierte Wirtschaftspolitik muss über Regulierungs- und Umverteilungspolitik gestellt werden.

Deutschland braucht die Industrie der Zukunft

Damit Industrie 4.0 erfolgreich umgesetzt werden kann, braucht es geeignete Rahmenbedingungen. Voraussetzung für die Nutzung der digitalen Revolution ist der erfolgreiche Ausbau der digitalen Infrastruktur. Das ist der unverzichtbare erste Schritt, für dessen Umsetzung wir Vorschläge unterbreiten. In engem Zusammenhang hiermit rücken für die Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU7CSU zusätzlich weitere wichtige Themen in den Fokus:

Vernetzte Infrastruktur

Wirtschaft und Industrie brauchen ein schnelles Netz sowie Upload- und Downloadkapazitäten. Industrielle Prozesse benötigen verlässlichen Datenaustausch zur Gewährleistung von „Just in Sequenz“-Prozessen. Dies auch und gerade im ländlichen Raum, wo viele unserer mittelständischen und industriellen Weltmarktführer sitzen. Sonst droht Deutschland beim nächsten Strukturwandel abgehängt zu werden.

Daher fordern wir:

  • Absenkung der Baukosten:

70-80 Prozent der Breitband-Ausbaukosten entfallen bislang auf den Tiefbau. Wir fordern daher, die Kostensenkungsrichtlinie der EU zügig in nationales Recht umzusetzen. Durch die Mitnutzung bestehender Infrastruktur wie Abwassersysteme, nicht mehr genutzte Wasserleitungen oder Glasfaserverbindungen von Höchstspannungsleitungen sowie den Einsatz alternativer Verlegemethoden wie Trenching, mindertiefe Verlegung oder Verlegung mit Freileitungen lassen sich die Ausbaukosten massiv reduzieren.

  • Effizienter Einsatz der digitale Dividende II:

Im Juni endete die Versteigerung von Frequenzen für mobiles Breitband. Der Erlös aus der Versteigerung sollte vollständig in den Breitbandausbau gesteckt werden. Wir fordern ein eigenständiges Förderprogramm, das insbesondere Gewerbegebiete sowie den ländlichen Raum in den Fokus nimmt.

  • Bürgerschaftliches Engagement stärken:

Bereits heute gibt es vereinzelt in Kommen und Ortschaften Bürgerinitiativen, die in Eigenleistung Netzanschlüsse realisieren wollen. Gerade in Gebieten, in denen sich der Ausbau wirtschaftlich nicht lohnt, können solche Initiativen sinnvoll sein. Die Politik  muss ein „Bürgerbreitband – Konzept“ entwickeln, wie solche Initiativen unterstützt und in den koordinierten Netzausbau einbezogen werden können.
Ein weiterer Baustein für den beschleunigten Netzausbau müssen „Breitband – Bürgerfonds“ sein. Das so bei den Bürgern eingesammelte Geld sollte regional zugeordnet werden, damit der Anreiz zum Investieren erhöht wird. Wir fordern ein Konzept des Landes für einen Bürgerbreitbandfonds.

Sensibilisierung des Mittelstandes

Studien zur Digitalisierung in mittelständischen Unternehmen beklagen, dass vielfach die Bedeutung von Industrie 4.0 noch nicht erkannt wird. Gründe hierfür seien das fehlende Hintergrundwissen und Verständnis für die Bedeutung für den eigenen Markt.
Eine Studie der DGZ-Bank aus dem Jahr 2014 kommt zu dem Ergebnis, dass für viele Unternehmen des industriellen Mittelstandes Digitalisierung bislang noch überhaupt keine Rolle spielt.

Wir fordern:

  • Die Politik muss die Kammern und sonstigen Organisationen stärker unterstützen, dies noch stärker umzusetzen.
  • Erhöhung der Wissensbasis zu Industrie 4.0 durch die Sammlung und Verbreitung von Best-Practice-Beispielen, um weitere Unternehmern zu motivieren, eigen Projekte zu beginnen oder auszubauen.
Bildung

Wenn Industrie 4.0 die Arbeitswelt so massiv verändert, müssen die Weichen in der Bildungspolitik gestellt werden. Experten sind sich einig, dass es zu einer Verschiebung hin zu höheren und spezialisierteren Qualifikationen kommen könnte. Es wird befürchtet, dass Tätigkeiten für Ungelernte und Geringqualifizierte zunehmend wegfallen. Dies stellt neue Ansprüche an die Vermittlung von Wissen in Kindergärten, Grundschulen, Schulen und Universitäten. In einer VDE-Umfrage unter 1.300 Unternehmen und Hochschulen gaben die Befragten an, dass der hohe Qualifizierungsbedarf die drittgrößte Hürde für die flächendeckende Ausbreitung von Industrie 4.0 (vorher Breitbandausbau und Datenschutz und -sicherheit) darstellt. Seit Jahren fehlen in Deutschland rund 40.000 IT-Spezialisten. Um den Herausforderungen von Anforderungsveränderungen und dem Wegfall von Arbeitsplätzen zu begegnen, fordern wir:

  • Weiterer Ausbau der Verzahnung von beruflicher und akademischer Bildung durch den Ausbau dualer Studiengänge im MINT-Bereich. 
  • Anpassung der Ausbildungsinhalte, auch im dualen Ausbildungssystem, denn in Zeiten der zunehmenden Automatisierung, müssen neue Inhalte vermittelt werden. So ist es eine dringliche Aufgabe zum Beispiel der IT-Kompetenzzentren des Handwerks, digitalisierungsspezifische Kompetenzprofile handwerklicher Mitarbeiter zu erarbeiten und für ihre Diffusion in die Breite der Bildungseinrichtungen des Handwerks zu sorgen.
  • Digitalisierung der Hochschulbildung: Hierzu müssen politische Rahmenbedingungen geschaffen werden, die eine hochschulübergreifende Vernetzung ermöglichen, einheitliche Standards für die kompatible übergreifende Nutzung der IT-Systeme und Internetbasierter Services festgelegt werden und geprüft werden, ob zur Sicherung des gleichen Zugangs auf bestehende Open-Source-Lösungen zurückgegriffen werden kann oder ob diese ggf. entwickelt werden können. Daher müssen die Hochschulen mit zeitgemäßer Software im Bereich ihrer Lernmanagementsysteme, mit ausreichend frei zugänglicher Hardware bzw. deren Finanzierung sowie mit der Bereitstellung frei zugänglicher Software (stärkere Förderung von Open Source-Software) unterstützt werden.
Steuer-, Arbeits- und Sozialrecht

Wenn die Arbeit der Zukunft nicht mehr an herkömmliche Arbeitsplätze und –orte gebunden ist und auch Arbeitszeit zunehmend flexibilisiert wird, muss man sich Fragen zur zukünftigen Ausgestaltung stellen.

Wir fordern:

  • eine Anpassung der Gewinnverlagerung. Die neuen Geschäftsformen sind oftmals nicht mehr in den starren Rastern des Gesellschaftsrechts zu erfassen. Der Steuerwettbewerb zwischen den Mitgliedsstaaten ist legitim. Die Aushöhlung der Steuerbasis im Konzernverbund mit entsprechenden Gewinnverlagerungen stellt jedoch einen Wettbewerbsmissbrauch dar. Steuern müssen dort gezahlt werden, wo Produkte produziert und Dienstleistungen erbracht werden.
  • eine umfassende Reform des Steuerrechts mit klaren Maßgaben zur Vereinfachung der Steuerpflicht in einer Arbeitswelt, die von Mehrfacheinkommen und Mehrfachtätigkeiten geprägt ist.
  • eine Verkürzung der steuerlichen Abschreibungszeiträume für Investitionsgüter.
  • eine Anpassung der bestehenden Arbeitsstättenverordnung.
  • eine umfassende Reform und Deregulierung des Arbeitszeitgesetzes.
  • eine weitere Flexibilisierung der Eintrittsregelungen in Rente und Pension im Steuer- und Sozialrecht.
  • eine Stärkung der Tarifpolitik zur flexibleren Gestaltung von Entgeltregelungen und der Gestaltung von Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen.
Forschungsförderung

Viele Firmen scheuen den Einstieg aufgrund mangelnden Knowhows und des Risikos, durch ein entsprechendes Engagement die bestehenden Geschäftsfelder zu gefährden. Zudem ist es vielen kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) nicht möglich, die Mittel für eigene Forschungen aufzubringen. Industrie 4.0 kann aber nur dann gelingen, wenn KMU eingebunden werden.

Wir fordern:

  • Innovationszentren als Impulsgeber für den Mittelstand: Digitale Geschäftsmodelle werden als Spin-offs ausgebaut und über das Innovationszentrum beraten und gefördert.
  • Transferorientierte Partnerschaften, also Auftragsforschung, Open Innovation (die Projektbeteiligten räumen sich gegenseitig Nutzungsrechte ein), und Start-Ups als Ausgründung sowie Promotionsplattformen zu fördern.
  • Industriepartnerschaften (Joint Developments) und Kooperationsmodelle müssen vor allem bei der Vertragsgestaltung erleichtert werden. Dafür braucht es einen verlässlichen rechtlichen Rahmen, der die Besonderheiten von Open-Innovation-Prozessen berücksichtigt (im Mittelpunkt solcher neuen Kooperationsformen steht nicht mehr die Urheberschaft).
  • eine Initiative der Politik zur Einführung einer steuerlichen Forschungsförderung. Bestehende ZIM-Projekte sind fortzuführen. Oftmals sind die Antragsverfahren zur Erlangung projektbezogener Forschungsmittel sehr aufwendig und bürokratisch und für mittelständische Unternehmen nicht leistbar.
Datenschutz (personenbezogene Daten)

Wir brauchen einen gesellschaftlichen Konsens und eine gesellschaftliche Akzeptanz eines einheitlichen Datenschutzes. Dafür ist die EU-Datenschutz-Grundverordnung ein erster guter Schritt. Man muss sich aber auch darüber klar sein, dass europäische Insellösungen weltweit keinerlei Rolle spielen werden. Datenschutz auch im rapiden digitalen Wandel zu garantieren, ist die Herausforderung. Der Schutz der Daten muss immer wieder an die gegebene technische Realität angepasst werden.

Grundvoraussetzung ist, dass mündige Bürger wissen müssen, dass ihre Daten gesammelt und analysiert werden. Mündige Bürger müssen sich dagegen wehren können und wehren dürfen. Im Internet ist dies nicht anders als in allen anderen Bereichen. Statistiken und Erhebungen, Verkehrszählungen und Messungen haben schon immer Datengrundlagen geschaffen und wurden auch durch die Wirtschaft genutzt. Nun geschieht dies aber auch anhand der Dinge, die wir zuhause am Tablet oder am Laptop eingeben.

Die Antwort darauf kann nur Transparenz heißen: Eine Gesellschaft, die sich ihrer Zukunftsverantwortung bewusst ist, wird im besten Sinne mündig und reif mit den Herausforderungen umgehen. Persönlichkeitsrechte sind zu schützen und gleichzeitig muss auch bei uns der Mehrwert der Vernetzung für Industrie 4.0 möglich gemacht werden. Dies ist Voraussetzung für unsere Wettbewerbsfähigkeit. Wir fordern:

  • Eine schnelle Beendigung der Verhandlungen zur europäischen Datenschutz-Grundverordnung, damit Verarbeitungsbedingungen für personenbezogene Daten der EU-Bürger für alle Anbieter/Nutzer (europäische und außereuropäische) einheitlich festgelegt werden.
  • Bei einer solchen Rechtsrahmendefinition sollten innerhalb bi- und multilateraler Abkommen (z.B. TISA und TTIP) aber auch der ungehinderte Datenverkehr und die internationale Nutzung sichergestellt sein. Bereits jetzt haben internationale Internetunternehmen gegenüber deutschen einen Wettbewerbsvorteil, indem sie Daten nutzen dürfen, die unseren Unternehmen aus Datenschutzgründen verwehrt bleiben.
  • Die Regelungen zu Informationspflichten sollten international einheitlich und durchschaubar gestaltet sein. Jeder soll klar erkennen, dass seine Daten genutzt werden können und er soll im Netz frei entscheiden, was er dann auf Basis dieser Information tun und lassen möchte.
  • Als datenschutzfreundliche Verarbeitungstechnologien schlagen wir eine verstärkte Anonymisierung und Pseudonymisierung vor.
Datensicherheit (Sicherung von personenbezogenen und industriellen Prozessdaten vor technischen Ausfällen und Sabotage und illegalem Zugriff)

Eine der größten Gefahren für Unternehmen im digitalen Zeitalter ist der illegale Abfluss von Daten. Der Fortschritt des neuen industriellen Zeitalters erfährt genau dann große Akzeptanz, wenn Schutz dagegen bestmöglich sichergestellt ist. Die Industrie benötigt in allererster Linie Prozessdaten aus den internen Abläufen für die Optimierung ihrer Wertschöpfungsketten. Aber Prozessdaten und Daten aus dem Internet verschmelzen an verschiedenen Punkten.

Messdaten im Rahmen von Smart Metering (intelligente Messgeräte) zum Beispiel sind natürlich bei entsprechender Individualisierung auch personenbezogene Daten. Die intelligente Auswertung all dieser Daten macht aber erst viele neue Geschäftsmodelle möglich und führt zur Optimierung von Entwicklungs- und Produktionsketten. Deswegen ist dieses Vertrauen in den Schutz längst systemrelevant für Wirtschaft und Wohlstand.
Im Gegensatz zur herkömmlichen Unternehmens-IT lassen sich industrielle Infrastrukturen meist viel schwieriger schützen. Etablierte Methoden lassen sich oft nicht verwenden, da zum Beispiel den eingebetteten Systemen Rechen-Power für zusätzliche Sicherheitstechnik fehlt.

Wir fordern eine verstärkte Förderung von Forschungsprogrammen zur Datensicherheit.

Standardisierung  als Erfolgsfaktor zur Sicherung des technologischen Vorsprungs
Die wohl wichtigste technische Voraussetzung für eine funktionierende Industrie 4.0 sind einheitliche Standards und kompatible Schnittstellen. So müssten etwa smarte Sensoren über eine standardisierte Schnittstelle verfügen, die semantisch kompatibel zu anderen Komponenten des Cyber Physical Systems sind.

Derzeit beträgt der volkswirtschaftliche Nutzen der Normung jährlich rund 17 Mrd. Euro (BDI, Chancen nutzen, 2015). So leistet die Standardisierung einen großen Beitrag zum Wissenstransfer, baut Handelshemmnisse ab, schafft Vertrauen bei Anwendern und Herstellern und fördert den Qualitäts- und Technologiewettbewerb. Eine frühzeitige Einbringung in Normung verbessert zudem die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit des beteiligten Unternehmens.

Die Standardisierung ist wichtig, allerdings nichts, was Politik lösen kann. Sie kann sie begleiten und unterstützen. Lösungen kommen aus den Unternehmen und Branchenverbänden selbst. Dort arbeiten die Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft in den unterschiedlichsten Gremien an Lösungsmöglichkeiten. Um den globalen Herausforderungen an die Standardisierung zu begegnen und sicher zu stellen, dass weiterhin qualitativ hochwertige Arbeitsergebnisse erzielt und die Duplizierung von Arbeiten vermieden werden, fordern wir:

- Normierungen konstruktiv zu begleiten.
- Die Verhandlungen um das Transatlantische Freihandelsabkommen zwischen den USA und Europa (TTIP) erfolgreich abzuschließen, um auch in diesem Bereich gemeinsam Standards zu setzen. Die Vereinheitlichung der Rahmenbedingungen ist nur international lösbar.

Wettbewerbspolitische Rahmenbedingungen für digitale Märkte

Die Digitalisierung wirkt sich nicht nur auf die Industrie aus. Auch der Handel spürt die Veränderungen, die eine zunehmend digitalisierte Welt mit sich bringen. Wenn etwa der Kunde in der Lage ist, sein Produkt mittels eines erworbenen Datensatzes im 3D-Druckverfahren selbst herzustellen, entfallen möglicherweise sogar dazwischenliegende Handelsstufen. Vornehmlich betroffen von veränderten Vertriebsstrukturen und Kundengewohnheiten ist jedoch der stationäre Einzelhandel, der mit dem Online-Handel - sofern er nicht selbst diese Form anwendet - im Wettbewerb steht. Auch sogenannte "Plattformen" können miteinander im Wettbewerb stehen. Anbieter im Online-Handel sitzen nicht nur in Deutschland, sondern auch im europäischen Binnenmarkt und weltweit.

Sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene sind Marktpotenziale für den Mittelstand im Online-Handel vorhanden. Laut EU-Kommission müssen Online-Anbieter zunächst im Schnitt mit Kosten von 9.000 Euro rechnen, wenn sie ihre Dienste so anbieten wollen, dass sie mit den Regelungen anderer Staaten vereinbar sind. Gerade kleine und mittlere Unternehmen (KMU) können diese Zusatzkosten nicht stemmen. Nur sieben Prozent der KMU sind EU-weit im Online-Handel und nur vier Prozent der Online-Dienste sind in der EU grenzüberschreitend tätig. 39 Prozent der Online-Anbieter beschränken sich auf einzelne Mitgliedstaaten. Die restlichen Dienste werden zwar grenzüberschreitend angeboten, aber dies überwiegend von amerikanischen Anbietern. Europa muss jetzt bei der Digitalisierung - auch im Hinblick auf das transatlantische Freihandelsabkommen - aufholen. Der nationale Onlinehandel nimmt stetig zu. Im deutschen Onlinehandel wurden 2014 nach HDE-Angaben 39 Milliarden Euro erzielt. Das stellt 11,1 Prozent des Gesamtumsatzes im Handel dar.

Kartellbehörden und Gerichte versuchen, aufkommende Konflikte der digitalen Vertriebswege anhand des bestehenden Wettbewerbsrechts zu bewerten und zu lösen. So dürfen nach einigen kartellrechtlichen Entscheidungen Hersteller ihre Vertriebswege nicht beschränken, indem sie den Händlern den Verkauf auf Internetplattformen verbieten. Wir meinen, hier darf der Gesetzgeber nicht zulassen, dass Behörden und Gerichte die Entwicklung von Märkten in zentralen Fragen bestimmen. Die enorme Geschwindigkeit der Entwicklungen, rasante Innovationszyklen und die zunehmende Verschmelzung unterschiedlichster Wirtschaftsbereiche erfordern nachhaltige ordnungspolitische Rahmensetzungen, aber keine Interventionen in Marktprozesse. Wenn Verkaufsplattformen im Internet Nachfrage auf sich ziehen und dadurch Märkte neu gestaltet werden, kann dies ein Beitrag zur preisgünstigen Versorgung der Verbraucher und zu wirtschaftlichem Wachstum darstellen. Die unternehmerische Autonomie, über den Vertriebsweg für die eigenen Güter und Dienstleistungen bestimmen zu dürfen und seine Produkte mit entsprechendem Fachpersonal im persönlichen Beratungsgespräch anzubieten, muss aber ungeschmälert erhalten bleiben. Jeder Unternehmer sollte seine großen Chancen im Netz nutzen, aber kein Unternehmer sollte durch Behörden und Gerichte "in das Internet gezwungen werden."

Die Durchsetzung neuer Online-Plattformen auf immer weiteren Märkten kann eine Zerstörung bisher üblicher Vertriebswege bedeuten. Solche Plattformen können zu höherer Transparenz, umfassenderer Information und Vereinfachung der Einkaufsmodalitäten für den Kunden und dadurch zu erhöhter Kundennachfrage und wirtschaftlichem Wachstum führen. Im Mittelstand wird auch die Auffassung vertreten, dass sich durch die Online-Plattformen nur eine neue Ebene zwischen Kunden und Hersteller schiebe. Die Online-Plattformen würden tendenziell nur Kunden-Kontakte monopolisieren, von den eigentlichen Wertschöpfern wegziehen und dadurch Deckungsbeiträge zu Lasten der produzierenden Wirtschaft und des Mittelstands abschöpfen. Welcher dieser Standpunkte zutrifft, wird sich erst durch die weitere Entwicklung klären. Es ist unsere Verantwortung, auf diese Problematik heute aufmerksam zu machen.

Neue digitale Geschäftsmodelle und unser bewährtes Wettbewerbsrecht stellen einander in Frage. Einerseits senkt die Digitalisierung Markteintrittsschwellen und intensiviert so den Wettbewerb. Andererseits bieten digitale Marktzugänge aber auch neue Gefahren der Monopolisierung. Deshalb müssen die europäischen Wettbewerbsvorschriften, die national für uns unmittelbar gelten, daraufhin überprüft werden, ob sie für das digitale Zeitalter unverändert angemessen sind. Diese Prüfung muss sofort beginnen.

Für Unternehmen fast aller Branchen ist es eine Schicksalsfrage, sich mit dem Thema Digitalisierung in seinen vielen Facetten intensiv zu beschäftigen. Sogar bisher Branchenfremde werden nun Wettbewerber – die Digitalisierung reißt Branchengrenzen nieder. Das Problem der möglichen Monopolisierung privater Märkte bleibt uns als Thema der Wettbewerbspolitik wie auch der Sicherung von Freiheit in den Gesellschaften der Zukunft erhalten.