Linnemann für Wahrhaftigkeitskultur: Flüchtlinge haben kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt

Datum des Artikels 17.09.2015
MIT in den Medien

Es ist verständlich, wenn die Bundeskanzlerin in diesen Tagen Optimismus verbreitet. Dabei ist aber wichtig, dass wir realistisch bleiben und Schwierigkeiten nicht schönreden. Im Moment passiert das Gegenteil: Waren es anfangs nur vereinzelte Stimmen, die in den Flüchtlingen eine Chance sahen, den Fachkräftemangel in Deutschland zu beheben, werden diese Stimmen inzwischen zahlreicher. Ist diese Hoffnung realistisch? Die unbequeme Wahrheit lautet: Die Mehrheit der Flüchtlinge, die zu uns kommen, hat kurz- bis mittelfristig keine Chance, auf unserem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Dies belegen Stichproben, die von der Bundesagentur für Arbeit gemacht wurden: Nur etwa zehn Prozent der registrierten Flüchtlinge sind auf dem Arbeitsmarkt vermittelbar.

Ein kleiner Prozentsatz mag sich relativ zügig integrieren lassen und dabei auch die eine oder andere Fachkraftstelle ausfüllen, aber die überragende Mehrheit wird sehr lange bis dauerhaft auf die Hilfe des Staates angewiesen sein: entweder in Form von Sozialleistungen oder durch die Vermittlung in Stellen, die geringe bis gar keine Qualifikationen erfordern. Kurzum: Das Fachkräfteproblem lässt sich nicht über das Asylrecht lösen. Vor diesem Hintergrund warne ich davor, die Debatte um ein Einwanderungsgesetz mit der Flüchtlingsdebatte zu vermischen. Wer das Asylrecht nicht strikt vom Einwanderungsrecht trennt, weckt neue Begehrlichkeiten und die Hoffnung, das Asylrecht als Eintrittskarte in unseren Arbeitsmarkt nutzen zu können. Daher sind auch alle Vorschläge abzulehnen, die weitere Lockerungen bei der Arbeitserlaubnis für jene Asylbewerber fordern, deren Aufenthaltsstatus noch nicht geklärt ist. Wer an dieser Schraube dreht, droht sie zu überdrehen und das Asylrecht auszuhebeln. Das Asylrecht ist ein humanitäres Hilfsinstrument und muss es auch bleiben.

Keine Frage, die Wirtschaft kann und muss einen Beitrag leisten, um Flüchtlinge in unsere Gesellschaft zu integrieren. Denn Teilhabe am Arbeitsmarkt ermöglicht Teilhabe an der Gesellschaft und schafft ein Bewusstsein der Zugehörigkeit. Insofern ist jedes Engagement der Wirtschaft als Integrationsbeitrag wichtig, egal ob in Form von Praktikumsplätzen oder anderen Maßnahmen, die an eine Arbeit heranführen können.

Wenn aber so mancher Wirtschaftsführer schon von einem Wirtschaftswunder träumt, Halte ich das aus mehrfachen Gründen für problematisch: Erstens wird Deutschland seinen Fachkräftebedarf – wie zuvor aufgezeigt – nicht über Flüchtlinge decken können. Zweitens droht sich bei der Bevölkerung der Eindruck einer Rosinenpickerei zu verfestigen – Motto: Die Wirtschaft „angelt“ sich die wenigen Fachkräfte, um den Rest muss sich die Gesellschaft kümmern. Und drittens schürt solches Reden Hoffnungen bei jenen, die zu uns flüchten beziehungsweise zu uns flüchten wollen. Zurückbleiben werden Enttäuschte, die sich möglicherweise auch in Parallelgesellschaften oder in die Kriminalität flüchten.

In der Flüchtlingsdebatte brauchen wir auch eine Wahrhaftigkeitskultur. Wir müssen die Probleme offen ansprechen, um sie lösen zu können. Nur dann können wir es auch wirklich schaffen.