Der legendäre Leipziger CDU-Parteitag 2003 hatte eine klare Botschaft. Was ist denn die prägende Botschaft von Leipzig 2019?
Der Parteitag 2019 in Leipzig beantwortet prinzipiell die Frage: Wie verstehen wir Soziale Marktwirtschaft? Gerade in schwierigen Zeiten, in denen ein Konjunktureinbruch droht, ist es wichtig, die marktwirtschaftlichen Prinzipien noch einmal klar zu erklären. Alle Herausforderungen und Aufgaben, die wir haben, sind lösbar. Das gilt für die Energiewende und vieles andere. Das hat auf dem Parteitag eine Rolle gespielt. Der zweite Leitantrag drehte sich um die Digitalisierung. Auch das ist eine wichtige Botschaft von Leipzig. Wir haben neue Ideen entwickelt, wie die Digitalisierung verbunden wird mit industrieller Produktion. Das ist unsere deutsche Stärke.
Die MIT fordert immer klare Kante. Welche klare Kante hat die CDU im Vergleich zu anderen Parteien?
Wenn ich das für Nordrhein-Westfalen übersetze, heißt das: klare Kante bei der inneren Sicherheit, null Toleranz gegenüber Kriminellen. Es ist geradezu absurd, dass es, als unser Innenminister Herbert Reul ins Amt kam, kein Lagebild zur Clan-Kriminalität gab, obwohl das Problem seit 30 Jahren bekannt ist. Jetzt ist das Lagebild erstellt, jetzt kann man agieren. Und andere Bundesländer fangen an, das Thema aufzugreifen. Das ist etwas, das die rot-grüne Vorgängerregierung verschlafen hat und was man viel früher hätte machen müssen.
Sehen Sie denn diese klare Kante auch auf Bundesebene?
Die innere Sicherheit muss ja in den Ländern umgesetzt werden. Ich erkenne zwischen den Ländern große Unterschiede. Bei der Aufklärungsquote lag Nordrhein-Westfalen immer unter 50 Prozent. Jetzt steigt sie, wir haben die höchste Aufklärungsquote seit 60 Jahren, bei Gewaltkriminalität sogar 75 Prozent, aber Maßstab sind immer noch Hessen und Bayern, wo die Union lange regiert hat und wo diese klare Kante gezeigt wird. Bei Bundesinnenminister Horst Seehofer stelle ich auch fest, dass er den Willen hat, den gesetzlichen Rahmen zu setzen. Wir müssen das Profil weiter schärfen, damit deutlicher erkennbar wird: CDU und CSU stehen hier für einen klaren Kurs.
Was sind die drei Themen, mit denen man nachts ein CDU-Mitglied wecken kann, von dem auch Sie sagen: Das ist mit der CDU verbunden?
Mit der CDU muss immer die Kompetenz bei der inneren Sicherheit verbunden sein. Mit der CDU muss immer verbunden sein, die Partei der Sozialen Marktwirtschaft zu sein. Das ist seit Ludwig Erhard unsere DNA, die immer neu in unsere Zeit übersetzt werden muss, aber die wir selbst auch hochhalten müssen. Und das dritte Thema ist aus meiner Sicht, die Rolle Deutschlands in Europa zu definieren. Wir waren immer die Europapartei, die gewusst hat, dass auch unser Wohlstand davon abhängt, in einem europäischen Binnenmarkt, in einem geeinten Europa stark zu agieren.
Sie sagen, es „muss verbunden sein“. Ist das auch verbunden, wenn man nachts ein CDU-Mitglied weckt?
Ich glaube, dass die meisten Mitglieder vor allem die Soziale Marktwirtschaft und auch die europäische Orientierung nennen würden. Bei der inneren Sicherheit gab es Phasen, in denen das Thema stark gefragt war, und Phasen, in denen es kaum eine Rolle spielte. Ich glaube, in der heutigen Zeit hat es für viele Menschen wieder hohe Priorität.
Beim Klimaschutz gibt es eine Einigung der Großen Koalition. Vielen Grünen geht das alles nicht weit genug, während Wirtschaft und Verbraucher sich über die Belastungen sorgen. Wer hat recht?
Der Klimaschutz ist ein typisches Beispiel, bei dem gerade die CDU in der Mitte zwischen den extremen Polen vermitteln kann. Den Grünen fehlt der soziale Gedanke: Wer soll das eigentlich bezahlen? Wer einen Einstiegspreis von 60 Euro beim CO2 fordert, macht Politik für Besserverdienende. Das werden sich viele normale Mieter, Pendler, die jeden Tag zur Arbeit fahren, nicht leisten können. Insofern ist die CDU hier der Anwalt derer, die kleine und mittlere Einkommen haben, und die die Energiewende auch bezahlen können müssen. In der Wirtschaft gibt es unterschiedliche Positionen. Manche sagen sogar, ihr müsst mehr für den Ausbau der Windenergie tun. Ich glaube aber, die generelle Sorge der Wirtschaft ist: Wir haben jetzt klare Ausschaltpfade für die Braunkohle. Aber wir haben noch nicht die Antwort, wo der Strom herkommt. Diese Ermahnung ist richtig. Wenn wir Industrieland bleiben wollen, brauchen wir zu jeder Minute verfügbaren und bezahlbaren Strom.
Wo soll der Strom denn herkommen?
Der Strom kommt derzeit vor allem von der Kohle. Die Kernkraft endet 2022. Manche sagen, russisches Gas wollen wir nicht. Andere sagen, amerikanisches Gas wollen wir nicht wegen Fracking. Dritte sagen, neue Stromtrassen wollen wir auch nicht. Ohne alles kann die Energiewende aber nicht gelingen.
Was wollen Sie denn?
Wir brauchen einen Ausbau der erneuerbaren Energien. Dafür brauchen wir auch neue Stromtrassen. Zudem bedarf es dringend beschleunigter Planungsverfahren. Für eine Übergangszeit brauchen wir auch Gas. Deshalb bin ich dafür, dass Nord Stream 2 gebaut wird. Wir brauchen auch die LNG-Terminals für Gas aus den USA. Wir brauchen schließlich eine diversifizierte Energiewirtschaft. Das ist schwierig, wenn es gegen jede Trasse Bürgerinitiativen gibt, wenn der Strom vom Norden in die Industriegebiete soll. Hier müssen wir Akzeptanz schaffen.
Die Große Koalition hat knallharte Sektorziele vereinbart. Was ist denn, wenn im Jahr 2020 das Sektorziel Verkehr - 13 Millionen Tonnen CO2-Einsparung - nicht erreicht wird? Was machen Sie dann im Wahljahr? Gibt es ein Tempolimit oder Fahrverbote?
Das wird in den Gesetzgebungsverfahren noch präzisiert. Wir haben den Zertifikatehandel ja europaweit nur für die Energie. Wir müssen bei Verkehr und Wohnen besser werden. Die Automobilindustrie ist in einem Umsteigeprozess. Die Industrie ist oft sogar mutig, etwa wenn Volkswagen jetzt 80 neue Elektromodelle entwickeln will. Es wäre trotzdem klug, auch noch synthetische Kraftstoffe zu haben und daran zu forschen, auch an Wasserstoff zu forschen und die Palette breiter zu halten, als sie heute ist. Wir müssen uns insgesamt angewöhnen, wieder in einem anderen Ton über die deutsche Autoindustrie zu reden. Sie ist das Herzstück unseres Industrielandes mit tausenden Arbeitsplätzen. Die Häme, die manche verbreiten, erschreckt mich. Wenn die Autoindustrie wirklich zusammenbricht, wäre das ein gewaltiger Schaden für die deutsche Volkswirtschaft und für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Branche.
Noch einmal zu der Frage: Wenn die Sektorziele nicht erreicht werden, dann müssen wir ja unmittelbar eine Antwort finden?
So wie die Sektorziele jetzt angelegt sind, ist die Chance groß, dass sie erreicht werden. Der Umstieg auf die Elektromobilität, der europäischen Vorgaben folgt und den wir jetzt durch Ladeinfrastruktur begleiten, wird einen riesigen Schub auslösen. Das größere Potenzial liegt nach meiner Auffassung fast im Wohnen. Hier kann ein Konjunkturprogramm für handwerkliche Leistungen entstehen, die im Rahmen von Umrüstungen stark gefragt sind.
„Mein Wunsch ist, dass egal was kommt, die FDP mit im Spiel ist.“
Der Parteitag sendet Signale für starke Reformen: Die CDU fordert eine Senkung der Einkommen- und der Unternehmensteuer, die vollständige Soli-Abschaffung und eine Liberalisierung des Arbeitszeitgesetzes.
Die Perspektive nach einer nächsten Bundestagswahl im Parteienspektrum erscheint mühsam. Mein Wunschpartner ist die FDP. Das haben wir in Nordrhein-Westfalen hinbekommen und wir arbeiten erfolgreich zusammen. Mein Wunsch ist, dass egal was kommt, die FDP mit im Spiel ist. Mit den Grünen würde es schwieriger. Das entscheidet aber natürlich am Ende der Wähler. Mein Wunsch ist, dass CDU und FDP so stark bleiben, dass sie auch einen künftigen Koalitionsvertrag maßgeblich mitbestimmen.
Der Parteitag hat harte Bedingungen für die Grundrente beschlossen. Die volle Einkommensprüfung und die Finanzierung über die Finanztransaktionssteuer müssen gesichert sein. Was passiert, wenn das scheitert?
Die Grundrente wird kommen. Es ist eine Grundforderung der Union, dass jemand, der 35 Jahre gearbeitet hat, ein Alterseinkommen oberhalb der Grundsicherung bekommen muss. Wir müssen es schaffen, zu einer treffsicheren und fairen, aber unbürokratischen Lösung zu kommen.
Vor dem Parteitag haben die Medien viel über Machtfragen gesprochen. Wessen Machtposition ist jetzt gestärkt worden?
Nach meinem Eindruck ist die Position der CDU als Ganzes gestärkt worden. In der Wahrnehmung der Öffentlichkeit wird man sehen: Dieser Parteitag war die Stärkung der CDU mit all ihren unterschiedlichen Akzenten.
Also gibt es auch keine Vorentscheidung für eine Kanzlerkandidatur?
Die Frage hat auf diesem Parteitag keine Rolle gespielt. Die Partei wollte, dass das Wahlergebnis vom letzten Jahr – die Rückendeckung für die Vorsitzende – bestätigt wird. Das ist geschehen. Wir haben verabredet, die Frage der Kanzlerkandidatur Ende 2020 zu klären.
Sollte die CDU bei der nächsten Wahl überhaupt noch auf nur einen Kandidaten oder auf ein Team setzen?
Ja, natürlich. Die Wähler wollen wissen, mit welchem Spitzenkandidaten für das Amt des Bundeskanzlers CDU und CSU antreten. Die Stärke der Union ist es aber auch, dass unterschiedliche Persönlichkeiten im Team arbeiten und unterschiedliche Akzente setzen. Das haben wir bei uns in Nordrhein-Westfalen geschafft. Wir haben mit Verkehrsminister Hendrik Wüst den Landesvorsitzenden der MIT und mit Karl-Josef Laumann den Bundesvorsitzenden der CDA am Kabinettstisch. Dazu haben wir mit Herbert Reul ein starkes Profil in der Innenpolitik. Das ist mein Verständnis von Volkspartei. Diese Mischung brauchen wir auch wieder auf der Bundesebene.
Das heißt, das gibt es im Moment noch nicht?
Nein, derzeit sind die Vorsitzenden von CDA und MIT nicht Mitglieder im Bundeskabinett.
Viele in der CDU hadern mit der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel, einige treten frustriert aus. Wie kriegen wir die wieder zurück?
Wir haben viele Mitglieder wegen unterschiedlicher Themen verloren. Wir haben auch viele neue Mitglieder in den letzten Jahren gewonnen. Wenn man lange regiert, ist sicher jeder irgendwann mal nicht einverstanden mit einer Entscheidung, manche verlassen darüber dann die Partei. Sie kennen meine Haltung zur Flüchtlingspolitik. Mir war immer wichtig, dass wir die offenen Binnengrenzen in Europa erhalten und keine Grenzen im Binnenmarkt schließen. Aber das Entscheidende ist für die Menschen: Ist das System geordnet? Der, der schutzbedürftige ist, soll bleiben. Wer nicht schutzbedürftig ist, muss auch zurückgeführt werden. Da sind in den letzten Jahren viele Gesetze verabschiedet worden im Bundestag. Wir haben heute eine andere Gesetzeslage als 2015. Die Flüchtlingszahlen gehen deutlich zurück. Mein Eindruck ist, wenn die Menschen sehen, die Politik hat das Problem im Griff – der Staat weiß, wer im Land ist, es gibt keinen überforderten Staat wie es zum Teil 2015 der Eindruck war – dann wissen sie wieder, es gibt auch noch andere wichtige Themen, über die wir dann sprechen.
„Die Stärke der Union ist es aber auch, dass unterschiedliche Persönlichkeiten im Team arbeiten und unterschiedliche Akzente setzen."
Die nächsten Fragen bitte nur mit Ja oder Nein beantworten. Sie haben einen Joker. Ist eine schwarz gelbe Koalition im Bund irgendwann noch einmal möglich?
Ja.
Wissen Sie jetzt schon, ohne einen Namen zu nennen, wer wahrscheinlich der beste CDU-Kanzlerkandidat wäre?
Ja.
Die Grünen werden die SPD als linke Volkspartei ablösen.
Ja.
Muss die CDU ihre Mitglieder bei Entscheidungen stärker einbinden?
Ja.
Auch bei Personalentscheidungen?
Ich bin gegen eine Urwahl. Aber alles, was man tut, muss von den Mitgliedern mitgetragen werden.
Eine Satzvervollständigung zum Schluss. Das für mich schönste Amt nach dem Ministerpräsidentenamt in NRW wäre...
(denkt lange nach) Es gibt kein schöneres Amt.
Vita
Armin Laschet (58) ist Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Dort führt der Aachener seit Juni 2017 eine Koalition aus CDU und FDP. Laschet ist stellvertretender CDU-Vorsitzender und Landesvorsitzender der CDU NRW. Der Jurist arbeitete zunächst als Journalist und Verlagsleiter. Von 1994 bis 1998 war er Mitglied des Deutschen Bundestages, von 1999 bis 2005 Mitglied des Europäischen Parlaments. 2005 wechselte er als Minister nach Düssedorf, unter anderem für Integration. Nach der Abwahl des Kabinetts Rüttgers 2010 war er zunächst Landtagsabgeordneter. Im gleichen Jahr unterlag er Norbert Röttgen in einer Mitgliederbefragung zur Wahl des Landesvorsitzenden. 2012 wurde er zum Landesvorsitzenden, 2013 auch zum Landtagsfraktionsvorsitzenden gewählt.
Das Interview erschien in der Ausgabe 6-2019 des Mittelstandsmagazins | Fotos: Jördis Zähring
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