Annegret Kramp-Karrenbauer im Interview: "Ich sehe Spielräume für weitere Entlastungen"

Datum des Artikels 02.07.2018
MittelstandsMagazin

Seit Wochen bereist Annegret Kramp-Karrenbauer für eine „Zuhör-Tour“ die Parteibasis. Bei ihrem Besuch der MIT:FUTURA stand uns die CDU-Generalsekretärin Rede und Antwort. Im Interview mit Mittelstandsmagazin-Chefredakteur Thorsten Alsleben sprach sie über die Debattenkultur in der CDU, die Mittelstandspolitik und die Steuerpläne der Großen Koalition.

 
Statt Mandatsprüfungskommissionen, Stimmzetteln und langen Reden wie auf Parteitagen gibt es hier auf der MIT:FUTURA fast nur Dialog- Formate, Publikums-Einbindung über App und 30-Sekunden-Interventionen, außerdem elektronische Abstimmungsmöglichkeiten. Wann wird ein CDUParteitag mal so innovativ und interaktiv ablaufen?

Annegret Kramp-Karrenbauer: Ich freue mich über jeden innovativen Input. Schon in der Parteireform-Kommission „Meine CDU 2017“ haben wir gemeinsam und unter Beteiligung der MIT beschlossen, Veranstaltungen künftig spannender, innovativer und interaktiver zu gestalten. Unsere Parteitage haben aber eben auch ihre Regularien, die man einhalten muss. Die engen den Spielraum etwas ein, aber trotzdem ist es mein Ziel, die Parteitage zu verändern, lebendiger zu gestalten. Beim Parteitag im Dezember in Hamburg wollen wir damit anfangen, und da bin ich für jede gute Idee dankbar. Im Gegensatz zur MIT:FUTURA werden die einzelnen Programmteile bei uns aber weiterhin deutsche Titel haben – einen „„Switch Pitch“ wird es auf CDU-Parteitagen nicht geben.

Was planen Sie denn für Änderungen, um die Parteiversammlungen weiter von langweiligen Formsachen zu befreien, die fast jedes Neumitglied abschreckend findet?

Es geht hier oft nicht um langweilig oder hip, sondern um die Einhaltung von Recht und Gesetz. Doch wenn man einmal durchs Land fährt, findet man in unseren Orts- und Kreisverbänden schon viele kreative Köpfe, die immer wieder neue und interessante Formate ausprobieren. Als CDU-Bundesgeschäftsstelle können wir bei der Verbreitung dieser guten Formate aber sicher noch hilfreicher sein.

Konkret: Wann gibt es auf einem CDU-Parteitag Abstimmungen und Vorstandswahlen per Smartphone?

Elektronisch ist nicht automatisch besser. Bei Wahlen haben wir es in der Kommission „Meine CDU 2017“ explizit ausgeschlossen, weil es rechtliche, technische und finanzielle Hürden gibt. Aber, wenn sich diese Hürden beseitigen lassen, warum nicht?!

Und wie sieht es mit inhaltlichen Debatten aus? Bislang hatte man den Eindruck, dass Kontroversen mit irgendeinem Kompromiss bis kurz vor Beginn des Parteitags abgeräumt werden. Was ist so schlimm daran, in einer Volkspartei auch mal kontrovers um Positionen zu ringen?

Gar nichts. Es ist allerdings ein bekanntes Dilemma, dass öffentliches Ringen um Positionen medial häufig gleich als „Zerstrittenheit“ dargestellt wird. Insgesamt aber gilt: Inhaltliche Debatten sind das Salz in der Suppe in unserer Parteiendemokratie. Ich sehe es durchaus als meine Aufgabe an, da etwas nachzuwürzen.

 
Wie finden Sie es denn, wenn sich eine Parteivorsitzende nach einem Parteitagsbeschluss – wie beim Doppelpass – unmittelbar danach in allen Interviews davon distanziert? Welchen Wert haben Parteitagsbeschlüsse für Sie?

Grundsätzlich gilt: Parteitagsbeschlüsse drücken durch Mehrheitsentscheidung eine Festlegung der Partei aus. Ich muss diese Mehrheitsentscheidung für mich persönlich nicht annehmen. Eine Mehrheit kann ja nicht einfach über meine Meinung bestimmen. Es gibt immer wieder Fälle, in denen Parteiprogrammatik und Regierungshandeln nicht deckungsgleich sind. Wir als CDU bestimmen die Regierungspolitik eben nicht allein, sondern sind in eine Koalition eingebunden. So hat Angela Merkel damals nur völlig realistisch zum Ausdruck gebracht, dass es mit der SPD keine Änderung bei der doppelten Staatsbürgerschaft geben wird. Außerdem frage ich gerne einmal zurück: Gab es nicht auch schon Fälle, in denen Vereinigungsvorsitzende gegensätzliche Meinungen zu Parteitagsbeschlüssen vertreten haben?

Zur Koalition: Gerade im Mittelstand wird die Große Koalition sehr kritisch gesehen. Was hat ein Mittelständler denn Positives von ihr?

Zunächst hat der Mittelstand nach der langen Regierungsbildung Planungssicherheit bezüglich politischer Rahmen-bedingungen. Er hat auch die Sicherheit, dass die CDU-geführte Bundesregierung den Kurs der soliden Finanzen weiterverfolgen wird. Klar ist: Wir wollen die Steuern nicht erhöhen, und wir wollen Abgaben senken. Der Mittelstand wird zudem von einer steuerlichen Forschungsförderung, von einer Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur sowie vom Breitbandausbau profitieren. Die CDU-geführte Bundesregierung setzt beim Breitbandausbau einen Schwerpunkt auf Gewerbegebiete, die möglichst zügig mit schnellem Internet ausgestattet werden sollen. Darüber hinaus wollen wir Investitionsvorhaben beschleunigen und die Gründerkultur verbessern.

Ganz konkret: Was wird am Ende der vier Jahre GroKo für den Mittelstand besser sein als jetzt?

Wenn wir den Koalitionsvertrag konsequent umsetzen können, werden wir erstens den Mittelstand von unnötiger Bürokratie entlasten. Über ein digitales Portal wird vieles einfacher, schneller und mit weniger Zuständigkeitsgerangel lösbar sein als heute. Zweitens werden wir die Infrastruktur stärken. Die Versorgung mit Breitband wird genauso besser sein wie die Verkehrsanbindungen. Und drittens werden wir die Qualifikation der Mitarbeiter stärken, weil es zusätzliche Anreize geben wird, die Meisterprüfung abzulegen. Wir werden deshalb ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz verabschieden und den Meisterbrief für einige Berufsbilder wieder einführen, um die Ausbildungsleistung wieder zu erhöhen.

Aktuell regen sich viele über die neuen Datenschutzregeln auf? Was kann die Politik da nachbessern?

Der Umgang mit Daten ist ein wichtiges grundsätzliches Thema, das wir auch im Rahmen unseres neuen CDU-Grundsatzprogramms diskutieren werden. Daten sind dieWährung des 21. Jahrhunderts. Wir müssen deshalb diskutieren, wie wir die Datenschutzregeln weiter entwickeln können. Dabei müssen wir das Spannungsverhältnis auflösen zwischen der Notwendigkeit, in vielen Bereichen im Sinne der Menschen Daten zu sammeln und zu nutzen einerseits, und den Persönlichkeits- und auch Eigentumsrechten der Dateninhaber auf der anderen Seite.

Aber wir bekommen zu keinem Thema mehr kritische Zuschriften. Kann man nicht Datenschutz auch mit weniger Bürokratie für kleine Betriebe, Vereine und auch lokale Parteigliederungen hinbekommen?

Auch für uns als CDU im Gesamten und in der Bundesgeschäftsstelle war und ist die Umstellung kein einfacher Prozess. Auch die Abgeordneten spüren ja im eigenen Büroalltag, wie schwierig das ist. Insofern weiß ich um die Mühen und Anstrengungen – gerade, wenn dies auch noch im Ehrenamt und damit in der Freizeit geschieht. Deshalb begrüße ich, dass, angestoßen durch die MIT, jetzt gemeinsam von Wirtschafts- und Rechtspolitikern der Union im Bundestag eine Initiative gestartet wurde, die Abmahnungen wegen Datenschutzverstößen für unzulässig erklären und außerdem unsinnige Bürokratie abbauen soll. Hoffen wir, dass die SPD da mitmacht.

 
Was sagen Sie zu dem Einwand: Eure Leute haben doch in Europa und später im Bundestag allem zugestimmt. Stimmt, oder?

Man kann über die DSGVO sicherlich trefflich diskutieren. Aber gerade für den EU -Binnenmarkt ist die Weiterentwicklung zu einem digitalen Binnenmarkt ein wichtiges Ziel. Dafür werden einheitlich hohe Standards für die 28 Mitgliedstaaten gebraucht. Datenschutz-Oasen und einen Flickenteppich an Regelungen kann und wird es nun nichtmehr geben. Und aus Sicht des Bürgers, Kunden oder Patienten ist entscheidend: Die DSGVO stärkt die Souveränität eines jeden Einzelnen. Dazu zählen das Recht auf Löschung eigener Daten, also das Recht auf Vergessenwerden, und die Mitnahme eigener Daten von einem zum nächsten Anbieter.

Im Mittelstand wird beklagt, dass die Politik den Unternehmen nur noch misstraut und sie einschränkt – erst die Mindestlohnbürokratie, dann Zeitarbeitseinschränkung, jetzt die Datenschutzbürokratie, bald Rückkehranspruch in Vollzeit. Viele sagen, sie können sich gar nicht mehr ums Geschäft kümmern. Verstehen Sie den Frust?

Ja, das verstehe ich. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass Regeln das Bedürfnis der Gesellschaft nach Information, Transparenz und Rechtssicherheit widerspiegeln. Also stellt sich beim Bürokratieabbau immer auch die Frage, wie weit wir alle miteinander bereit sind, von solchen Bedürfnissen Abstriche zu machen.

Die Union hat im Wahlkampf Entlastungen versprochen. Die Einnahmen bei Steuern und Sozialversicherungen sind seit dem Wahlkampf noch höher als erwartet. Deutschland hat im OECD-Vergleich einen unrühmlichen Spitzenplatz bei der Abgabenlast. Wann kommen denn für Mittelständler und die arbeitende Mittelschicht endlich spürbare Entlastungen?

Dazu haben wir im Koalitionsvertrag wichtige Vereinbarungen getroffen: Wir wollen den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung senken, den Soli für 90 Prozent seiner Zahler abschaffen, die kalte Progression abschaffen, das Kindergeld erhöhen und ein neues Baukindergeld einführen. Wir als Union hätten die Bürger gerne weiter bei den Steuern entlastet. Dies hat die SPD jedoch bisher blockiert. Sie wollte in den Koalitionsverhandlungen eine Erhöhung der Einkommensteuer durchsetzen.Ich begrüße deshalb die Absicht der Bundesregierung, die erwarteten Mehreinnahmen insbesondere für Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen zu nutzen und die kalte Progression zurückzuführen. Bereits zum 1. Januar 2019 entlasten wir die gesetzlich Krankenversicherten um insgesamt 6,9 Milliarden Euro. Damit wird CDU-Politik in dieser Bundesregierung umgesetzt. Und wir werden angesichts der positiven Haushaltsentwicklung als CDU auch im Blick behalten, ob weitere Entlastungen als bislang vereinbart möglich sind. Spielräume sehe ich zum Beispiel beim Arbeitslosenversicherungsbeitrag oder bei der steuerlichen Entlastung.

Zu Ihnen: Was war die größte Änderung für Sie persönlich, nachdem Sie ihr Amt als Generalsekretärin angetreten haben?

Das war natürlich der Umzug nach Berlin, die Trennung von meiner Familie. Ich habe meine heimatliche Basis aber weiterhin im Saarland. Das hilft mir dabei, immer wieder von außen auf das aufgeregte Berlin zu blicken.

Sie besuchen ja seit Wochen mit Ihrer Zuhör-Tour die Basis. Gibt es etwas, dass sie aufgrund der Rückmeldungen jetzt anders sehen oder anders machen wollen als es vorher war?

Vor allem denke ich, dass wir diese Form des Dialogs und Austauschs verstärken und verstetigen müssen. Es bringt die CDU voran, die Anliegen unserer Mitglieder zu hören
und aufzunehmen. Und es zeigt: Unsere Partei an der Basis ist lebendig, will über Sachthemen diskutieren und vor allem Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit entwickeln, um das Land weiterhin erfolgreich zu gestalten.

Und zum Schluss bitten wir Sie noch, folgenden Satz zu vervollständigen: „Wenn ich Bundeskanzlerin wäre…“

(lacht) Als Generalsekretärin widme ich mich der Realität und nicht hypothetischen Fragen.

Annegret Kramp-Karrenbauer (55) ist seit Februar Generalsekretärin der CDU. Bei ihrer Wahl als Nachfolgerin von Peter Tauber erhielt sie 98,87 Prozent der Stimmen, so viele wie noch kein Generalsekretär der CDU zuvor. Von 2011 bis 2018 war sie Ministerpräsidentin des Saarlandes. „AKK“, wie sie von vielen genannt wird, hat Politik- und Rechtswissenschaften studiert und ist seit 1984 verheiratet. Das Paar hat drei gemeinsame Kinder und lebte bis zu ihrem Umzug nach Berlin in diesem Jahr gemeinsam in Püttlingen.