Die Mehrheit der Länderfinanzminister will stärker gegen angebliche Steuertricks von Unternehmen vorgehen. Nach ihrem Willen sollen Steuerzahler oder ihre Berater bestimmte Modelle der Steuergestaltung vorab den Finanzbehörden melden – selbst wenn diese legal sind. Damit würde der deutsche Gesetzgeber wieder einmal über neue EU-Vorgaben hinausschießen.
Die EU -Regierungen haben deshalb eine Meldepflicht und die Einführung von Strafen bei Verstößen gegen diese Pflicht abgesegnet. Die neuen Regelungen sehen vor, dass die Mitgliedstaaten sogenannte „Intermediäre“, also zum Beispiel Steuerberater, Rechtsanwälte oder Banken, dazu verpflichten, bestimmte grenzüberschreitende Steuergestaltungsmodelle an die zuständigen Finanzbehörden zu melden. Im Klartext: Will ein Konzern seine Einkünfte in Steueroasen verschieben, müssen seine Steuerberater das beim Finanzamt anzeigen. Die neuen Regelungen sind Anfang Juni im EU -Amtsblatt veröffentlicht worden.Bis Ende 2019 müssen die Mitgliedstaaten die neue Richtlinie in nationales Recht umsetzen. Ab Juli 2020 sollen die Eingaben der Intermediären dann in einer neuen EU -Datenbank zum automatischen Austausch zwischen den nationalen Finanzbehörden gesammelt werden. Aber bereits heute müssen Steuerzahler und Intermediäre mit der Datensammlung anfangen: Die EU -Vorgaben verlangen, dass auch Gestaltungen gemeldet werden, die bis Juni 2020 umgesetzt sind.
Einigen deutschen Finanzministern geht das jedoch nicht schnell und nicht weit genug. Unter der Federführung der Länder Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein haben sich die Finanzminister auf einen Gesetzentwurf zur „Anzeigepflicht von Steuergestaltungen“ geeinigt. Im Gegensatz zur EU -Richtlinie soll sich die Anzeigepflicht jedoch nicht auf grenzüberschreitende Konstrukte beschränken, sondern auch rein nationale Gestaltungen umfassen. Zudem wollen die Minister die Anzeigepflicht nicht nur auf die Ertragsteuer, sondern ebenso auf die Erbschaft-, Schenkung- und Grunderwerbsteuer anwenden.
Diese Pläne stoßen auf Unverständnis bei Familienunternehmen, Steuerberatern und Steuerrechtlern. Nach Ansicht der Bundessteuerberaterkammer (BStBK) sind die Pläne verfassungswidrig. Zu diesem Urteil kommt ein von der BStBK in Auftrag gegebenes Gutachten der Kölner Steuerrechtsprofessorin Johanna Hey. „Wegen weniger schwarzer Schafe wird nun einer Masse von Unbeteiligten misstraut“, klagt BStBK-Präsident Raoul Riedlinger. Dass legale Steuermodelle anzeigepflichtig werden sollen, dafür hat er wenig Verständnis. „Will man gegen aggressive Steuergestaltung wirksam vorgehen, so liegt im effektiven Einsatz bestehender Instrumente, wie dem internationalen Informationsaustausch und der zeitnahen Betriebsprüfung, deutlich mehr Potenzial“, sagt Riedlinger.
Mit den Plänen der Länderfinanzminister hat sich im April auch die MIT-Kommission für Steuern und Finanzen befasst. „Klar ist: Aggressive Formen der Steuervermeidung auf internationaler Ebene müssen bekämpft werden – wir müssen dafür aber die richtigen Instrumente wählen“, sagt CSU-Bundestagsabgeordneter und Steuerberater Sebastian Brehm, der die MIT-Kommission gemeinsam mit dem früheren Wirtschaftsstaatssekretär Hartmut Schauerte leitet. Aus Sicht der Kommission wäre es sinnvoller, zunächst bloß die EU -Vorgaben umzusetzen. Schauerte: „Wir sollten erst einmal belastbare Erfahrungen mit der EU -Richtlinie sammeln und erst dann entscheiden, ob wir darüber hinaus eine Meldepflicht für rein nationale Steuergestaltungen einführen sollten.“ Eine Verpflichtung aus dem Koalitionsvertrag gebe es dafür jedenfalls nicht.
Kritik übt die MIT auch an der EU -Richtlinie. Diese lasse zentrale Rechtsbegriffe unklar. Anzeigepflichtig sind laut Richtlinie beispielsweise grenzüberschreitende Transaktionen, „bei denen mit künstlichen Schritten ein defizitäres Unternehmen erworben und dessen Haupttätigkeit beendet wird, um dessen Verluste zur Verringerung der eigenen Steuerlast zu nutzen“. Was allerdings unter „künstlich“ und unter der „Haupttätigkeit“ des Betriebs zu verstehen ist, bleibt offen. Sylvia Mein, Leiterin der Steuerabteilung beim Deutschen Steuerberaterverband und Mitglied der MIT Steuerkommission, sieht durch die Länder-Pläne weitere Unsicherheiten auf Steuerberater und Steuerzahler zukommen. „Nach dem jetzigen Stand besteht ein hohes Risiko, dass aus Angst vor Sanktionen entweder zu viele überflüssige Meldungen an die Steuerbehörden abgegeben werden oder aber zu wenige Meldungen, wodurch strafrechtliche Konsequenzen drohen“, befürchtet das MIT-Mitglied. „Mit Zielgenauigkeit, Klarheit und Augenmaß wird dieses Bürokratiemonstrum nicht viel zu tun haben.“
Am 21. Juni wollen die Länderfinanzminister ihren Gesetzentwurf verabschieden. Das Bundesfinanzministerium, das bisher nicht beteiligt war, prüft den Entwurf bereits und überlegt darüber hinaus, in welcher Form die Anzeige von inländischen Steuergestaltungen mit der Umsetzung der EU-Vorgaben berücksichtigt werden kann. Die endgültige Entscheidung treffen aber Bundestag und Bundesrat. Brehm: „Statt Steuerzahler, Steuerberater und Familienunternehmen unter den Generalverdacht der systematischen Steuervermeidung zu stellen, sollten wir die EU -Vorgaben mit Augenmaß umsetzen. Eine Anzeigepflicht für nationale Steuergestaltungsmodelle halte ich hingegen für wenig sinnvoll.“
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