Bosbach: „Wir brauchen eine Renaissance für die Wirtschafts- und Finanzpolitik“

Datum des Artikels 09.09.2019
MittelstandsMagazin

Wolfgang Bosbach gehörte 23 Jahre lang dem Deutschen Bundestag an. Im Interview mit Mittelstandsmagazin-Chefredakteur Thorsten Alsleben verrät der beliebte Rheinländer, warum er sich immer noch als Politiker sieht. Von seiner Partei verlangt er ein klares Profil und einen stärkeren Fokus auf wirtschaftspolitische Themen.



Herr Bosbach, wie geht es Ihnen?

Den Umständen entsprechend gut. Ich habe gelernt, mit den Krankheiten zu leben. Das ist kein Vergnügen, ich nehme auch alle Arzttermine pünktlich wahr. Für mich ist entscheidend, dass ich mein Leben so leben kann, wie ich es gerne leben möchte.

In den Medien werden Sie manchmal noch „CDU-Politiker“, manchmal „der frühere CDU- Politiker“ genannt. Was sind Sie denn?

Ich bin nach wie vor jeden Tag politisch aktiv, aber ich habe kein öffentliches Amt mehr. Und man kann sich auch politisch und parteipolitisch engagieren, ohne dass man Mandatsträger ist. Insofern ist mir die Bezeichnung „Politiker“ lieber als „Ex-Politiker“.

Haben Sie eigentlich Entzugserscheinungen in Bezug auf die Berufspolitik?

Auch heute noch fühlt es sich richtig an, nicht erneut für den Bundestag kandidiert zu haben. Für ein oder zwei Jahre hätte die Kraft vielleicht gereicht, nicht aber für eine volle Periode. Obwohl: Ab und zu würde ich mich ja doch gerne noch einmal in das Getümmel stürzen und an Debatten beteiligen.

Was könnte denn das „politische Getümmel“ sein? Könnten Sie sich vorstellen, noch mal ein Parteiamt wahrzunehmen?

Nein, das nicht, denn ich strebe kein neues Mandat an. Ich meine die Beteiligung an politisch-inhaltlichen Debatten, zum Beispiel in der Auseinandersetzung mit der AfD.  Moderat im Ton, klar in der Sache, um deutlich zu machen: konservativ ist nicht reaktionär. Patriotismus ist etwas ganz anderes als Nationalismus. Wir müssen immer wieder betonen, dass die AfD gerade keine bürgerlich-konservative Kraft ist. Zwar gibt es dort Personen, die auch bei uns sein könnten, aber sie sind für Höcke & Co. doch nur Feigenblätter und sich auch nicht zu schade dafür. Und deshalb kann ich mir weder jetzt noch in Zukunft eine Zusammenarbeit der Union mit der AfD vorstellen, in welcher Form auch immer.

Wie könnte die Union denn die Leute wieder zurückholen, von denen Sie sagen, die müssten eigentlich „bei uns“ sein?

Ich vermisse bei der CDU, dass wir uns nie ernsthaft die Fragen gestellt haben: Aus welchen Gründen verlassen Mitglieder die Partei? Warum gehen sie in die Wahlenthaltung? Oder warum wählen Sie die politische Konkurrenz? Und ich glaube nicht, dass es darum geht, einen fundamentalen Kurswechsel der Partei zu vollziehen. Ich glaube auch nicht, dass ein solcher Kurswechsel eine Mehrheit bekäme auf einem Parteitag. Aber wir müssen uns mal wieder die Mühe geben, punktuell deutlich zu machen, wo sich die Union von der politischen Konkurrenz unterscheidet, wofür wir stehen, auch wenn es einmal Gegenwind gibt, und dass konservative Stimmen genauso zur Partei gehören wie christlich-soziale und liberale auch.

Und wie?

Indem wir uns nicht nur als eine Variante darstellen, sondern als klare politische Alternative zu den konkurrierenden Parteien. Carsten Linnemann hat dafür ein, wie ich finde, gutes Beispiel genannt, nämlich die Integrationspolitik. Aber grade in diesen Zeiten brauchen wir auch eine Renaissance für die Wirtschafts- und Finanzpolitik, denn ich habe seit langem das Gefühl, dass uns in Deutschland der Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der sozialen Leistungsfähigkeit unseres Landes gerade verloren geht. Der Gedanke, dass alles, was der Staat ausgibt, in dem Staat zunächst erarbeitet werden muss, verliert immer mehr an Bedeutung. Wenn ich die letzten 10, 15 Jahre betrachte, hat es unfassbar viele sozialpolitische Debatten gegeben, sozialpolitische Reformen, Leistungsverbesserungen, immer mit guter Begründung. Aber die Debatte über die Frage „was muss sich in Deutschland ändern, damit wir auf Dauer wirtschaftlich erfolgreich wettbewerbsfähig sind, unsere Exportstärke behalten, damit wir diesen Sozialstaat auch seriös finanzieren können“, hat kaum stattgefunden, allenfalls in Spurenelementen. Das ist auch ein Defizit der CDU.

Erwarten Sie denn durch den Wechsel an der CDU-Spitze im letzten Dezember Veränderungen?

Fundamentale Änderungen erwarte ich nicht, vielleicht marginale an der einen oder anderen Stelle, denn Annegret Kramp-Karrenbauer übt sich ja seit Monaten in der Disziplin Spagat: Auf der einen Seite möchte sie eigene politische Akzente setzen, auf der anderen Seite unterlässt sie alles, was den Eindruck entstehen lassen könnte, sie würde sich von ihrer Vorgängerin im Parteivorsitz distanzieren. Und das ist eine schwierige Übung.

Würden Sie sich denn mehr neue Akzente wünschen?

Ja, wir brauchen ein klares Profil, das die Union erkennbar von der politischen Konkurrenz unterscheidet. Die Menschen wissen schon, dass die Union regieren will. Vor allen Dingen möchte die Union nicht, dass gegen sie regiert werden kann. Wir müssen nur noch überzeugen und die Fragen beantworten: Welche politischen Ziele verfolgen wir in der Regierungsverantwortung? Was wollen wir in dieser Wahlperiode unbedingt erreichen? Noch vor 10 Jahren hätte man mich morgens um 3 Uhr wecken können und mir wären sofort 10 Punkte eingefallen, in denen sich die Politik der Union unterscheidet von der Politik der politischen Konkurrenz. Die gleiche Frage würde ich heute mit der Gegenfrage beantworten: „Wie lange habe ich Zeit, um mir die Antwort zu überlegen?“

 

Gibt es denn irgendetwas, das sich seit Ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag verbessert hat? Wo sind wir heute weiter?

In wichtigen Politikfeldern wird heute differenzierter argumentiert als noch vor Monaten. Nehmen wir die Klimapolitik – daran kann ich es am besten deutlich machen. Es gab zunächst den Martin-Schulz-Hype, dann ist der abgeklungen. Jetzt gibt’s den Greta-Hype, der klingt auch langsam ab, weil sich doch immer mehr fragen, reicht es eigentlich zu sagen: Wir müssen unser Verhalten ändern, wir brauchen radikale politische Kurskorrekturen? Und es ist schon interessant, wie viele den Satz bejubeln: Wir brauchen eine völlige Veränderung der Politik. Und wenn man nachfragt, was bedeutet das denn ganz konkret, und sind Sie auch wirklich bereit, Ihr Leben radikal zu verändern, werden die Antworten doch sehr spärlich.

Was erwarten Sie denn für eine Antwort von der CDU in der Klimafrage? Irgendwas muss ja getan werden oder würden Sie sagen, das Problem existiert gar nicht?

Es gibt unzählige wissenschaftliche Studien, die zum einen belegen, es gibt einen Klimawandel und zum anderen, dass der Klimawandel eben nicht nur natürlichen Ursprungs ist, sondern auch von Menschen beeinflusst wird und daher auch gegengesteuert werden kann. Die entscheidende Frage ist: Wie schaffen wir das ohne spürbare Wohlstandseinbußen? Die Frage muss die Union beantworten. Ich lese von Umfragen, bei denen 50 Prozent der Befragten angeben, „wir wollen weniger fliegen“, aber die Flugzeuge sind genauso voll wie im Jahr davor. Und 50 Prozent geben an, sie möchten weniger Auto fahren. „Ach“, denke ich, „prima, dann stehst du nicht mehr so oft im Stau“. Aber: Nein, die Straßen sind genauso voll wie vorher. Machen wir uns doch bitte nichts vor: Viele plädieren bei Umfragen für eine radikale Abkehr vom bisherigen Verhalten, aber es soll sich dabei wenig ändern. Wenn alle, die für mehr Elektromobilität sind, E-Autos kaufen und fahren würden, wären die Zulassungsstatistiken andere.

… aber was bedeutet das für die Union?

Die Union muss darauf überzeugende Antworten geben, und wir sehen es ja zurzeit an der Debatte CO²-Steuer versus Emissionshandel. Ich finde es gut, dass wir diese Debatte führen. Es schadet der Union auch nicht, wenn wir über Sachfragen kontrovers diskutieren. Dann wird deutlich, welche Handlungsalternativen es gibt. Das ist im Moment vor dem Hintergrund der gesamten Klimadebatte die für mich wichtigste Frage: Welches politische Angebot kann die Union machen, um auf der einen Seite mehr zum Schutz des Klimas zu tun, aber auf der anderen Seite den Wirtschaftsstandort Deutschland nicht zu schwächen und die Bürger nicht zu überfordern.

Wären Sie denn eher für Emissionshandel oder eher für eine Steuer?

Ich halte den Emissionshandel für das wirkungsvollere Instrument als eine CO²-Steuer, bei der ich immer das Gefühl habe, im Grunde geht es um eine Art Ablasshandel. Die, die es sich erlauben können, zahlen dann eben mehr, ohne ihr Verhalten zu ändern. Damit ist dem Klima nicht geholfen.

Kommen wir zur Zukunft der GroKo. Glauben Sie, dass diese Koalition noch bis zum Ende der Legislaturperiode hält?

Vor einem halben Jahr hätte ich gesagt: ja. Heute bin nicht mehr davon überzeugt und zwar aus zwei Gründen. Erstens: Wir haben jetzt Landtagswahlen und nach allen Prognosen wird die SPD nicht besonders erfolgreich abschneiden Das heißt, die Stimmen in der SPD, die einen Austritt aus der Koalition fordern, werden lauter werden. Und zweitens: Ich bin der festen Überzeugung, dass als neues Führungstandem nur die gewählt werden, die den Ausstieg aus der Koalition versprechen. Wenn ein Tandem antritt mit dem Hinweis, wir möchten kandidieren mit dem Ziel, die Große Koalition bis zum Ende der Wahlperiode fortzusetzen, werden sie nicht gewählt. Die Basis der SPD will ganz eindeutig raus aus der Großen Koalition, die meisten Mandatsträger der SPD würden lieber, aus nachvollziehbaren Gründen, die Wahlperiode noch zu Ende bringen, weil sie wissen, wenn es zu vorgezogenen Neuwahlen kommt, wird ein großer Teil das Mandat verlieren.

Bedeutet denn ein Ende der GroKo auch ein Ende der Legislaturperiode, also müssten wir automatisch Neuwahlen haben?

Automatisch nicht, ich kann mir eine Übergangsregierung vorstellen bis zum Zeitpunkt von Neuwahlen, aber nicht für den gesamten Rest der Wahlperiode.

Und diese Übergangsregierung wird die von Frau Merkel oder von Frau Kramp-Karrenbauer geleitet?

Angela Merkel hat gesagt, dass sie im Amt bleiben wird bis zum Ende der Wahlperiode. Davon gehe ich aus. Sollte es zu vorgezogenen Neuwahlen kommen, dann wird Angela Merkel wohl nicht mehr kandidieren. Und dann stellt sich die Frage, wen wird die Union dann nominieren? Da kann ich nur dazu raten, die Debatte erst in dem Moment zu führen, wenn sich die Frage stellt.

Also ist es nicht sicher, dass Frau Kramp-Karrenbauer die nächste Kandidatin wird?

Im Sport würde man sagen, sie ist in der Pole Position, das gilt für jeden Parteivorsitzenden, das gilt auch für Annegret Kramp-Karrenbauer, aber es gibt da keinen Automatismus.

Wer könnte es denn sonst sein?

Da werden viele überrascht sein, wie groß die Auswahl in der Union ist. Bei der SPD ist jetzt die Frage, wer muss Parteivorsitzender werden? Bei der Union wird die Frage sein, mit wem haben wir die besten Chancen als Kanzlerkandidatin oder Kanzlerkandidat? Und weil wir ja einen gemeinsamen Kanzlerkandidaten haben von CDU und CSU, wird es vielleicht wieder entschieden durch ein Frühstück, wo auch immer.

Noch mal zur Union. Wir haben neue Gruppierungen, „Werteunion“ einerseits, „Union der Mitte“ andererseits. Was halten Sie davon?

Die „Union der Mitte“ soll wohl so eine Art Gegengewicht zur „Werteunion“ sein, deren Arbeit eine beachtliche mediale Resonanz findet. Solche Gruppierungen entstehen, wenn Parteimitglieder den Eindruck haben, dass ihre politischen Überzeugungen und Anliegen in der Partei nicht genügend Beachtung finden. Das kann belebend sein, wird aber im Konrad- Adenauer-Haus wohl nicht gerne gesehen. Die CDU sollte die Werteunion jedoch nicht mit spitzen Fingern anfassen, sondern den Dialog suchen. Für mich persönlich gilt: Ich bin Mitglied der CDU und der Mittelstandsvereinigung, das muss reichen. Ich kämpfe dort für meine Überzeugungen.

Sie haben sich ja durch den Rückzug dem größten Bundestag aller Zeiten entzogen, der nächste wird vielleicht noch größer. Jetzt gibt es Diskussionen über eine Verkleinerung. Die einen sagen, dann vergrößern wir die Wahlkreise, dann ist Proportionalität gewahrt, aber es gibt halt weniger direkt gewählte Abgeordnete. Die anderen sagen, es müssen die direkt gewählten Abgeordneten so bleiben wie bisher mit der Wahlkreisnähe, aber dann ist das Ergebnis nicht mehr so repräsentativ für die kleinen Parteien. Für welche Lösung wären Sie?

Ich bin eindeutig dafür, die Wahlkreise nicht noch größer zu machen, denn das wird die oftmals vermisste Bürgernähe nicht stärken. Die Zahl der Wahlkreise ist ja bereits reduziert worden Mitte der 90er Jahre. Es gibt Wahlkreise mit 300.000 Einwohnern die sind sechs- oder achtmal größer als mein Wahlkreis. Und da fällt es nicht leicht, so viele Wahlkreistermine wahrzunehmen wie das die Basis erwartet. Wenn man die Zahl der Wahlkreise reduziert, würden die Wahlkreise einwohnerzahlmäßig und flächenmäßig immer größer, dann würde ein Stück Bürgernähe verlorengehen. Es geht also um die Frage, „wie behandeln wir rechtlich Überhangs- und Ausgleichsmandate“. Den Bundestag verkleinern und die Zahl der Sitze beibehalten wird nicht gehen. Aber die Zahl der Wahlkreise weiter reduzieren halte ich nicht für das Richtige.

Wir haben jetzt zum Abschluss ein paar Fragen, bei denen Sie nur mit „Ja“ oder „Nein“ antworten sollen. Einmal haben Sie einen Joker.

War Angela Merkel ein Glücksfall für die CDU?

Ja.

Die CDU wird auch den nächsten Kanzler, die nächste Kanzlerin stellen

Ja.

Haben Sie schon mal mit dem Gedanken an einen Parteiaustritt gespielt?

Nein.

Wird es jemals wieder eine Zweifraktionen-Koalition im Bund geben?

Ich kann nicht wissen, wie es in 50 oder 100 Jahren aussieht, Stand heute: nein.

Würden Sie nochmal ein politisches Amt irgendeins annehmen?

Ich werde für kein politisches Mandat mehr kandidieren.

Jetzt machen wir eine Satzvervollständigung. Wenn mich eine Kanzlerin Kramp-Karrenbauer bitten würde, Bundesinnenminister zu werden…

(Lacht, macht eine lange Pause): …hätte ich eine schlaflose Nacht.

 

Wolfgang Bosbach (67) war von 1994 bis 2017 Mitglied des Deutschen Bundestags. Bis 2009 war er neuneinhalb Jahre lang stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, danach bis 2015 Vorsitzender des Innenausschusses. Bosbach ist gelernter Einzelhandelskaufmann und leitete Anfang der 1970er Jahre einen Supermarkt. Später machte er einen Abschluss als staatlich geprüfter Betriebswirt, studierte Jura und wurde Rechtsanwalt. Bosbach ist verheiratet, Vater von drei Töchtern und lebt in Bergisch Gladbach.

 

Dieses Interview erschien in einer gekürzten Fassung in der Ausgabe 4-19 des Mittelstandsmagazins