„Die Grundmelodie ist Entlastung statt Belastung“

Datum des Artikels 18.08.2021
MittelstandsMagazin

Deutschland steht vor einer Richtungswahl, sagt Markus Blume: mehr Wachstum oder mehr Staat. Der CSU-Generalsekretär spricht im Interview mit Mittelstandsmagazin-Chefredakteur Thorsten Alsleben über mögliche Entlastungen nach der Bundestagswahl, die eigenen Pläne der CSU und Koalitionsoptionen.

Herr Blume, auf einer Skala von 1 (gar nicht) bis 10 (vollständig): Wie viele Übereinstimmungen gibt es zwischen CSU und CDU im Hinblick auf die Bundestagswahl?

Markus Blume: 9,9

Und zwischen Markus Söder und Armin Laschet?

Genauso viel.

Welche Unterschiede sehen Sie denn zwischen den beiden Unionsparteien?

In der Grundphilosophie sind wir uns einig. Deutschland steht vor einer Richtungswahl. Die Union steht für neues Wachstum und die linken Parteien stehen für neue Schulden und für mehr Staat. Diese Kombination ist toxisch, weil sie uns nicht aus der Misere herausführt, sondern die Krise weiter verstärkt. Wir bieten ein Kontrastprogramm: ein Programm für Stabilität, aber auch für Erneuerung.

Trotzdem gibt es ja noch einen eigenen Bayernplan der CSU. Wie wollen Sie Forderungen wie eine Mütterrente mit marktwirtschaftlichen Positionen in Einklang bringen?

Das sind diese 0,1 Punkte, die zur totalen Übereinstimmung fehlen. Das war aber immer so in der Geschichte der Union. Wir treten als eigenständige Parteien zusammen an und jeder muss für sich Akzente setzen. Wir wollen in diesem Wahlkampf einen starken Beitrag zum Gesamtergebnis der Union liefern. Die Union ist dann stark, wenn auch die CSU in Bayern stark ist. Es gibt Punkte, die nach unserer Überzeugung gut für Bayern, aber auch gut für Deutschland sind.

Die Mütterente wird bei der CDU, aber auch bei der MIT und der Mittelstandsunion Bayern recht kritisch gesehen. Verstehen Sie diese Kritik zumindest?

Ich finde, wir sollten vor allem darüber reden, wie wir unsere Altersversorgungssysteme zukunftsfest machen. Dafür haben wir im gemeinsamen Regierungsprogramm viele gute Ansätze. Wir machen etwas, was es bisher noch nie gab. Wir legen die Grundlage für eine neue Generationenrente. Und was die Mütter angeht: Der CSU war es immer wichtig, dass wir für Millionen von Müttern in Deutschland, die vor 1992 Kinder bekommen haben, eine Gerechtigkeitslücke schließen. Das ist keine soziale Wohltat, sondern eine elementare Gerechtigkeitsfrage. Rente war immer auch eine Frage der Honorierung von Lebensleistung. Und wir sollten, wenn es um die Rolle der Mütter geht, keine Diskussionen wegen ein paar Euro führen.

Wie soll die Generationenrente für Neugeborene funktionieren? Soll der Staat oder die Rentenversicherung die Gelder verwalten und möglichst gewinnbringend anlegen? Oder geht es eher um einen Zuschuss für die private Altersvorsorge?

Nein, wir sehen hier etwas Neues. Wir wollen die private Altersvorsorge auf neue Füße stellen. Wir brauchen eine Nachfolge für Riester. Riester hat leider die Erwartungen nie erfüllen können. Da wollen wir einen Neustart. Und zweitens wollen wir etwas für die kommende Generation tun. Wir wollen einen Kapitalfonds, der dem staatlichen Zugriff im Wesentlichen entzogen ist. Der Staat ist nicht der bessere Investmentfondsmanager.

Ein weiterer Schwerpunkt des Wahlprogramms ist das Thema Entlastungen. Im Wahlprogramm stehen Soli-Abschaffung, Unternehmenssteuerreform und Steuerentlastungen im unteren und mittleren Bereich. Armin Laschet sagt, es stehen keine Steuerentlastungen drin. Was dürfen denn jetzt die Wähler und Mittelständler erwarten?

Das Regierungsprogramm der Union gilt und wir haben es wohlüberlegt miteinander beraten und verabschiedet. Ich sehe da auch keinen Widerspruch. Die Grundmelodie ist Entlastung statt Belastung. Wir wollen Deutschland aus der Krise führen und das geht nur mit neuem Wachstum. Aber wir müssen natürlich auch um unsere Möglichkeiten wissen. Nach der Wahl muss ein Kassensturz gemacht werden. Wir wollen wissen, wie es in den Kassen von Olaf Scholz wirklich aussieht. Und wir brauchen eine ehrliche Eröffnungsbilanz für die Zeit nach Corona. Wie schaut es aus in den Kassen der Sozialversicherungssysteme?

Könnte es sein, dass der Kassensturz dazu führt, dass Sie von den Entlastungen Abstand nehmen?

Das wird nicht der Fall sein, aber wir werden klug priorisieren müssen. Wir werden nicht alles im ersten Monat nach der Koalitionsentscheidung durchsetzen und umsetzen können. Aber auf die Zeit von vier Jahren muss es schon möglich sein, die Dinge auf den Weg zu bringen.

Werden die finanziellen Folgen der schrecklichen Hochwasserkatastrophe die Ausgangslage in Sachen Neuverschuldung und Entlastung ändern?

Auch wenn wir akut helfen und in Zukunft deutlich mehr für Hochwasserschutz und Klima-Anpassungsmaßnahmen tun müssen: Das stellt nicht unseren Haushalt auf den Kopf.

Mit welchen konkreten Maßnahmen wollen Sie die Entfesselung starten und Wachstum beschleunigen?

Wir brauchen eine Staatsreform. Wir haben eine exzellent funktionierende Verwaltung, aber Corona hat auch ihre Schwächen offengelegt. Wir sind in Deutschland an vielen Stellen zu langsam, zu behäbig, zu unflexibel, zu bürokratisch. Das Entfesselungspaket ist etwas, das den Mittelstand von Bürokratie befreit und den Boden fruchtbar machen soll für neue Ideen. Damit wollen wir Deutschland attraktiv für Investitionskapital machen, welches wir dringend brauchen, um neue Maßnahmen zu finanzieren. Das Entfesselungspaket soll sicherstellen, dass wir mit einer ambitionierten High-Tech-Agenda Anschluss an die technologischen Kraftzentren der Welt finden.

Von der Bundesregierung sind gerade Klimaschutzmaßnahmen beschlossen worden, die erst einmal Belastungen für Bürger und Unternehmen bedeuten. Wie passt das zusammen mit diesem Entfesselungsversprechen?

Wir sollten Klimaschutz nicht als Belastung begreifen. Deutschland hat die Chance, Modellregion zu werden. Wir können zeigen, wie ein Industrieland klimaneutral werden kann. Der Weg der Grünen ist Dekarbonisierung durch Deindustrialisierung. Der Weg der Union heißt: Wir machen Deutschland zum ersten klimaneutralen Industrieland. Wir können das mit Innovationen, mit neuen Technologien, mit smarten Entwicklungen schaffen. Beides geht: Ressourcen schonen, Klima schützen und gleichzeitig die Konjunktur stützen.

Die Umfragewerte der Grünen fielen, sobald sie konkreter erklärten, was Klimaschutz für sie bedeutet: höhere Benzinpreise und Kurzstreckenflüge verbieten. Aber bei der Union ist es auch so im Programm, dass Benzinpreise teurer würden und wahrscheinlich auch das Flugbenzin?

Hier geht es doch um die Intention! Die Menschen in Deutschland wissen sehr genau, dass die Grünen zusammen mit der Deutschen Umwelthilfe seit Jahren einen Feldzug gegen das Auto führen. Sie lehnen individuelle Mobilität ab. Sie wollen den Diesel abschaffen. Sie wollen Autos aus den Städten raushalten. Sie wollen den ländlichen Raum abhängen. Das ist eine Verbots- und Verzichtsideologie. Unser Konzept ist ein anderes. Wir wollen auch in Zukunft individuelle Mobilität ermöglichen. Es wird eine neue Art der Mobilität sein. Aber diejenigen, die ganz klassisch auf ihr Auto mit Verbrenner angewiesen sind, die wollen wir dabei unterstützen, auch in Zukunft mobil zu bleiben. Deswegen heißt Klimaschutz mit Vernunft für uns immer zweierlei: ambitioniert beim Klimaschutz sein, aber gleichzeitig Mehrbelastungen gezielt dort auszugleichen, wo sie anfallen. Wir haben gemeinsam durchgesetzt, dass die Pendlerpauschale erhöht wird. Ein wichtiges Anliegen von uns als CSU ist, dass wir in Zukunft eine dynamisierte Pendlerpauschale haben. Das heißt für einen um zehn Cent höheren Spritpreis gibt es einen Cent mehr Pendlerpauschale. Das ist ein wichtiges Signal an den ländlichen Raum und an die Pendler in Deutschland. Klimaschutz geht nur mit den Menschen, nicht gegen sie. Wir werden nicht zulassen, dass der ländliche Raum und die Pendler einseitig die Lasten tragen sollen.

Nun hat die EU gerade vorgeschlagen, den Verbrenner ab 2035 gar nicht mehr zuzulassen. Wie stehen Sie dazu als Vertreter eines Autolandes?

Wir waren immer der Meinung, dass wir in Deutschland technologieoffen bleiben sollten. Das setzt voraus, dass wir auch aufgrund der Bedeutung Deutschlands auf dem Weltmarkt in allen Technologiefeldern Weltklasse aufgestellt sein müssen. Dazu gehört vor allem die Elektromobilität. Aber auch der Verbrenner wird eine Zukunft haben. Mit grünem Sprit, mit synthetischen Kraftstoffen. Bestimmte Entwicklungen zu verbieten bringt nichts. Wir bleiben technologieoffen und am Ende möge sich die beste und nachhaltigste Technologie durchsetzen.

Wenn man das alles hört, wird es aber nicht gerade leicht, mit den Grünen zu koalieren.

Wir arbeiten auch nicht auf eine Koalition mit einem bestimmten Koalitionspartner hin, sondern wollen dafür sorgen, dass die Union möglichst stark wird. Knapp die Hälfte der Deutschen wollen, dass Deutschland von der Union geführt wird. Das gibt‘s aber nur, wenn die Menschen CDU und CSU auch tatsächlich wählen. Wir haben keine Stimme an irgendwelche denkbaren Partner zu verschenken. Wir müssen dafür werben, dass CDU und CSU genug Stimmen bekommen, um die nächste Regierung zu führen.

Und wenn es dann am Ende die Wahl gibt zwischen Schwarz-Grün und der Deutschlandkoalition, also mit SPD und FDP, was wäre denn dann Ihr Favorit?

Dann würde ich stark dafür werben, zu schauen, in welcher Konstellation wir am meisten Union pur durchsetzen können. Die Deutschlandkoalition ist eine interessante Möglichkeit. Da geht es allerdings vor allem um die Frage, wie regierungsfähig die SPD nach den letzten Jahren noch ist und welche Kräfte in der SPD nach der Bundestagswahl die Oberhand gewinnen. Bei den Grünen ist die Frage von anderer Seite zu beantworten. Wollen die Grünen tatsächlich zu konstruktiver Regierungsarbeit beitragen oder ist dort eher der fundamentale Flügel derjenige, der nach der Wahl dann wieder Oberwasser hat? Das kann man heute noch nicht sagen. Und die FDP muss klären, ob sie ein linkes Ampelbündnis unterstützen würde.

Welche Ministerien sollte die Union beanspruchen?

Das Bundeskanzleramt ist logischerweise Priorität Nummer eins. Nummer zwei ist das Finanzministerium. Das Finanzministerium ist zentral für die Union, weil wir neben demVersprechen für neues Wachstum auch schnellstmöglich wieder die Schwarze Null erreichen müssen. Ganz Europa schaut auf Deutschland. Wenn wir es nicht schaffen, vom Tropf des billigen Geldes loszukommen, dann werden es andere in Europa auch nicht schaffen. Und die Nummer drei könnte ein Zukunftsministerium sein, in dem Wirtschaft und Innovation gebündelt sind. Die Welt hat sich technologisch in den letzten Jahren so schnell gedreht wie nie. Wir müssen hier ganz vorne mit dabei sein – und zwar sowohl im Bereich Hochtechnologie als auch im Bereich Alltagsdigitalisierung.

Welche Kompetenzen muss ein solches Innovationsministerium haben?

Es braucht wirkliche Umsetzungskompetenz! Wenn ich mir das Digitalministerium noch dazu denke, dann muss der Staat in der Lage sein, attraktive Anwendungen zu entwickeln, auch im Sinne von Open-Data-Government. Der Staat muss an der Spitze der digitalen Bewegung stehen und zum digitalen Think Tank werden. Wir haben jetzt die Chance zu zeigen, dass Deutschland digital kann.

Sind Sie auch für eine paritätische Besetzung der Kabinettsposten?

Das ist ein Gebot der Zeit. Wir haben als CSU zum ersten Mal in unserer Parteigeschichte eine paritätische Wahlliste aufgestellt; trotz aller Unkenrufe hat es wunderbar geklappt. Markus Söder hat den CSU-Teil des bayerischen Kabinetts paritätisch besetzt. Das sollte auch bei der Besetzung einer Bundesregierung möglich sein.

Wenn aber die Fraktion erwartungsgemäß wegen der Direktmandate wieder deutlich mehr Männer hat und deutlich mehr Männer Mitglieder der Union sind, dann sind sie bei der Postenvergabe benachteiligt.

Bei der Besetzung einer Bundesregierung geht es doch um mehr. Es geht darum, das Land in die nächste Dekade zu führen. Und dazu gehört, dass wir mit herausragenden Kräften beider Geschlechter diese Bundesregierung besetzen.

Was halten Sie eigentlich von der Gendersprache?

Kommt mir nicht über die Lippen.

Wie sollte man politisch damit umgehen vor dem Hintergrund, dass immer mehr öffentlich finanzierte Institutionen es verwenden oder gar vorschreiben?

Ich rate auf der einen Seite zu Gelassenheit. Jeder soll so sprechen, wie er möchte. Auf der anderen Seite darf es keinen Sprachzwang und keine sprachliche Umerziehung geben.

Sie waren gemeinsam mit Ihrer Schwester deutscher Juniormeister im Eistanz. Was kann man denn vom Eistanz für die Politik lernen?

Balance und Stabilität sind immer wichtig. Das zeichnet eine Volkspartei aus. Du darfst keine Schlagseite in die eine oder die andere Richtung bekommen. Du musst für Stabilität stehen und einer großen Bandbreite von Überzeugungen eine politische Heimat geben. Das müssen wir schaffen, weil ich mich nie damit abfinden werde, dass wir uns als Union deutschlandweit mit Wahlergebnissen in den Zwanzigern zufriedengeben. Beim Eistanz ist zudem Kreativität gefragt. Und an manchen Stellen braucht es vor dem nächsten Sprung dann auch den notwendigen Mut.

Zum Schluss hätte ich die Ja-Nein-Fragen. Sie haben einen Joker. Wird es weltweit eine Renaissance der Kernenergie geben?

Nein.

Würden Sie persönlich noch ein Dieselfahrzeug kaufen?

Ja.

Werden die Bürger bei einer uniongeführten Regierung bis 2024 die meisten Verwaltungsdienstleistungen digital abwickeln können?

Ja.

Werden Bürger und Unternehmen bis spätestens 2024 auch geringere Steuersätze haben?

Ja.

Würden Sie heute noch sagen, Markus Söder wäre der bessere Kanzlerkandidat?

Er war damals ein verdammt gutes Angebot, aber wir haben jetzt einen sehr guten Kanzlerkandidaten.

Ja oder nein?

Da nehme ich den Joker.

Und am Schluss die Satzvervollständigung: „Wenn ich mal für einen Tag CDU-Generalsekretär sein könnte…“

… dann wüsste ich, dass das auch nett ist, aber ich mit Paul Ziemiak nicht tauschen möchte.