EU-Subventionen: Weniger für mehr?

Datum des Artikels 12.09.2018
MittelstandsMagazin

Im Juni hat die EU-Kommission Vorschläge zur neuen Ausgestaltung der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP) vorgelegt. Vor allem mittelständische Landwirtschaftsbetriebe kritisieren die Vorschläge massiv. Statt die GAP bürokratisch zu verschlanken, wurden sogar zusätzliche Regelwerke vorgeschlagen. Und es soll weniger Geld für die Landwirte geben.

Der Tag von Landwirtin Kathrin Seeger beginnt um 7 Uhr – aber in den meisten Fällen nicht bei den Tieren oder in der Natur, sondern hinter ihrem Schreibtisch. Denn um ihren Landwirtschaftsbetrieb zu finanzieren, muss sie sich täglich mit viel Papierkram herumschlagen. Dokumentationen ihrer Düngeroutine gehören genauso dazu wie seitenlange Anträge, die sie bei der EU für finanzielle Unterstützung stellt. Den Sonnenaufgang mit den Tieren erleben, die frische Landluft bei der ersten Tasse Kaffee genießen und viel Zeit in der Natur auf den Feldern verbringen – diese romantisierte Vorstellung passt schon lang nicht mehr zum Arbeitsalltag einer Landwirtin in Deutschland. Zehn Mitarbeiter beschäftigen Seeger und ihr Mann auf dem gemeinsamen Hof in Otzberg in Hessen. Der Betrieb liegt seit Jahrzehnten in Familienhand und auch Seegers ältester Sohn ist bereits in der Ausbildung zum Landwirt. Seeger und ihre Mitarbeiter betreiben Schweinehaltung und Ackerbau auf einer Fläche von insgesamt 400 Hektar. Besonders während der Erntezeit sind die Seegers auf jede Hilfe angewiesen. „Dann müssen wir den Papierkram auch mal liegen lassen und mit aufs Feld“, sagt die Landwirtin, die auch MIT-Mitglied ist und sich in der Landwirtschaftskommission auf Bundesebene engagiert.

Aktuell wird Seegers Arbeitsalltag von Nachrichten aus Brüssel überschattet. Im Juni hat die EU-Kommission Vorschläge zur neuen Ausgestaltung der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP) für den mehrjährigen Finanzrahmen 2021 bis 2027 vorgelegt. Die GAP der EU beinhaltet zentrale Vorgaben und Finanzierungen von Maßnahmen in der Landwirtschaft. Hintergrund der GAP ist das Interesse der EU-Mitgliedsstaaten, eine gemeinsame Politik für einen Sektor zu gestalten, der die Nahrungsmittelversorgung sichert, Umweltschutz unterstützt und bei der wirtschaftlichen Entwicklung ländlicher Räume hilft. Trotzdem hat die GAP nach ihrer Einführung Ende der 1950er Jahre den tief greifenden Strukturwandel der Landwirtschaft in den letzten Jahrzehnten nicht aufhalten können. Die Zahl landwirtschaftlicher Betriebe ging stark zurück und gleichzeitig wurden die verbleibenden Betriebe größer und produktiver. Durch diesen Strukturwandel begann die EU 2003, Direktzahlungen an Landwirte von der Produktionsleistung ihrer Betriebe zu entkoppeln, um auch kleine und mittelständische Landwirte zu unterstützen.

Die zwei Säulen der GAP

Insgesamt stehen für die Agrarförderung in Deutschland von 2014 bis 2020 jährlich rund 6,2 Milliarden Euro an EU-Mitteln zur Verfügung. Diese Fördermittel verteilen sich auf zwei Säulen. Die Direktzahlungen an die Landwirte finanzieren sich aus der ersten Säule. Dafür erhält Deutschland aktuell jährlich rund 4,85 Milliarden Euro von der EU. Die Direktzahlungen werden je Hektar landwirtschaftlicher Fläche berechnet. Diese Zahlungen machen im Durchschnitt rund 40 Prozent des Einkommens der Betriebe aus. Die erste Säule beinhaltet außerdem Direktzahlungen im Kontext des sogenannten „Greenings“. Um diese Zahlungen zu erhalten, müssen Landwirte beispielsweise Auflagen zum Klima- und Umweltschutz erfüllen. Die zweite Säule der GAP besteht aus gezielten Förderprogrammen für die nachhaltige und umweltschonende Bewirtschaftung und die ländliche Entwicklung. Für diese Säule stehen in Deutschland jährlich rund 1,3 Milliarden Euro an EU-Mitteln zur Verfügung, die mit zusätzlichen nationalen Mitteln kofinanziert werden müssen. Durch den Austritt Großbritanniens aus der EU fehlen im neuen EU-Haushalt rund 14 Milliarden Euro. Deshalb wird auch bei den Agrarsubventionen gespart. Agrar- und Kohäsionsfonds sollen jeweils um fünf bis zehn Prozent verkleinert werden.

Jetzt schlägt die EU-Kommission vor, die Direktzahlungen an Landwirte ab 60.000 Euro zu kürzen und Zahlungen über 100.000 Euro je Betrieb zu deckeln. Laut EU-Kommission soll dadurch eine gerechtere Verteilung der Zahlungen sichergestellt werden. Kleine und mittlere Betriebe sollen eine höhere Unterstützung je Hektar erhalten. Eine Zahl nannte die EU-Kommission in diesem Zusammenhang noch nicht. Die EU-Kommission schlägt außerdem vor, dass Landwirte künftig eine Strategieplanung mit einer Evaluierung ihrer Arbeit und entsprechenden Berichten vorlegen sollen, um weiterhin Direktzahlungen in Anspruch zu nehmen. Kathrin Seeger soll also noch mehr Zeit hinter ihrem Schreibtisch verbringen. „Diese Vorschläge sind praxisfremd und realitätsfern“, sagt sie. Beispielsweise sei es ohnehin schon sehr aufwendig, den Einsatz von Düngemittel oder andere Verfahren beim Ackerbau zu dokumentieren. Mit der Strategieplanung schlage die EU deshalb ein weiteres Bürokratiemonster vor. „Außerdem weiß ich nicht, wie ich eine Strategie vorlegen soll, wenn ich keine Planungssicherheit habe“, sagt Seeger. In regelmäßigen Abständen würden neue Vorgaben aus Brüssel kommen und selbst diese werden bei der Umsetzung in nationales Recht noch mal verschärft, was zu einem erheblichen Wettbewerbsnachteil innerhalb der EU führt. Deshalb müssten die Prozesse im Betrieb immer wieder angepasst werden. „Wir brauchen Verlässlichkeit und Vertraulichkeit“, fordert Seeger.

Um Bürokratie abzubauen, müssten Entschlackung und Vereinfachung stattfinden. Denn trotz digitaler Technik seien quadratmetergenaue Flächenerfassungen noch immer schwer möglich, sagt der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied. „Hier brauchen wir einen größeren Kulanzraum“, sagt er und fordert, dass das Kontrollmanagement der EU deutlich ausgedünnt werden müsse. Eine neue GAP müsse den individuellen Bedürfnissen der europäischen Bauern entsprechen und gleichzeitig umweltpolitische Rahmenbedingungen setzen. „Kappung und Degression der Direktzahlungen lehnen wir ab“, sagt Rukwied. Wegen der extrem volatilen Erträge dürften den Landwirten keine Mittel gestrichen werden.

Zahlungen dürfen nicht gekürzt werden

Auch Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) kritisiert einige Vorschläge der EU zur GAP. Anders als die EU-Kommission sieht Klöckner die verpflichtende Kappung der Direktzahlungen bei 100.000 Euro nicht als geeignetes Instrument an. „Ich kann mir kaum vorstellen, dass wir hier ohne Änderungen mitgehen können“, so die Ministerin. Die Anwendung der Kappung sollte den Mitgliedsstaaten freigestellt sein. Außerdem sieht Klöckner Diskussionsbedarf bei der Vereinfachung der GAP. „Es kann nicht sein, dass unsere Bauern mehr Zeit am Schreibtisch als auf ihren Feldern verbringen“. Hinzu komme, dass von den Landwirten Mehrleistungen für die Gesellschaft erwartet werden, die sie zusätzlich stemmen müssten. „Deshalb müssen wir Landwirte, die die zusätzlichen gesellschaftlichen Anforderungen an Umwelt- und Naturschutz erfüllen, die über ihr wirtschaftliches Betriebsinteresse hinausgehen, auch finanziell unterstützen“, sagte Klöckner im Interview mit dem Mittelstandsmagazin auf Seite 17.

Die für Landwirtschaft zuständige stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Vorsitzende der MIT-Landwirtschaftskommission, Gitta Connemann, sieht die Vorschläge zur GAP ebenfalls kritisch: „Landwirte können nicht immer mehr Aufgaben erfüllen mit immer weniger Geld.“ Die Einführung einer Obergrenze bei den Direktzahlungen kritisiert Connemann massiv. Im Grunde sei es richtig, die Zielgenauigkeit der Direktzahlungen zu verbessern. Denn bislang erinnere das System an eine Gießkanne, von der auch Holdings profitieren würden, die mit der Landwirtschaft nichts zu tun hätten. Aber diese Verbesserung sollte den Mitgliedsstaaten überlassen werden. „Die Förderung über die GAP muss den in der Region verwurzelten Landwirten zu Gute kommen und nicht den Hedge-Fonds, die Boden als reines Renditeobjekt sehen.“ Auch in der MIT-Landwirtschaftskommission steht die Diskussion über die GAP auf der Agenda.

Auf Ministerin Klöckner und die MIT-Landwirtschaftskommission hofft auch Josef Aschenbroich. Der Landwirt aus Langenfeld im Rheinland führt einen Ackerbaubetrieb mit Legehennen-Haltung und kämpft vor allem mit einem Widerspruch: „Beim Verkauf unserer Produkte gilt der raue Weltmarkt mit seinen Dumpingpreisen, und auf der anderen Seite haben wir höchste europäische und deutsche Produktionsstandards.“ Deshalb seien die Ausgleichszahlungen an die Landwirte unerlässlich. Auch angesichts der aktuell desaströsen Ernte werde deutlich, wie wichtig die Zahlungen in ungekürzter Höhe gerade in Zeiten des Klimawandels seien. Hinzu kommt auch, wie bei Landwirtin Kathrin Seeger, die wachsende Bürokratiebelastung. „Ob Düngeverordnung, Pflanzenschutzgesetz, Agrarantrag, oder Arbeitsgesetzgebung – alle verlangen immer neue Aufzeichnungspflichten“, sagt MIT-Mitglied Aschenbroich. Denn nicht selten kommen zu den EU-Verordnungen noch nationale Regeln hinzu. „Wir brauchen in Deutschland wieder mehr Vertrauen für unser Tun“, sind sich Aschenbroich und Seeger einig. Denn ohne dieses Vertrauen entfernt sich ihr Beruf immer mehr von seiner eigentlichen Aufgabe, nämlich Nahrungsmittel gut und zuverlässig zu produzieren. Genau das sollte die Ausgangslage für die weitere Diskussion über die GAP sein.

Dieser Artikel erschien im Mittelstandsmagazin der MIT, Ausgabe 4-2018.