Handelsblatt-Gastbeitrag: "Länger arbeiten"

Datum des Artikels 27.03.2014

Einen Kontrapunkt zur Rente mit 63 fordert Carsten Linnemann.

Die Wirtschaft, viele Arbeitnehmer, und auch die meisten in der Union, sehen die geplante Rente mit 63 mit großen Bauchschmerzen. Sie ist schädlich, weil sie die Rentenkassen und damit Arbeitnehmer, Arbeitgeber und auch die aktuellen Rentner Milliarden kostet. Mindestens so schlimm wie die Kosten ist aber das Signal: Wir erleichtern wieder einen früheren Renteneintritt. Dies steht im krassen Widerspruch zur demografischen Entwicklung. Haben Rentner 1955 im Durchschnitt nur knapp 10 Jahre lang eine Rente bezogen, erhalten heutige Rentner fast doppelt so lang Geld aus der Rentenkasse. Gleichzeitig haben sich die Arbeitsbedingungen in allen Berufsgruppen durch ergonomisch gestaltete Arbeitsplätze und modernes Gesundheitsmanagement elementar verbessert. Das heißt: Der Bedarf für Frühverrentungen aus Sicht älterer Arbeitnehmer sinkt, der volkswirtschaftliche Schaden einer Frühverrentung steigt. Immer mehr Unternehmen suchen händeringend Fachkräfte. Was wir also auf keinen Fall brauchen ist eine Verringerung des Renteneintrittsalters. Wenn sie nun aus politischen Gründen kommen muss, dann brauchen wir ein zusätzliches Signal: Und dieses Signal heißt: flexibler Renteneintritt. Damit soll es älteren Arbeitnehmern und ihren Arbeitgebern erleichtert werden, über das gesetzliche Renteneintrittsalter hinaus zusammen zu arbeiten.

Zwar ist es theoretisch schon jetzt möglich, länger zu arbeiten statt in Rente zu gehen. Aber faktisch wird das durch arbeits- und sozialrechtliche Regelungen erschwert. Wenn derzeit ein älterer Arbeitnehmer weiter arbeiten möchte und der Arbeitgeber einverstanden ist, dann darf dieses Arbeitsverhältnis derzeit nicht zeitlich begrenzt werden. Damit ist der Arbeitgeber dem Risiko ausgesetzt, den älteren Beschäftigten unendlich lange weiter beschäftigen zu müssen. Dabei hat dieser gar kein Schutzbedürfnis, da er nicht arbeitslos werden kann. Außerdem muss der Arbeitgeber für einen Arbeitnehmer auch jenseits des gesetzlichen Rentenalters Arbeitslosen- und Rentenbeiträge zahlen, obwohl Rentner von beiden Versicherungen nicht mehr profitieren: Arbeitslos können sie nicht werden und damit auch kein Arbeitslosengeld mehr bekommen. Und ihre Rentenhöhe steht bereits fest und kann durch die Mehrarbeit nicht erhöht werden. Deshalb fordere ich: wenn keine Leistungen, dann keine Beiträge!

Früher mögen diese Hürden berechtigt gewesen sein: Ältere Arbeitnehmer sollten Jüngeren nicht die Jobs wegnehmen. Doch heute in Zeiten des Fachkräftemangels sticht dieses Argument nicht mehr. Es kann – gerade zur Einarbeitung Jüngerer – ein großes betriebliches und ein Arbeitnehmer-Interesse geben, ältere Beschäftigte noch ein paar Monate oder Jahre länger zu halten. Dann darf das aber für den Arbeitgeber nicht künstlich erschwert werden.

Deshalb wollen wir befristete Weiterbeschäftigung jenseits des Renteneintrittsalters rechtssicher zulassen und die Pflichtbeiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung für diese Arbeitnehmer abschaffen, wenn daraus ohnehin kein Leistungsanspruch erwächst. Ziel muss es sein: Ältere Arbeitnehmer sollen länger arbeiten dürfen. Wir brauchen sie und wir wollen sie.


Dieser Beitrag von Carsten Linnemann, Bundesvorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU, wurde am 27. März 2014 im Handelsblatt veröffentlicht.