Hendrik Wüst im Interview: „Quoten können nicht das Mittel der ersten Wahl sein“

Datum des Artikels 09.12.2021
MittelstandsMagazin

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst spricht im Interview mit Mittelstandsmagazin-Chefredakteur Thorsten Alsleben über seinen neuen Arbeitsalltag, Quoten in der Politik und das Alleinstellungsmerkmal der CDU.

Herr Wüst, Sie sind seit wenigen Monaten Vater. Inwiefern hat das Ihren Arbeitsalltag geändert?

Hendrik Wüst: Ein Kind verändert das ganze Leben. Meiner Tochter gehört grundsätzlich die erste Stunde des Tages ganz früh morgens. Diese Zeit genieße ich sehr. Beruf und Familie zu vereinbaren, ist immer eine Herausforderung, da geht es mir wie vielen anderen Eltern in unserem Land. Es ist sehr viel mehr zu organisieren.

Haben Sie nachts auch Babydienst, selbst wenn Sie wichtige Termine am nächsten Tag haben?

Meine Frau und ich stimmen uns eng ab und teilen uns auch solche Aufgaben. Das ist für mich selbstverständlich. Wir haben allerdings das große Glück, dass unsere Tochter im Moment sehr gut schläft. Ich weiß, das kann sich auch schnell ändern. Ich bin selbst gespannt, wie es in den kommenden Monaten weitergeht und freue mich darauf.

Nun sind Sie auch seit wenigen Wochen neuer Ministerpräsident. Was war das Überraschendste oder Ungewohnteste im Vergleich zur Arbeit vorher?

Was Termindichte und Arbeitsaufkommen betrifft, hat sich nicht allzu viel verändert. Neu war natürlich die große Themenvielfalt, die mich nun als Ministerpräsident erwartet. Im Verkehrsministerium waren die Inhalte zwar nicht weniger spannend, dafür thematisch aber deutlich näher beisammen. Das Durchstarten ins neue Amt lief reibungslos. Sowohl im Kabinett als auch in der Staatskanzlei arbeiten wir vertrauensvoll und gut zusammen. Es war mir wichtig, die vielen Herausforderungen und die Arbeit sofort anzugehen. Denn die Pandemie macht keine Regierungspause.

Was machen Sie anders als Armin Laschet?

Was das Alter, die Herkunft und manche Erfahrung angeht, sind wir unterschiedliche Typen mit unterschiedlicher Prägung. Schon deshalb setze ich natürlich auch eigene Schwerpunkte. Zum Beispiel die enge Verbindung zum Mittelstand, dessen Themen mir seit vielen Jahren und nicht erst als MIT-Landesvorsitzender sehr am Herzen liegen. Als Christdemokraten verbindet Armin Laschet und mich im Kern viel mehr, als uns trennt. Uns eint der Glaube an zentrale Werte und eine verlässliche Freundschaft, die über das Politische hinausgeht.

Was ist denn die inhaltliche „Agenda Wüst“ für die nächsten Monate und dann für den Wahlkampf?

Aktuell steht erst einmal die Bewältigung der vierten Corona-Welle im Vordergrund – die Gesundheit der Menschen zu schützen hat absolute Priorität. In Nordrhein-Westfalen haben wir gehandelt, bevor eine Situation wie in anderen Bundesländern eingetreten ist. Dennoch ist die Lage dynamisch und deshalb war es wichtig, bundesweite Leitlinien zu beschließen. Wir stemmen gerade einen nationalen Kraftakt, um den Menschen flächendeckend und schnell die dritte Impfung anbieten zu können. Unser Blick und unsere Vorbereitungen gehen aber natürlich bereits weiter. Der Wiederaufbau nach dem Unwetter in Nordrhein-Westfalen braucht einfache und investitionsfreundliche Rahmenbedingungen. Wir als Landesregierung werden dafür an die bisherigen acht Entfesselungspakete anknüpfen. Mehrere Initiativen zum genehmigungsfreien oder erleichterten Wiederaufbau der Infrastruktur in den Unwetterregionen haben wir bereits im Bundesrat eingebracht. Und auch bezahlbarer Wohnraum ist ein zentrales Thema. Jetzt ist gutes Regierungshandwerk gefragt. Wir bereiten uns natürlich gut vor, aber der Wahlkampf beginnt erst im Frühjahr.

Bislang waren ja CDU-Vorsitzende in Nordrhein-Westfalen eher CDA-nah. Sie sind der erste MIT-Chef in dem Amt – sogar bundesweit. Müssen Sie dafür mehr Zugeständnisse an die CDA machen?

In der Volkspartei CDU muss beides wieder besser sichtbar werden: die MIT mit Lösungen für die Probleme des Mittelstandes ebenso wie die CDA mit Lösungen sozialer Fragen. Bei den großen Themen dieser Zeit geht es nur zusammen. Klimaschutz und starke Wirtschaft mit sicheren, guten Arbeitsplätzen zu versöhnen, können nur wir mit starker MIT und starker CDA.

Der CDU-Parteitag wird wohl über die Einführung einer Frauenquote diskutieren. Junge Union und MIT sehen das kritisch. Wie stehen Sie dazu?

Für uns als Volkspartei führt kein Weg daran vorbei, dass die CDU attraktiver für politisch interessierte Frauen wird. Ihre Sicht, ihre Stärken müssen sichtbarer werden. Es muss uns ein inneres Anliegen sein. Ich bin froh, dass es nach meiner Wahl zum CDU-Vorsitzenden in Nordrhein-Westfalen gelungen ist, die Parteiführung zur Hälfte mit Frauen zu besetzen – und das ganz ohne Quote.

Wären Sie auch für Quoten für andere, die sich unterrepräsentiertfühlen: junge Menschen, Migranten, Unternehmer?

Quoten können nicht das Mittel der ersten Wahl sein. Aber klar ist: Die Vielfalt macht eine Volkspartei aus, die die gesamte Gesellschaft im Blick hat. Daran sollten wir arbeiten.

Bislang war der CDU-NRW-Chef auch immer ein wichtiger Mitspieler auf Bundesebene, mindestens als Vize-Vorsitzender. Werden Sie auch in der Bundespolitik eine größere Rolle spielen?

Als Ministerpräsident bin ich im Präsidium dabei. Da werde ich mich auch in die Arbeit der CDU Deutschlands einbringen.

Welchen Kandidaten wünschen Sie sich den für den Bundesvorsitz?

Unsere Mitglieder werden das entscheiden – und sie brauchen dafür kein Votum des nordrhein-westfälischen Landesvorsitzenden. Die Mitglieder haben das Wort, das ist gut!

Was erwarten Sie von dem neuen Vorsitzenden?

Der Vorsitzende muss sicherstellen, dass die CDU wieder das soziale Gewissen der Republik wird. Und er muss sich mit einem Team umgeben, das die ganze Vielfalt der Volkspartei CDU zeigt.

Was muss die CDU strukturell ändern? Mehr Basisbeteiligung?

Politik muss familienfreundlicher werden. Sitzungen und Termine dürfen nicht so oft in den Abend gelegt werden. Das gilt insbesondere für eine Partei wie die CDU, die Familien in besonderem Maße als Nukleus unserer Gesellschaft sieht. Dafür braucht es einen Mentalitätswechsel. Den muss auch eine Parteizentrale glaubhaft vorleben. Es muss die Bereitschaft bestehen, junge Menschen oder Menschen mit familiären Verpflichtungen besser einzubinden, indem man solche Hürden senkt.

Die Partei ist sehr gespalten: Es gibt gegenseitige öffentliche Angriffe und auch im Wettbewerb um den Vorsitz hat man den Eindruck, die Fans der Kandidaten konzentrieren sich mehr auf die Schwächen der anderen als auf die Stärken des eigenen Kandidaten. Wie könnte man das in den Griff bekommen?

Das sehe ich anders, ich erlebe keine wirkliche Spaltung innerhalb der CDU, außer vielleicht bei den immer gleichen Lautsprechern, die sich bei Twitter austoben. Viele Mitglieder haben sicher ihren jeweiligen Favoriten, den sie unterstützen. Ich empfinde die Auseinandersetzung zwischen den drei Kandidaten als fair. Wahr ist aber auch: Mit der Wahl jetzt braucht es eine längere Phase der Stabilität und Ruhe in der Partei. Das würde uns allen gut tun.

Was sind aus Ihrer Sicht die Kernthemen, um die sich die CDU jetzt kümmern muss?

Unser Alleinstellungsmerkmal ist das christliche Menschenbild. Gerade als Opposition im Bund werden wir eine noch klarere Haltung zu vielen Themen entwickeln müssen. Darin liegt, bei allem Ärger über das Wahlergebnis im Bund, auch eine echte Chance. Gleichzeitig nicht das Prinzip polarisieren. Ich bin zum Beispiel sicher, dass die neue Bundesregierung bei Fragen der inneren Sicherheit nicht für das Sicherheitsbedürfnis der Mehrheit der Menschen steht. In der Finanz- und Wirtschaftspolitik werden Rot und Grün sicher diametral andere Vorstellungen haben als das bürgerliche Lager.

Über die Ampel gehen die Aussagen von Unionspolitikern auseinander: von „in Ordnung“ (Armin Laschet über das Sondierungspapier) bis „strammste Linksagenda“ (Ralph Brinkhaus). Wie bewerten Sie die bisherigen Ergebnisse?

Schon bei der Frage der Einberufung derMinisterpräsidentenkonferenz und dem Auslaufen der epidemischen Lage nationaler Tragweite haben wir gesehen, dass die Ampel sich noch daran gewöhnen muss, welch große Verantwortung sie nun trägt. 

Bei Corona gehen die gegensätzlichen Ansichten quer durch Parteien von Lockdown bis Freedom Day. Wo ordnen Sie sich da ein?

Wir kommen aus einer Phase im Sommer, in der Lockerungen möglich waren, und gehen in einen Winter mit Negativ-Rekordwerten bei Infektions- und Patientenzahlen und einer sehr angespannten Situation auf den Intensivstationen. Die pandemische Lage in vielen Teilen Deutschlands ist aktuell sehr ernst. Wir brauchen einen Kurs der Wachsamkeit und Entschlossenheit. Testen, Impfen, Vorsicht – das ist das Gebot der Stunde.

 

Bitte beantworten Sie folgende Fragen nur mit Ja oder Nein. Sie haben einen Joker. Sind schwarzgelbe Koalitionen im Bund noch realistisch?

Ja. Nordrhein-Westfalen zeigt, wie erfolgreich und einvernehmlich die Zusammenarbeit einer solchen Koalition erfolgen kann. Hier kann unser Land Vorbild für den Bund sein.

Finden Sie die Mitgliederbefragung für den Bundesvorsitz richtig?

Ja.

Kann das ein Modell für die Zukunft sein?

In dieser besonderen Lage ist es richtig. Das muss man in Zukunft von Fall zu Fall entscheiden.

Werden Sie mit CSU-Chef Söder besser zurechtkommen als Armin Laschet?

Ich kenne Markus Söder schon aus der Jungen Union. Das ist eine gute Grundlage, auch für die Arbeit innerhalb der Union.

Das war etwas mehr als ein Ja oder Nein, aber das lassen wir gelten. Danke für das Gespräch.


Das Interview erschien im Mittelstandsmagazin, Ausgabe 6-2021