Innovationskraft des Mittelstands stärken

Datum des Artikels 28.11.2022
Beschluss

Kaum ein Land ist so sehr angewiesen auf Forschung, Innovationskraft und technologische Spitzenleistungen wie das rohstoffarme Industrieland Deutschland. Doch Forschung und Produktentwicklung erfordern hohe Investitionen. Allein der Mittelstand investiert in diesem Jahr 24,4 Mrd. Euro in Forschung und Entwicklung (EFI-Gutachten 2022). Die Unterstützung durch staatliche Innovations- und Forschungsförderung ist dabei gerade für den deutschen Mittelstand unverzichtbar. Doch trotz der großen Anstrengungen von Wirtschaft und Staat werden deutsche Unternehmen im internationalen Innovationswettlauf zunehmend abgehängt. Während es China gelungen ist, seinen Anteil an den weltweiten Hochtechnologieexporten in den letzten 20 Jahren von 3,6 Prozent auf 23,8 Prozent zu steigern, sank der Anteil der deutschen Exporte von 6,7 Prozent auf 5,6 Prozent (GTAI).

Die rasanten Fortschritte der asiatischen Wettbewerber in den Hochtechnologie-Märkten hängen untrennbar zusammen mit ihren F&E-Erfolgen. Beispielsweise sind die Patentanmeldungen im Bereich der Produktionstechnologie in China in den letzten zwei Jahrzehnten um den Faktor 52,8 geradezu explodiert (2017-2019 verglichen mit 2000-2002, EFI-Gutachten 2022). Die deutschen Patentanmeldungen im Bereich Produktionstechnologie haben im gleichen Zeitraum hingegen nur um das 1,5-fache zugelegt. Diese Entwicklung ist für die Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland sehr gefährlich und muss gestoppt werden. Deutschland muss mit technologischem Vorsprung international wieder zum Innovationstreiber werden. Die Forschungs- und Innovationspolitik muss dafür die richtigen Weichen stellen. Wir haben eines der besten Wissenschaftssysteme der Welt, müssen aber dafür sorgen, dass anwendungsnahe Forschungsergebnisse zügiger zur Marktreife gelangen.

Die Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) fordert:

  • Die Ausgaben in Deutschland für Forschung und Entwicklung liegen mit 3,13 Prozent (2020) weiterhin deutlich zu niedrig. Am Ziel, den Anteil der Ausgaben für F&E am BIP bis 2025 auf 3,5 Prozent zu erhöhen, muss unbedingt festgehalten werden. Die F&E-Ausgaben müssen in die Zukunft orientiert sein und die für Deutschland relevanten Schlüsseltechnologien adressieren, was ein systematisches Monitoring (Technology Foresights) und den strategischen Aufbau eines entsprechenden Portfolios erfordert. Der Grundsatz der Technologieoffenheit muss konsequent beibehalten werden.
  • Allzu häufig stehen Kompetenzstreitigkeiten zwischen Ministerien der Erreichung von Innovations- und Forschungszielen im Weg. Anstatt Silodenken brauchen wir mehr interministerielle Zusammenarbeit. Um Forschungsförderung und Innovations¬program¬me schnell und zielgerichtet auszugestalten, sollten unter Federführung des Bundeskanzleramtes zeitlich befristete Projektarbeitsgruppen verschiedener Ministerien eingerichtet werden. Das Kanzleramt muss für jede Projektarbeitsgruppe die Kompetenzen der Ministerien bündeln und koordinieren. Die Einrichtung solcher Projektarbeitsgruppen ließe sich zügig und unkompliziert umsetzen.
  • Die Gründungs- und Transferinfrastruktur muss weiter ausgebaut und effektiver gestaltet werden. In den letzten Jahren wurde viel in den Ausbau der Gründungs- und Innovationsförderung in der Wissenschaft investiert. Trotzdem gelingt es nicht, stärker von der Forschung in die Anwendung zu kommen. Die Förder- und Transferlandschaft ist aus Sicht von KMU zu kleinteilig und unübersichtlich, viele Programme sind nicht ausreichend aufeinander abgestimmt. Auch bei Professionalisierung und Digitalisierung hinken die Transferstrukturen hinterher. Bestehende Angebote an die Wissenschaft sind zu schärfen und stärker auf den Weg zur Marktreife auszurichten. Derartige Förderprojekte sollten von Vertretern des Mittelstands begleitet und die Ergebnisse stärker nachgehalten werden, damit der Weg in die Anwendung auch wirklich gelingt (Output-Evaluierung).
  • Gründungen, Startups und auch Betriebsübernahmen müssen noch stärker Bestandteil der Forschungs- und Innovationspolitik werden. Neu gegründete Unternehmen sind der Mittelstand von morgen und sollten nach der Gründung durch entsprechende Programme weiter unterstützt werden. Ausgründungen aus der Wissenschaft spielen eine zentrale Rolle bei der Umsetzung von Forschungsergebnissen in Innovationen und leisten einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung unserer Wettbewerbsfähigkeit. Der Transfer von IP (Intellectual Property) aus den wissenschaftlichen Einrichtungen in die Ausgründungen muss erleichtert werden. Die Rahmenbedingungen für Gründungen, Betriebsübernahmen und die Vergabe von Risikokapital müssen weiter verbessert und möglichst bürokratiearm ausgestaltet werden. Kosten und Dauer von Unternehmensgründungen und Betriebsübergaben müssen weiter sinken.
  • Zur Verbesserung des Technologietransfers zwischen Universitäten und KMU ist die Gründung einer staatlichen Agentur nach dem Vorbild Kanadas, Israels oder Finnlands zu prüfen. Bei der Ausgestaltung kann an die Planungen für eine Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (DATI) angeknüpft werden. Aufgabe einer solchen Agentur sollte die Förderung und Umsetzung von Technologietransfer sein. Hierzu gehören die Vermittlung von Kontakten zwischen KMU bzw. Start-up-Unternehmen und Forschern, sowie die Finanzierung von Projekten und Unternehmen, die Forschungsergebnisse zur Marktreife führen wollen (z.B. mit Wagniskapital). Dabei sollte auch der Informationsfluss hinsichtlich Leistungen und Bedarfen von den KMU in Richtung der Hochschulen verbessert werden. Die Zusammenarbeit zwischen den Akteuren (Wirtschaft, Hochschulen für angewandte Wissenschaft, Universitäten, außeruniversitäre Institute, F&E-unterstützende Stiftungen) muss effektiver werden. Die mittelständische Wirtschaft muss in Planung und Durchführung von Fördermaßnahmen einbezogen sein. Die Finanzausstattung erfordert die Bereitstellung zusätzlicher Haushaltsmittel und darf in keiner Weise zu Lasten bereits bestehender F&E-Infrastruktur erfolgen.  
  • Die Fördermöglichkeiten für kleine und mittlere Unternehmen müssen ausgebaut werden. Eine vereinfachte und überschaubare Förderlandschaft muss einen lückenlosen Übergang von der Forschung bis zur Anwendung ermöglichen. Der Mittelstand spielt eine zentrale Rolle auf dem Weg zur Marktreife. Die Unternehmen kennen die Anwendungsmöglichkeiten, die industriellen Zusammenhänge, die Anforderungen und Kundenwünsche. Die Weiterführung des Zentralen Innovationsprogramms für den Mittelstand (ZIM) ist zu begrüßen, das Budget muss aber erheblich erhöht werden. Darüber hinaus sollen auch andere Programme wie die industrielle Gemeinschaftsforschung weiter gestärkt werden. Bei größeren Verbundvorhaben von Forschung und Industrie sollte eine Beteiligung von KMU verpflichtend sein. Die Einführung der steuerlichen Forschungsförderung war ein wichtiges Signal zur Stärkung der Innovationsanstrengungen von KMU. Zugangsbarrieren müssen beseitigt werden, auch, indem das Instrument stärker beworben wird.
  • Der Zugang von KMU zu wissenschaftlichen Veröffentlichungen muss verbessert werden. Der Mittelstand profitiert von der Verfügbarkeit von Publikation in Open Access-Plattformen. Viele Zuwendungsgeber wie das BMBF oder die EU-Kommission verlangen bereits die Publikation von Forschungsergebnissen über solche Plattformen. Die Publikation über Open Access-Plattformen muss weiter gefördert werden. Hierbei muss auch dafür gesorgt werden, dass die Informationen so aufbereitet sind, dass sie von KMU gefunden und verwertet werden können. KMU sollten aktiv auf Open Access-Plattformen aufmerksam gemacht werden.
  • • Das Potenzial von Normen und Standards bei Förderprogrammen muss zur Stärkung von Innovationen und für einen gezielteren Transfer besser ausgeschöpft werden. Um die Verwertung von Projektergebnissen zu verbessern, muss das Bewusstsein für die wirtschaftliche Bedeutung von Normen und Standards geschaffen werden. Neben dem Schutz von geistigem Eigentum (Patentierung) müssen auch die Chancen im Bereich Normung und Standardisierung ausgelotet werden. Fester Bestandteil von F&E-Strategien für wichtige Zukunftstechnologiefelder muss immer auch eine Normungsstrategie sein. Normungsbedingte Kosten sollten Bestandteil von F&E-Förderprogrammen sein. Die Mitarbeit von KMU und KMU-Verbänden in Normungsgremien muss ausgebaut werden.
  • Lokale und regionale Transferverbünde müssen gestärkt und führende Cluster herausgebildet werden. Hierbei sollten Hochschulen für angewandte Wissenschaften eine zentrale und federführende Funktion erhalten. Zur Stärkung bestehender regionaler Kooperationen zwischen Mittelstand und Wissenschaft über Branchennetzwerke sollten auch die Regionalförderung sowie Clusterwettbewerbe weiterentwickelt werden.
  • B2B-Plattformen sind digitale Marktplätze für Unternehmen, beispielsweise die Handelsplattform für Stahlprodukte XOM Material. Diese Plattformen bieten KMU große Chancen, aber es gibt große Zugangshindernisse. Der Staat muss KMU bei der Nutzung von B2B-Plattformen aktiv unterstützen, etwa durch Schulungsangebote und Kostenübernahmen für KMU.
  • Die Kapazitäten im Bereich der MINT-Fächer in den Schulen müssen ausgebaut werden. Die schulische Ausbildung muss verstärkt die individuellen Fähigkeiten in den Blick nehmen. Moderne digitale Unterrichtsmethoden müssen genutzt werden, um den Unterricht zielgerichtet auf diese persönlichen Stärken auszurichten. Forschergeist und unternehmerisches Denken müssen zur persönlichen Profilbildung in der Schule gehören.  Hierzu müssen auch die Anforderungen von KMU stärker in der Ausbildung für Fachkräfte berücksichtigt werden, denn Innovationen brauchen Fachkräfte, die sie umsetzen. Die Berufsorientierung für Schüler muss besser werden. Schon in der Schule muss das Interesse an Handwerks- und MINT-Berufen geweckt und mit Schnuppertagen und Praktika vertieft werden. Eltern müssen über die Angebote informiert werden. Die Gleichwertigkeit der Dualen Ausbildung und des akademischen Studiums bei Erreichen entsprechender Abschlüsse muss allgemeine Kenntnis erlangen.