Innovative Gesundheitsversorgung sichern, mittelständische Strukturen stärken, Planwirtschaft entgegentreten

Datum des Artikels 09.07.2025
Beschluss

BESCHLUSS DES MIT-BUNDESVORSTANDS VOM 8. JULI 2025

Die Gesundheitsversorgung ist eine wichtige und vertrauensbildende „Grundleistung“ für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land: diese müssen sich darauf verlassen können, dass sie wohnortnah und qualitativ hochwertig versorgt werden. Zugleich ist eine gute medizinische Versorgung wichtiger Standortfaktor und damit eine zentrale Voraussetzung für die Entfaltung der Potenziale unserer Wirtschaft.

Als Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) treten wir für praxisnahe und bürokratiearme Rahmenbedingungen in der ambulanten und stationären Gesundheitsversorgung ein, die damit einen wichtigen Beitrag zur Erreichung des Ziels gleichwertiger Lebensverhältnisse leisten. Die insbesondere infolge der demographischen Entwicklung entstehenden (finanziellen) Anforderungen gerade in ländlichen Regionen werden wir durch innovative Versorgungsformen und den Einsatz von digitalen und KI-gestützten Anwendungen angehen.

Wir setzen uns ausdrücklich für eine Stärkung des dualen Krankenversicherungssystems ein. Wir müssen Strukturreformen anstoßen, die die Gesundheitsausgaben dauerhaft und nachhaltig dämpfen. Weiterhin wollen wir die Eigenverantwortung der Patientinnen und Patienten mittels Prävention stärken, das Kostenbewusstsein schärfen und so auch die Krankheitslast nachhaltig senken. Die ergänzende private und betriebliche Vorsorge wollen wir stärker fördern.

1. Wohnortnahe Gesundheitsversorgung ambulant und stationär innovativ sicherstellen – Klima für Niederlassung verbessern

Wir stellen die Versorgungssicherheit durch eine flächendeckende Grund- und Notfallversorgung gleichermaßen in städtischen und ländlichen Räumen sicher. Die Bürgerinnen und Bürger benötigen dazu einen wohnortnahen Zugang zu haus-, zahn- bzw. primärärztlicher Grundversorgung sowie zu Präsenzapotheken („Vor-Ort-Apotheke“). Wo kein ausreichendes Angebot durch (zahn)ärztliche Niederlassungen und Betriebsstätten gehalten werden kann - also in Fällen drohender oder festgestellter Unterversorgung -, sollen Optionen zur Erweiterung der Trägervielfalt (z. B. regionale und kommunale Gesundheitszentren, Genossenschaften etc.) ermöglicht werden, um diese Lücken subsidiär füllen zu können. Für spezialisierte Leistungen werden Anreize gesetzt, die lokalen Strukturen mittels digitaler Technologie an medizinische Zentren anzubinden und zu vernetzen. Neben der Versorgungsicherheit muss dabei eine ethisch einwandfreie Patientenversorgung gewährleistet sein, welche sich nicht vor allem von finanziellen Maßstäben leiten lässt.

Als wesentliche weitere Maßnahmen wollen wir die Lotsenfunktion von Hausärztinnen und Hausärzten stärken. Hierbei setzen wir auch auf der im Koalitionsvertrag aufgeführten Idee des sog. „Primärarztsystems“ auf. Ein Primärarztsystem kann kollektiv- als auch selektivvertraglich ausgestaltet werden und auf bewährte Strukturen der Hausarztzentrierten Versorgung (HzV) mit angekoppelten Facharztverträgen zurückgreifen. Es enthält Schnittstellen zur Notfallversorgung und zum kassenärztlichen Bereitschaftsdienst. So können bestehende Versorgungskapazitäten zielgerichteter eingesetzt werden. Zugleich muss sichergestellt werden, dass dieser Systemwechsel nicht zu Engpässen beim Zugang zur Versorgung führt. Parallel werden wir die hausärztliche Versorgung entbudgetieren.

Im Zusammenhang mit der ambulanten Versorgung sehen wir mit Sorge, dass immer mehr freiberuflich geführte (zahn)ärztliche Praxen und Präsenzapotheken altersbedingt schließen, immer häufiger, ohne eine Nachfolge gefunden zu haben. Dadurch wird der lokale Zugang zur Gesundheitsversorgung gerade auch auf dem Land erschwert. Verantwortlich dafür sind insbesondere der demografische Wandel und die sinkende Bereitschaft, sich in eigener Praxis oder Betriebsstätte niederzulassen. Die demografische Entwicklung kann kurzfristig nicht abgewendet werden. Die Bereitschaft in ländlichen oder strukturschwachen Gebieten zu praktizieren, kann jedoch durch günstige Rahmenbedingungen (Landarztquoten etc.) und vor allem durch den Abbau überflüssiger Regulierung und Bürokratie erhöht werden.

Patientinnen und Patienten müssen sich zudem darauf verlassen können, dass (zahn)ärztliche Empfehlungen im Sinne der Therapiefreiheit nach bestem Wissen und Gewissen und ausschließlich nach dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft erfolgen. Die freie Arztwahl darf nicht durch Konzentrationsprozesse der Anbieterstrukturen eingeschränkt werden. Der freiberuflichen Selbstverwaltung der (Zahn-)Ärztinnen und (Zahn-)Ärzte kommt hierbei eine wichtige Rolle zu.
Im Zusammenhang mit der stationären Versorgung sollten überflüssige Doppelstrukturen durch die Errichtung von Institutsambulanzen an Krankenhäusern in der Fläche abgebaut werden. Weiterhin ist die Umwidmung eines Krankenhausstandortes in ein regionales Gesundheitszentrum zur Sicherstellung der regionalen Gesundheitsversorgung, der Notfallversorgung, zur Vermeidung von Unterversorgungen einer Region und zur Befriedigung der Patientenbedürfnisse denkbar. Eine digitale Datenstrategie, um Informationslücken in den Versorgungsketten zwischen ambulant und stationär zu schließen, betrachten wir als unumgänglich. Die begonnene Krankenhausreform muss in diesem Sinne fortgeführt und weiterentwickelt werden.

Hierzu werden wir

• Investitionen in zukunftsfähige Strukturen im Sinne einer breiten Angebotsvielfalt erleichtern – unabhängig von der Betriebsform,
• einen geeigneten (berufs-)rechtlichen Rahmen für investorenbetriebene Anbieterstrukturen schaffen, um einen fairen Wettbewerb zwischen den verschiedenen Anbietern sicherzustellen, der Monopolbildung und Einflussnahme von Kapitalinteressen auf Therapieentscheidungen ausschließt,
• entsprechend dem Subsidiaritätsgrundsatz und dem Prinzip der „gleich langen Spieße“ die Selbstverwaltung mit der Überwachung und Durchsetzung dieses Rechtsrahmens beauftragen,
• geeignete Maßnahmen entwickeln, um das im Koalitionsvertrag niedergelegte Bekenntnis zur Stärkung der Selbstverwaltung der Freien Berufe und der berufsständische Versorgungswerke zu verwirklichen.


2. Bürokratie und Regulierung deutlich reduzieren

Wer einen Heil- oder Pflegeberuf ausübt, will am Menschen arbeiten, nicht am Schreibtisch. Der tägliche Verwaltungsaufwand im Gesundheitswesen und vor allem in der freiberuflichen Niederlassung ist in Teilen unzumutbar geworden. Er stellt mittlerweile einen der wichtigsten Hinderungsgründe für die Gründung und Fortführung der eigenen Niederlassung dar. Dies gilt besonders für junge Berufsangehörige. Die durch Bürokratieabbau gewonnene Behandlungszeit kommt zuvörderst den Patientinnen und Patienten zugute.

Konkret wollen wir den Gesundheitssektor durch weitere Maßnahmen wie der Einführung von Genehmigungsfiktion in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), die Abschaffung von Doppeldokumentationen und -prüfungen, den Verzicht auf Vorschriften und Maßnahmen, die in keinem Verhältnis zu dem gesetzgeberisch intendierten Ziel stehen, sowie die Stärkung der Eigenverantwortung der Gesundheitseinrichtungen stärken. Dabei setzen wir auf die Etablierung einer neuen Vertrauenskultur, die die Eigenständigkeit und Eigenverantwortlichkeit der betroffenen Berufsgruppen stärkt.

Konkret fordert die MIT die Bundesregierung dazu auf,

• die Dokumentations- und Kontrolldichten im Gesundheitswesen durch ein Bürokratieentlastungsgesetz zeitnah zu reduzieren,
• gesetzliche Initiativen stets einem vorherigen Praxis-Check zu unterziehen,
• Datenschutzvorschriften und Berichts- und Dokumentationspflichten zukünftig auf ihre zwingende Notwendigkeit zu überprüfen.


3. Präventionsdividende heben

Auf mittlere Sicht müssen wir u. a. die Krankheitslast der Bevölkerung senken, wenn die GKV finanzierbar bleiben soll. Dazu bedarf es größerer Anstrengungen auf dem Sektor der Prävention, bei denen die Patientinnen und Patienten Hand in Hand mit den Behandlern kooperieren müssen. Die Zahnmedizin beweist eindrucksvoll, welches Potential hier vorhanden ist. Darüber hinaus setzen wir uns für niedrigschwellige psychosomatische und psychotherapeutische Beratungs- und Behandlungsangebote ein.

Daher werden wir individuelle Anreize für eine gesunde Lebensführung in GKV und PKV einführen. Wir setzen erfolgreich evaluierte Präventionsprogramme in den Settings Betrieb, Schule/KiTa (Verhältnisprävention) und Kommune fort und nehmen (zahn)ärztliche Präventionsleistungen aus dem Budget heraus.


4. MedTech-Standort Deutschland | Medikamentenversorgung & Liefersicherheit

Die Medizintechnik-Branche ist eine eigenständige und zentrale Säule der industriellen Gesundheitswirtschaft. Sie generiert bedeutende wirtschaftliche Impulse und hat einen entscheidenden Anteil an einer leistungsfähigen und modernen Gesundheitsversorgung. Die neue Bundesregierung hat die Bedeutung der Medizintechnik-Branche erkannt und muss daraus jetzt eine eigenständige Medizintechnik-Strategie entwickeln.

Die Bundesregierung bekennt sich in ihrem Koalitionsvertrag ausdrücklich zur Medizintechnik als Leitwirtschaft in Deutschland: Um „insbesondere die Pharmazeutische Industrie und Medizintechnik […] als Leitwirtschaft“ zu stärken, sollen insbesondere die Rahmenbedingungen für die Entwicklung und Produktion von Arzneimitteln, Wirkstoffen und Medizinprodukten weiter verbessert werden. Die Versorgungssicherheit soll durch die Rückverlagerung von Produktionsstandorten für kritische Arzneimittel und Medizinprodukte nach Deutschland und Europa gesichert werden.

Die Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) fordert daher

• eine bessere Koordinierung der Ressorts Wirtschaft, Forschung, Gesundheit und Finanzen,
• bessere Rahmenbedingungen für Produktion und Forschung in Deutschland,
• eine inhaltliche Überarbeitung der EU-Medizinprodukte-Verordnung,
• eine nachhaltige Unterstützung von kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU),
• eine frühe Einbeziehung der Medizintechnik-Branche in Konzepte des Zivilschutzes und der Notfallversorgung,
• eine Verbesserung der medizinischen Versorgung im Krankenhaus und ambulanten Bereich durch die angemessene Vergütung des medizintechnischen Fortschritts.

Die Medikamentenversorgung und Liefersicherheit in Deutschland und Europa steht trotz erheblicher Anstrengungen auf allen Ebenen auch drei Jahre nach Ende der Corona-Pandemie bei derzeit insgesamt ca. 500 Arzneimitteln erneut vor Engpässen. Krisenresilienz ist derzeit nicht sichergestellt. Dies betrifft vor allem Arzneimittel wie Antibiotika, Insuline, Schmerz- und Betäubungsmittel sowie Kochsalzlösung. Betroffen sind Arztpraxen, Krankenhäuser und Apotheken. Der Großteil dieser Präparate wird nach wie vor aus China oder Indien importiert.

Die Sicherstellung der Medikamentenversorgung ist Teil der Daseinsvorsorge. Dabei muss der Staat einen Rechtsrahmen schaffen, der es Unternehmen ermöglicht, ausreichende Medikamente zu importieren oder/und die Produktion in Deutschland und Europa wieder zu ermöglichen. Die aktuellen Diskussionen rund um das Thema Resilienz im Gesundheitswesen im Krisenfall macht dies unbedingt erforderlich.


5. Zukunft der Pflege

Der demografische Wandel führt zu einer zunehmenden Überalterung der Gesellschaft und zu einem stetig wachsenden Pflegekräftemangel. Die Zahl der Beitragszahler nimmt ab, während die Zahl der Rentnerinnen und Rentner sowie Pflegebedürftiger steigt, wodurch das Pflegesystem erheblich belastet wird. Bereits heute leben ca. 5,5 Mio. Menschen mit Pflegegrad zuhause. Neben Organisationsfragen wirft diese Entwicklung vor allem auch finanzielle Fragen auf.

Die Politik muss die Rahmenbedingungen für eine menschliche Pflege sowie ein bedarfsgerechtes Pflegeangebot sicherstellen. Es müssen Anreize geschaffen werden, damit pflegebedürftige Menschen länger selbstbestimmt zu Hause und nach den Grundsätzen „Rehabilitation und Prävention vor Pflege“ sowie „ambulante Versorgung vor stationärer“ leben können. Einfache und bürokratisch barrierefreie Regelungen für Pflege und Ehrenamt sind überfällig.

In finanzieller Hinsicht gilt es, ein generationengerechtes Gleichgewicht zwischen Beitragszahlern und Pflegebedürftigen zu schaffen. Daher setzen wir uns dafür ein, die Pflegeversicherung als Teilkaskoversicherung zu erhalten. Um deren Finanzierbarkeit sicherzustellen, müssen Leistungsausweitungen ausbleiben. Daneben ist eine private Pflegezusatzversicherung unabdingbar. Wir setzen uns zudem für die Förderung von mehr Eigenvorsorge und Prävention auch in der Pflege ein.

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