Interview mit MP Haseloff

Datum des Artikels 12.12.2023
MittelstandsMagazin

„Wo erfolgreiche grüne Politik stattfinden soll, muss die CDU in der Führungsverantwortung sein“
Interview mit Ministerpräsident Reiner Haseloff über Mittelstandspolitik im Osten, das Mega-Thema Migration  ländlichen Raum und Rezepte gegen die AfD

„Wo erfolgreiche grüne Politik stattfinden soll, muss die CDU in der Führungsverantwortung sein“
Interview mit Ministerpräsident Reiner Haseloff über Mittelstandspolitik im Osten, das Mega-Thema Migration  ländlichen Raum und Rezepte gegen die AfD
Fabian Wendenburg: Sie sind gerade in Berlin zu einem Spitzentreffen der ostdeutschen Ministerpräsidenten mit der Bundesforschungsministerin Frau Stark Watzinger zum Thema Spitzentechnologie und Forschung. Warum ist das ein besonderes Thema für die Neuen Länder?
Reiner Haseloff: Das ist ein Ost-Thema, da wir aufgrund der deutschen Geschichte keine großen DAX-Unternehmen oder Headquarter der Unternehmen haben. In den alten Bundesländern kommen Investitionen in Forschung und Entwicklung zu zwei Dritteln aus der Wirtschaft kamen und zu einem Drittel vom Staat. Bei uns im Osten ist es genau spiegelbildlich, weil wir vor allem kleine und mittelständische Unternehmen haben: 90 Prozent der Unternehmen haben weniger als 20 Beschäftigte. Sie sind so klein, dass sie keine eigene größere Forschung betreiben. Und viele große Unternehmen verdienen hier viel Geld, zahlen aber kaum Gewerbsteuer. Die Erträge aus der Gewerbesteuer liegen pro Erwerbspersonen für die Kommunen im Osten bei 50 % gegenüber dem Westen. Das wir müssen das als Staat überkompensieren und kommen trotzdem nicht auf das Forschungsvolumen wie im Westen. Dem muss durch bürokratiearme, zugeschnittene Förderprogramme Rechnung getragen werden. Wir sind in einem Aufholprozess, für den wir auch Bundesmittel benötigen. Sonst haben wir in hundert Jahren noch strukturelle Ost-West-Unterschiede.
Bleiben wir beim Thema Mittelstand. Was heißt bei Ihnen im Land „Mittelstandspolitik“ konkret?
Eine Region erhält durch Großansiedlungen auch für den kleinen Mittelstand Impulse. Intel, Mercedes und Leuna sind hierfür Beispiele. Diese großen Unternehmen greifen dauerhaft auf unternehmensnahe Dienstleistungen vor Ort zurück. Das hilft, die Struktur des Mittelstands zu stützen. Wenn dies mit Forschungsprojekten gekoppelt wird wie aktuell unser Projekt mit dem Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt in Leuna für Flugverkehr mit E-Fuels, erhält der Mittelstand viele Impulse. Eine weitere Säule ist Förderung für Start-ups in Verbindung mit Hochschulkooperation, wo dann Drittmittel zur Verfügung stellen. Aber die Ansiedlungspolitik ist die beste Möglichkeit, das gesamte Umfeld mit hochzuziehen. Das betrifft auch die Einkommen und die Attraktivität einer Region, die wir brauchen, wenn wir weiter Zuwanderung in den Arbeitsmarkt haben wollen.
Das heißt, Sie glauben nicht, dass der kleine Mittelstand in einer Konkurrenz um Fachkräfte mit den Großprojekten ins Hintertreffen gerät?
Nein, Großprojekte und Mittelstand befruchten sich eher gegenseitig. Zudem dürfen wir nicht übersehen, dass wir noch rund 120.000 Pendler haben. Um viele Aus- und Fernpendler wollen wir uns weiterhin bemühen, sodass ich rein quantitativ keine Probleme sehe. Anders sieht es bei hochspezialisierten Berufe im Bereich Chips oder IT aus, wo die großen Unternehmen ihre Mitarbeiter ohnehin international suchen.
Viele Ökonomen und Mittelständler fragen: Milliarden für Intel – und was bleibt für den normalen Mittelstand? Hören Sie diese Kritik auch im Land?
Die Unternehmen in dieser Region wissen, dass sie von der Ansiedlung profitieren. Hilfreich ist natürlich auch, dass hier Bundesmittel fließen. Im Klima- und Transformationsfonds liegen viele Milliarden, die besser in einer Ansiedlungen aufgehoben sind, als wenn sie für andere Projekte eingesetzt würden. Und ich frage mich, wo die Alternative ist? Wir werden wegen der Energiekosten Teile der Chemie verlieren. Wollen wir noch weitere Produkte und Rohstoffe aus Russland und China importieren? Wir wollen ja Putin nicht reicher machen, sondern ärmer.  
Lassen Sie uns auf einen anderen mittelständischen Bereich gucken, nämlich Tourismus, der sehr stark in Sachsen-Anhalt ist. Wie sehen Sie da die Situation nach Corona? Stichwort Inflation, Fachkräftemangel, Mehrwertsteuer?
Der Inlandstourismus hat nach Corona angezogen, in Teilen auch wieder die Vorkrisenzahlen, z.B. im Harz, weil dort viele Familien Urlaub machen oder viele Wanderer unterwegs sind. In anderen Regionen hängt der Tourismus auch von Sondereffekten wie Jubiläen ab, die dann Schübe mit sich bringen, wie etwa das Reformationsjubiläum. Aber obwohl Tourismus ein wichtiger Faktor unserer Wirtschaft ist, sind wir kein klassisches Urlaubsland. Die Verweildauer ist eben bei Kultururlauben kürzer, als wenn man Strand liegen kann.
Sie haben kein Meer, aber viel ländlichen Raum. Was machen Sie, um den ländlichen Raum zu stärken?
80 Prozent unserer Bürgerinnen und Bürger leben im ländlichen Raum. Unser Land ist so groß wie Hessen, hat aber nur ein Drittel der Einwohner. Die Altmark ist auf 650 Dörfer verteilt. Wenn Sie vom ländlichen Raum sprechen: Das ist er. Wie sind deshalb sehr offen für neue Mobilitätskonzepte, zum Beispiel mit Mobilitätshubs, um sternförmig eine Erreichbarkeit des ländlichen Raums sicherzustellen und den ihn damit auch für Pendler attraktiv zu halten. Das ist am Ende auch gut fürs Klima. Zugleich finden im ländlichen Raum auch Ansiedlungen statt. Auch in der Altmark gibt es Großindustrie, zum Beispiel mit einer führenden Zellstofffabrik.
Wir sind ein interessantes, heterogenes Land mit vielen Potentialen. Wichtig ist, dass die gesellschaftliche Atmosphäre es zulässt, dass wir anpacken und nicht stagnieren. Der Intel-Chef Pat Gelsinger hat gesagt, er hatte das Gefühl, dass der Hunger nach solchen Investitionen bei uns am stärksten von allen Standorten war.
Sie setzen sich seit Jahren für eine Reform des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks ein. Wo sehen Sie das Hauptproblem, und was schlagen Sie vor?
Unser Bemühen ist es, den ÖRR langfristig als verfassungs- und demokratiestabilisierendes Gut zu erhalten. Es geht daher um den Erhalt und die Sicherung von Akzeptanz, vor allen Dingen im Altersbereich unter 45 Jahre. Aber das wird nur gelingen, wenn sich der ÖRR deutlich ändert. Konkret heißt das: Fokussierung des Angebots, Doppelungen vermeiden. Zum Beispiel Mediatheken zusammenlegen. Zudem muss der regionale Anteil im Programm der Rundfunkstationen der Länder deutlich erhöht werden. Das, was in den Dritten produziert wird, muss öfters ins Vollprogramm übernommen werden. Es gibt also viele Redundanzen. Zugleich müssen wir die Medienvielfalt im Auge haben und das duale System mit ausreichend privaten Anbieten stärken.
Kommen wir zum Mega-Thema Migration: Was erwarten Sie konkret, was die Bundesregierung jetzt tun muss? Und wie sehen Sie auch die Rolle der CDU in dieser ganzen Debatte?
Die ist die wichtigste Frage in Deutschland – keine Frage. Die CDU wird als stärkste politische Kraft in Deutschland, unabhängig davon, dass Sie auf Bundesebene in der Opposition ist, dazu beitragen müssen, dass sich die Situation spürbar verbessert. Wir reagieren in zu vielen Ländern und können uns nicht verweigern. Alle Parteien, die wie die CDU Einfluss und Macht haben, müssen etwas zur Lösung beitragen, sonst wandern die Wähler zu den Protestparteien, und dann wird die AfD auch bundesweit weiter wachsen.
Stichwort AfD. Spätestens bei den Wahlen in Hessen und Bayern haben wir gesehen, dass die Partei kein ostdeutsches Phänomen ist …
… die CDU liegt in Hessen unterhalb der CDU in Sachsen-Anhalt und der Abstand zwischen CDU und AfD ist geringer als in Sachsen-Anhalt …
Das sind die Zahlen zu der Erkenntnis, die wir seit Jahren haben: Die Partei ist ein gesamtdeutsches Phänomen.
Das erzähle ich seit langem. Im Westen erleben wir das Phänomen letztlich nur mit einer Verzögerung.
Aber was sind die Rezepte?
Es muss eine Reduzierung der Zuwanderung geben. Wir haben alle einen Amtseid geschworen. Der wird nicht ausgehebelt, wenn der Schengen-Raum nicht geschützt wird. Dann müssen wir unsere eigenen Grenzen schützen. Das heißt, es ist eigentlich nur rechtskonformes und rechtsstaatliches Handeln notwendig.
Wie erleben Sie die Debatte über die Brandmauer aus Ihrer Perspektive in Sachsen-Anhalt?
Kein Mensch weiß, was das genau bedeutet. Die Brandmauer wird ja durch Linke und Grüne viel weniger eingehalten als durch andere Parteien. Wenn in Thüringen die ganz Linken mit den ganz Rechten stimmen, wird klar, wie unsauber die Begrifflichkeit ist. Man muss klar Deutsch sprechen. Und das heißt für mich: Mit den Rechten wird nicht gemacht. Mit den ganz Linken wird nichts gemacht - ohne hier eine Gleichsetzung vorzunehmen, weil es einfach unterschiedliche historische Bezüge und Erfahrungen gibt. Unsere Aufgabe ist es, dass die Mitte immer eine Mehrheit hat.
Was passiert, wenn es diese Mehrheit in der Mitte nicht gibt?
Diese Situation gibt es in Thüringen seit einigen Jahren. Und wenn dieser politische Ansatz einer linken Minderheitsregierung bei einer Mitte-Rechts-Mehrheit in der Bevölkerung nicht funktioniert, kann ich nur empfehlen, dass die politische Verantwortung weiter in die Mitte rückt. Eine „Deutschland-Koalition“ zum Beispiel …
… die es in Sachsen-Anhalt gibt. Ein Vorbild für den Bund?
In Sachsen-Anhalt gibt es 11 Prozent Linke und 20 Prozent AfD – also insgesamt ein gutes Drittel. Wir haben mit der Deutschland-Koalition die Mitte zusammengeführt, wie vorher mit der Kenia-Koalition. Hier regieren Parteien, die alle schon miteinander koaliert haben. Große Koalitionen gibt es ohnehin nicht mehr. Bei uns liegen AfD und Linke vor der SPD, in Brandenburg liegt die AfD vor der CDU. Koalitionen aus CDU und SPD sind keine Großen Koalitionen, das sind veraltete Begriffe, auch wenn viele im Westen das noch nicht verstanden haben.
Es ist aber spannend, dass Sie die FDP in die Regierung geholt haben, ohne auf ihre Stimmen angewiesen zu sein. Warum haben Sie das gemacht?
In der Geschäftsordnung der Landesregierung haben wir das Einstimmigkeitsprinzip. Und es war meine Strategie, die Mitte-Rechts-Mehrheit, die es in der Bevölkerung gibt, in der Regierung abzubilden. Der Wählerwille muss sich in der Schwerpunktarbeit der Regierung wiederfinden. Und das ist mit der FDP deutlicher abgebildet, als wenn wir ohne die FDP regieren würden.
Das ist ja auch das Problem der Ampel im Bund.
Genau. Die Ampel regiert Mitte-Links, aber die Wähler sind mehrheitlich Mitte-Rechts. Diese Spreizung wird auf die Dauer zum Problem.
Ich möchte zuletzt auf das Thema Klimaschutz zu sprechen kommen. Mich hat überrascht, dass die Menschen im Osten laut Umfragen Klimawandel weniger als Priorität sehen als die Menschen im Westen. Gleichzeitig ist Sachsen-Anhalt beim Klimaschutz vorne dabei: Platz 1 bei der Anzahl der Ladepunkte je 100.000 Elektrofahrzeuge, Platz 5 bei der Bruttoleistung aller Windkraftanlagen und Platz 6 bei der Bruttoleistung aller PV-Anlagen. Das spricht dafür, dass Sie eine hohe Akzeptanz für Klimaschutzmaßnahmen haben. Wie passt das zusammen?
Wir haben einfach gute Rahmenbedingungen gesetzt und sind das Thema mit den Kommunen und den Bürgern angegangen. Die CDU ist hier seit über 20 Jahren in der Regierungsverantwortung. Das zeigt: Da, wo erfolgreiche grüne Politik stattfinden soll, muss die CDU in der Führungsverantwortung sein. Beim Klimaschutz spricht der Westen spricht viel und macht wenig. 60 Prozent der CO2- Einsparung seit 1990 sind im Osten aufgebracht worden, also von 15 Prozent der gesamtdeutschen Bevölkerung
Im Osten gab es aber auch mehr zu tun, Stichwort Umweltverschmutzung in der DDR.
Da haben Sie Recht. Aber das hat dazu geführt, dass man sich im Westen weniger bewegt hat.

Es kommt noch ein Aspekt hinzu: Die Menschen sind nicht vergesslich. Sie haben erlebt, wie sie in Bitterfeld und Leuna aus der größten Umweltverschmutzung, die es in Europa gegeben hat, zu fast paradiesische Verhältnissen gekommen sind: saubere Luft, sauberes Wasser, saubere Umwelt, eine funktionierende Abfallwirtschaft, eine funktionierende Kreislaufwirtschaft.
Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung können viele die aktuelle Schwerpunktsetzung nicht nachvollziehen. Konkret: Der Arbeitsplatz, die Inflation, die Energiepreise sind existentiell und unmittelbar erlebbar. Die Bereitschaft, nun gigantische Anstrengungen zu unternehmen, um marginale Änderungen beim Klima zu bewirken, ist dann nicht da. Das sage ich bewusst als Physiker, der in keinster Weise die Klimaveränderung in Frage stellt und sich in der ersten Hälfte des Lebens ausschließlich mit Atmosphäre und Physik beschäftigt hat. 
Wie müsste Klimaschutz dann funktionieren?
Klimaschutz bekommen wir nur in einer globalen Anstrengung hin. Wenn wir hier Arbeitsplätze verlieren, um das globale Klima zu schützen, übernimmt niemand aus dem Ausland die Kosten, die uns entstehen. Es muss also global gedacht werden. Und ich finde, Klimaschutz sollte auf dem Reiseplan der Bundesaußenministerin einen wichtigeren Teil einnehmen als zum Beispiel das Ziel, ein westeuropäisches Geschlechterbild im islamischen Raum zu propagieren. Beim Klimaschutz kann man global wirklich etwas bewirken.

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