Kraftpaket mit Defiziten

Datum des Artikels 25.06.2020
MittelstandsMagazin

Mehrwertsteuersenkung, Sozialabgabendeckel, Verbesserung des Verlustrücktrags: Das Konjunkturpaket der Großen Koalition setzt viele wichtige Impulse zur Wiederbelebung der Wirtschaft. Jetzt braucht es auch den Mut, echte Strukturreformen auf den Weg zu bringen.

Die Koalitionsspitzen haben Anfang Juni ein rund 130 Milliarden Euro umfassendes Konjunkturpaket beschlossen. Damit sollen der Konsum der Bürger und die Wirtschaft insgesamt wieder angekurbelt werden, die in der Corona-Pandemie in eine tiefe Rezession gerutscht ist. Man habe versucht „das Beste in einer sehr, sehr schweren Situation“ zu tun, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel nach der Vorstellung des Koalitionskompromisses.

Steuersenkung statt Autokaufprämie

Nach den ersten kurzfristigen Hilfen in der Corona-Krise (siehe Ausgabe 2-2020) reichen die Maßnahmen nun teils über die Legislaturperiode hinaus. Ein „Herzstück“ des Paketes ist nach den Worten des CSU-Vorsitzenden Markus Söder die Senkung der Mehrwertsteuer. Vom 1. Juli an bis zum 31.Dezember 2020 soll der Steuersatz von 19 Prozent auf 16 Prozent und für den ermäßigten Satz von 7 Prozent auf 5 Prozent gesenkt werden. Die zuvor strittig diskutierte Kaufprämie für abgasarme Benziner und Dieselautos kommt nicht. Vor allem die MIT hatte sich hiergegen positioniert: „Entscheidend in dieser besonderen Krise ist, dass wir branchenübergreifend handeln, um unsere mittelständische Struktur zu erhalten“, argumentierte MIT-Vorsitzender Carsten Linnemann. Stattdessen kommen nun höhere Prämien für Elektroautos. Bei den Stromkosten sollen die Bürger etwas entlastet werden. Dafür soll die EEG-Umlage zur Förderung von Ökostrom-Anlagen ab 2021 über Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt abgesenkt werden. Die finanziell schwer getroffenen Kommunen und die Deutsche Bahn werden mit Milliardenhilfen bedacht. Zudem einigte sich die Koalition auf einen Kita-Ausbau und einen Kinderbonus von einmalig 300 Euro pro Kind, der mit dem Kindergeld ausgezahlt werden soll.

MIT setzt sich durch

Berücksichtigt werden ferner einige zentrale MIT-Forderungen. So hat sich die MIT erfolgreich für eine Deckelung der Sozialversicherungsbeiträge bei maximal 40 Prozent eingesetzt. Damit soll eine Steigerung der Lohnnebenkosten verhindert werden. Auch der steuerliche Verlustrücktrag wird erweitert. Betriebe können damit aktuelle krisenbedingte Verluste schon im laufenden Jahr mit Gewinnen aus dem Vorjahr verrechnen – das stärkt die Liquidität. Im Bereich der Unternehmensinsolvenzen wird, wie von derMIT gefordert, ein vorinsolvenzliches Restrukturierungsverfahren eingeführt. Für besonders getroffene Unternehmen sind zudem „Überbrückungshilfen“ im Umfang von maximal 25 Milliarden Euro geplant. Damit soll eine Pleitewelle bei kleinen und mittleren Firmen verhindert werden. Antragsberechtigt sind Unternehmen, deren Umsätze im April und Mai um mindestens 60 Prozent im Vergleich zu April und Mai 2019 eingebrochen sind und deren Umsatzrückgänge von Juni bis August 2020 um mindestens 50 Prozent fortdauern. Erstattet werden bis zu 80 Prozent der fixen Betriebskosten, allerdings nur bis zu einer Obergrenze von 50.000 Euro pro Monat. Die Umsatzrückgänge müssen belegt, Überzahlungen erstattet werden. Neben einer von derMIT schon lange geforderten Modernisierung des Körperschaftsteuerrechts sind auch stärkere Investitionen in Zukunftstechnologien geplant. Die Mittel für Künstliche Intelligenz sollen deutlich erhöht werden. Der Ausbau des neuen Mobilfunkstandards 5G soll beschleunigt werden, ebenso der digitale Wandel in der öffentlichen Verwaltung. Für diese Aufgaben sind auch konkrete Milliardenbeträge vorgesehen. Deutschland soll zudem bei modernster Wasserstofftechnik Vorreiter werden. Nicht durchsetzen konnte sich die MIT mit zwei Langzeit-Forderungen: Weder die ungerechte Vorfälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge noch der unfaire Solidaritätszuschlag werden abgeschafft oder, im Falle des Soli, zumindest etwas vorgezogen.

Maßnahmen helfen dem Mittelstand

Insgesamt begrüßt die MIT aber die Maßnahmen. „Viele der Vorschläge werden dem Mittelstand helfen und ihn stärken, insbesondere die steuerlichen Maßnahmen und die Absenkung der Energiekosten“, sagte Linnemann. Positiv sei auch, dass trotz der sich abzeichnenden Defizite in den Sozialversicherungen Arbeitnehmer und Arbeitgeber nun wüssten, dass die Sozialbeiträge nicht steigen werden. Beim von Wirtschaftsminister Peter Altmaier eingebrachten Überbrückungsfonds mahnte Linnemann eine schnelle Umsetzung und Nachbesserungen an. „Wir müssen bei der Umsetzung darauf achten, dass größere Familienunternehmen bis 500 Mitarbeiter und auch mehrere Unternehmen eines Eigentümers vom Rettungsfonds profitieren. Es ist unbedingt notwendig, unsere mittelständischen Strukturen und Arbeitsplätze zu erhalten“, so Linneman.

„Kraftpaket und Zeichen von Zuversicht“

Wirtschaft undÖkonomen nahmen die Maßnahmen überwiegend positiv auf. Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer sprach von einem „Kraftpaket und Zeichen von Zuversicht.“ Clemens Fuest, Präsident des Wirtschaftsforschungs-instituts Ifo, lobte, das Paket kombiniere „Anreize zur kurzfristigen Belebung des Konsums mit Impulsen für öffentliche und private Investitionen sowie Unterstützung für kleine und mittlere Unternehmen.“ Wie Fuest zeigte sich auch der Chef der Wirtschaftsweisen Lars Feld erleichtert über die fehlende Autoprämie. Er lobte besonders die Erleichterung der steuerlichen Verlustrückträge für Unternehmen, wenngleich noch Detailfragen offen seien. Industrie- und Handelskammer Präsident Eric Schweitzer hob positiv hervor, dass „es bei zentralen Instrumenten einen branchenübergreifenden Ansatz geben soll.

Strukturelle Defizite bleiben

Die in Aussicht gestellten Investitionsmittel könnten jedoch nur dann einen wirksamen Impuls auslösen, wenn die Planungsverfahren auch wie geplant beschleunigt würden, so Schweitzer. Diese strukturelle Perspektive rückt auch der Verband der Chemischen Industrie in den Vordergrund. Zwar stimmten „Inhalt und Timing des Pakets“, sagte VCI-Geschäftsführer Wolfgang Große Entrup. An den strukturellen Defiziten des Landes ändere sich dadurch aber nichts. „Die Aufgabe der Politik, verkrustete Defizite für die Wettbewerbsfähigkeit aufzubrechen, ist damit nicht vom Tisch. Wir brauchen ein Programm, das dauerhaft Wachstum stimuliert und den Standort stärkt.“ Dazu gehöre es, „die Unternehmenssteuern auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau von 25 Prozent zu senken, die digitale und klassische Infrastruktur zu optimieren, schnellere Genehmigungsverfahren zu etablieren und den Bürokratieaufwand für die Unternehmen deutlich zu verringern“. Punkte, an denen die MIT weiter ansetzen wird. Zwarweist das Paket einige strukturelle Verbesserungen im Steuerrecht, Investitionen in digitale Infrastruktur sowie die Bürokratieerleichterungen auf. „Hier brauchen wir aber auch schnell vorzeigbare Erfolge, damit die Programme schon in der Krise wirken und Deutschland wieder wettbewerbsfähiger wird“, sagt Linnemann. „Absichtserklärungen gibt es schon viele, jetzt muss auch umgesetzt werden.“