MIT-Forderungen zur Ausgestaltung des Arbeitskampfs in Hinblick auf die Belastungen der Öffentlichkeit

Datum des Artikels 04.09.2021
Beschluss

Der aktuelle Konflikt zwischen der GDL und der Deutschen Bahn zeigt: Die 2015 geschaffenen Regelungen zur Tarifeinheit sind nicht ausreichend, um die Tarifautonomie praxistauglich zu gestalten und um zu verhindern, dass unbeteiligte Dritte übermäßig belastet werden.

Spezifische Vorschriften für die Daseinsvorsorge und die kritische Infrastruktur
Wir fordern daher ergänzende gesetzliche Verfahrensregeln zur Verhältnismäßigkeit von Streiks in den Bereichen Luft- und Bahnverkehr. Sinnvoll sind darüber hinaus entsprechende Regelungen bei der Versorgung mit Energie und Wasser, der Feuerwehr, dem Erziehungswesen und der Kinderbetreuung, der Kommunikationsinfrastruktur, der Versorgung mit Bargeld und Zahlungsverkehr, sowie der medizinischen Versorgung und Pflege.

Dazu zählen insbesondere: eine Ankündigungspflicht von mindestens vier Tagen, klare und verlässliche Regelungen zur Aufrechterhaltung einer Grundversorgung ("sog. Notdienstarbeiten"), ein obligatorisches Schlichtungsverfahren vor dem Scheitern von Tarifverhandlungen und eine Urabstimmung mit einem Quorum von mindestens 50 %. Möglich wäre auch eine Cooling-off-Periode nach einem Streik, die für Verhandlungen genutzt werden muss.

Zusätzlich sollte die Beurteilung unverhältnismäßiger Streiks in diesem Bereich durch gesetzliche Regelbeispiele klarer gefasst werden. Die Regelbeispieltechnik belässt den Arbeitsgerichten den Spielraum für eine verhältnismäßige Anwendung im Einzelfall. Die Regelung ist also lediglich eine maßvolle Kodifizierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.

Begründung:
Die Aufhebung der Tarifeinheit birgt die Gefahr einer Spaltung von Belegschaften hervorgerufen und der Vervielfachung kollektiver Konflikte – häufig zu erheblichen Lasten Dritter. Der jüngste Bahnkonflikt zeigt dies eindrücklich. Die Balance einer hohen Grundrechtsbetroffenheit Dritter, und dem Streikrecht als „Frucht der Koalitionsfreiheit“ steht in Frage, wenn Gewerkschaften in diesem besonders sensiblen Bereich konkurrierend den Streik nutzen, um sich jeweils zu überbieten und ihren eigenen Regelungsbereich zulasten einer anderen Gewerkschaft auszudehnen. Rechtliche Grundlage für das geltende Arbeitskampfrecht ist die in Art. 9.3 GG verankerte Koalitionsfreiheit. Es ist die Grundlage für das wichtige Wirken der Sozialpartner zur Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Dabei ist auch das Streikrecht geschützt, aber nicht um seiner selbst willen, sondern lediglich als Mittel zum Zweck des Abschlusses eines Tarifvertrags. In unserer verflochtenen und wechselseitig abhängigen Gesellschaft beschränken sich Streiks in nahezu allen Bereichen im Hinblick auf ihre Auswirkungen nicht allein auf die beteiligten Tarifpartner, sondern beeinträchtigen – mal mehr, mal weniger – Dritte bzw. die Allgemeinheit in erheblichem Maße. Vor diesem Hintergrund bedarf das Streikrecht über die allgemein anerkannte Zweckorientierung weiterer Regulierung, die die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmerseite nicht einschränkt, Belastungen für die Allgemeinheit aber reduziert. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass Arbeitskampfmaßnahmen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen müssen und durch sie das Gemeinwohl nicht offensichtlich verletzt werden darf. Das Bundesverfassungsgericht betont in einer Entscheidung aus dem Jahr 1991 (1 BvR 779/85), dass eine Einschränkung des Arbeitskampfes im Hinblick auf die Grenzen der Koalitionsfreiheit nicht ausgeschlossen sei, wenn dies durch die Verletzung der Grundrechte Dritter und anderer Güter von Verfassungsrang gerechtfertigt sei. Im Lichte dieser Grundsatzentscheidungen erscheinen die aktuellen Streiks bei der Deutschen Bahn, als zweifelsfrei unverhältnismäßig. Der Gesetzgeber wird aufgerufen, das geltende Recht zu präzisieren und klare Regelungen im Hinblick auf Verletzungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Streikrecht zu beschließen.