Potenziale Ausländischer Fach- und Arbeitskräfte optimal nutzen [MIT-Präsidium]

Datum des Artikels 19.01.2023

Deutschland ist mit einem massiven Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel konfrontiert. Aktuell sind knapp 900.000 freie Arbeitsstellen bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) gemeldet. Die ungemeldeten Stellen belaufen sich nach Schätzungen auf eine weitere Million. Die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (Personen zwischen 20 und unter 65 Jahren) wird bis 2030 um 3,9 Millionen auf einen Bestand von 45,9 Millionen Menschen sinken. Die Zahl der Schulabgänger sinkt weiter. Zugleich sind mehr als 230.000 unbesetzte Ausbildungsplätze bei der BA gemeldet – Tendenz steigend. Durch die nicht besetzten Stellen bleiben die Unternehmen unter ihren Möglichkeiten, der volkswirtschaftliche Schaden und die Steuerausfälle sind gewaltig.

Dem muss und kann man in vielen Bereichen entgegenwirken: von der schulischen über die berufliche Bildung bis zur Hochschulbildung und Forschung und der Aktivierung ungenutzter Potenziale zum Beispiel bei Frauen, Menschen mit Behinderung oder Älteren.

Eine richtig organisierte gesteuerte Zuwanderung von dringend benötigten Arbeitskräften ist ein weiterer wichtiger Baustein zur Behebung des Mangels. Dabei kommt es auf die richtigen Anreize an, um nicht die Falschen zu gewinnen.

Nach Inkrafttreten des „Fachkräfteeinwanderungsgesetzes“ wurden im Jahr 2020 rund 30.000 Visa an qualifizierte Fachkräfte und Auszubildende aus Drittstaaten vergeben. 2021 wurden 46.900 ausländische Berufsabschlüsse anerkannt. Nach einer Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ist allerdings eine Netto-Zuwanderung pro Jahr von 400.000 Personen in den Arbeitsmarkt erforderlich, um das Erwerbspersonenpotenzial bis zum Jahr 2035 stabil zu halten.

Nach dem aktuellen Migrationsbericht sind 2021 rund 1,3 Millionen Menschen zugezogen. Davon sind aber nur 40.000 zum Arbeiten nach Deutschland gekommen. Der größte Teil wanderte in den Sozialstaat ein. Zuwanderung muss dem Arbeitsmarkt zugutekommen und darf nicht in den Sozialsystemen enden. Jeder Fehlanreiz ist deshalb zu beseitigen.

Das aktuell debattierte Punktesystem ist aus Sicht der MIT abzulehnen. Es würde in Deutschland lediglich Ressourcen verbrauchen und neue Bürokratie schaffen. Ein solches System kann sinnvoll sein, wenn es ein Überangebot an geeigneten Fachkräften gibt und es einer Bestenauslese bedarf. In Deutschland ist das nicht der Fall. Stattdessen gibt es bessere Möglichkeiten für ein zielgerichtete Steuerung der Arbeitskräftezuwanderung.

Die MIT fordert:

Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz muss praxisorientiert weiterentwickelt werden:

• Deutschland muss seine Anstrengungen zur gezielten Anwerbung von internationalen Fachkräften massiv ausbauen: Konsulate müssen zu öffentlichen Anwerbestellen werden, Goethe-Institute und andere Sprachschulen, die deutsche Steuermittel erhalten, sollen in den Förderbedingungen Vorgaben zur Anwerbung von Arbeitskräften bekommen. Sie sollen außerdem in Kooperation mit Kammern und Wirtschaftsverbänden gezielt für eine Ausbildung in Deutschland werben.
• Der Erwerb deutscher Sprachkenntnisse im Ausland muss stärker gefördert werden. Die Mindestanforderungen, die für eine gelungene Integration in Deutschland notwendig sind, müssen bestehen bleiben. Dabei sollen die von deutschen Steuergeldern finanzierten Auslandsschulen und Goethe-Institute verstärkt auf die Vermittlung berufsorientierter Deutsch-Kenntnisse verpflichtet werden. 
• Wir wollen die Anerkennung von Berufsabschlüssen vereinfachen und beschleunigen.
• Auch ohne anerkannten Berufsabschluss sollen eine Einwanderung und Beschäftigung möglich sein, wenn der Arbeitgeber eine Bürgschaft für den ausländischen Beschäftigten übernimmt.
• Ausbau der Beratung und Unterstützung für kleine und mittlere Unternehmen bei der Anwerbung ausländischer Fachkräfte.
• Die Vergabe von Aufenthaltstiteln für Ausbildung, Studium und Beschäftigung in Deutschland muss zentral von einer Bundesbehörde durchgeführt werden. Die kommunalen Ausländerbehörden sind mit dieser bedeutenden nationalen Aufgabe teilweise überfordert.
• Die Möglichkeit für beschleunigte Fachkräfteverfahren („Fast Track“) sollten ausgebaut werden.
• Das Auswärtige Amt muss die Visa-Verfahren optimieren. Hochqualifizierte und dringend benötigte Kräfte dürfen nicht monatelang auf einen Termin zur Visavergabe warten. Die Daten zu Visa-Verfahren (Anzahl, Dauer, Annahme/Ablehnung) sollen pro Konsulat evaluiert und veröffentlicht werden.

Weitere Forderungen der MIT:

• Vermittlungsabsprachen auf möglichst viele geeignete Staaten ausdehnen.
• Die Westbalkanregelung hat sich als Sonderregelung bewährt und muss für eine festgelegte Anzahl von Fach- und Arbeitskräften auf den Kreis der Staaten auf ausgewählte weitere EU-Beitrittskandidaten ausgeweitet werden.
• Das Verbot, Arbeitnehmer im Nicht-EU-Ausland für den Einsatz in der Zeitarbeit zu rekrutieren, sollte abgeschafft werden. Gerade in Zeiten wirtschaftlichen Umbruchs erfüllen Zeitarbeitsunternehmen eine bedeutende volkswirtschaftliche Funktion. Das Aufenthaltsgesetz verbietet der Zeitarbeit weitgehend die Rekrutierung von Personen aus Nicht-EU-Ländern. Personaldienstleister könnten insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen die Rekrutierung ausländischer Fachkräfte übernehmen. Dazu muss das Zustimmungsverbot nach § 40 Absatz 1 Nummer 2 des Aufenthaltsgesetzes gestrichen werden. Auch das generelle Zeitarbeitsverbot in der Baubranche muss in diesem Zuge aufgehoben werden, weil es überholt und kontraproduktiv ist.
• Die mit dem FEG eingeführten Aufenthaltstitel zum Zwecke der Ausbildungsplatzsuche (§§ 16, 16a und § 17 AufenthG) werden kaum genutzt. Angesichts der Bedeutung der beruflichen Ausbildung für die zukünftige Fachkräftegewinnung sollten die bestehenden Regelungen deutlich attraktiver ausgestaltet werden, um die Zahl von jungen Drittstaatsangehörigen, die eine duale Ausbildung in Deutschland absolvieren möchten, nachhaltig zu steigern. So sollte ein zum DAAD-Stipendienprogramm für junge ausländische Akademiker vergleichbares Förderinstrument im Bereich der beruflichen Ausbildung eingeführt werden.
• Zuwanderung muss dem Arbeitsmarkt zugutekommen und darf nicht in den Sozialsystemen enden. Jeder Fehlanreiz ist deshalb zu beseitigen. Deshalb soll eine verstärkte Nutzung des Sachleistungsprinzips bei Asylbewerbern und Flüchtlingen bis zur verfassungsrechtlich zulässigen Grenze vorgeschrieben werden.