Pro & Contra: Soll jeder als Organspender gelten, der nicht widersprochen hat?

Datum des Artikels 18.04.2019

In dieser Rubrik lassen wir Mitglieder der MIT zu Wort kommen. Die Beiträge geben ihre persönliche Meinung wieder.

Nach Jahren des Rückgangs hat die Zahl der Organspender in Deutschland zuletzt wieder zugenommen. Dennoch warten weitaus mehr Menschen auf ein Organ als es Spenderorgane gibt. Der Bundestag diskutiert derzeit über zwei Lösungsansätze: Die Widerspruchslösung macht alle volljährigen Bürger, die nicht ausdrücklich widersprechen, zu Spendern. Die Entscheidungslösung dagegen setzt auf bessere Aufklärung und Freiwilligkeit.

 

Pro:


Jens Spahn (38) ist Bundesgesundheitsminist und Gastmitglied im Präsidium der MIT.
 

Widerspruch erwünscht

Das Thema Organspende treibt mich seit vielen Jahren um – als Gesundheitspolitiker und als Mensch. 10 000 Menschen warten in Deutschland auf ein lebensrettendes Organ. Jeden Tag sterben Menschen, die vergeblich gewartet haben. Deshalb hatten wir vor Jahren festgelegt, dass die Krankenkassen alle Versicherten in der Frage regelmäßig anschreiben müssen. Aber ich selbst sehe ja im Bekanntenkreis, was mit den Briefen passiert – gelesen werden sie eher selten. Wir haben Werbekampagnen aufgelegt und Diskussionen geführt – aber geholfen hat das alles wenig. Für mich gab es dann einen Schlüsselmoment: 2017 haben die Organspenden einen dramatischen zwanzigjährigen Tiefststand erreicht. Die Frage ist, wie wir die Aufgeschlossenheit und Bereitschaft zur Organspende in unserer Gesellschaft in tatsächliche Spenden verwandeln. Denn nach Umfragen sehen mehr als 80 Prozent der Deutschen die Organspende positiv.

Wie wir die Organspende gesetzlich regeln, berührt heikelste Punkte – von Leben und Sterben, vom Selbstbestimmungsrecht und der Verfügung über den eigenen Körper. Aber auch vom Leben und von der Gesundheit Anderer. In dieser Frage zu entscheiden, ist eine Gewissensfrage. Da kann es keinen Fraktionszwang geben. Stattdessen gibt es Gruppenanträge von Abgeordneten verschiedener Fraktionen. Einer schlägt die Stärkung der Entscheidungsbereitschaft vor, nach der Bürgerinnen und Bürger bei der Ausweisabholung die Möglichkeit bekommen sollen, eine Entscheidung über die persönliche Bereitschaft zur Organspende zu treffen. Ich habe allerdings Zweifel, ob Meldeangelegenheiten ein geeignetes Umfeld sind, um eine solche Frage mit sich auszumachen.

Ich selbst halte nach langem Nachdenken eine doppelte Widerspruchslösung für richtig. Das heißt, dass jeder  selbst „nein“ sagen kann – und wenn er das nicht zu Lebzeiten macht, dann können noch immer die Angehörigen befragt werden. Ich finde, das „Nein“ aussprechen zu müssen, ist angesichts der bedrückenden Lage von 10 000 Patienten, die auf ein Spenderorgan warten, auch in einer freien Gesellschaft zumutbar. Ich bin überzeugt: Das Recht auf Leben und Gesundheit und die Angewiesenheit auf Hilfe wiegt mehr als das Recht, einer Entscheidung in dieser Frage aus dem Weg zu gehen. •

 

Contra

Stephan Pilsinger (32) ist CSU-Bundestagsabgeordneter und Co-Vorsitzender der MIT-Kommission Gesundheit.

Bessere Aufklärung

Ich halte die doppelte Widerspruchslösung sowohl aus fachlichen wie auch aus ethischen Gründen für falsch. Aus fachlichen Gründen, weil keine Untersuchung bisher zeigen konnte, dass die Widerspruchslösung die Zahl der Organspenden signifikant steigert. Im Jahr 2018 kam eine im Deutschen Ärzteblatt veröffentlichte Analyse der Christian-Albrechts-Universität Kiel zu dem Ergebnis, dass der Rückgang der postmortalen Organspenden in Deutschland vor allem mit einem Defizit in den Erkennungs- und Meldestrukturen der Entnahmekrankenhäuser assoziiert ist. Hier haben wir mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende (GZSO) im Februar dieses Jahres bereits entscheidende Veränderungen auf den Weg gebracht. Eine von mir in Auftrag gegebene Untersuchung des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags hat zudem gezeigt, dass in keinem Land, in dem die Widerspruchslösung gilt, der Beweis geführt werden kann, dass diese zu einer Verbesserung der Zahl der Organspender geführt hat.

Zum anderen halte ich die Widerspruchslösung auch aus ethischen Gründen für falsch, weil sie die Selbstbestimmung über den eigenen Körper aushebelt und im Zweifel die Angehörigen dazu nötigt, einen Nachweis über den Widerspruch zu erbringen. Es besteht die Gefahr, dass Menschen, die sich aus sozialen, intellektuellen oder psychischen Gründen nicht in der Lage sehen, sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen, gegen ihren Willen als Organspender missbraucht werden.

Deshalb hab ich mit Kolleginnen und Kollegen einen Kompromiss ausgearbeitet, der die Organspende nach dem Tod als bewusste und freiwillige Entscheidung beibehält und stärkt. Wir setzen uns dafür ein, diese stets widerrufbare Entscheidung klar zu registrieren, verbindliche Information und bessere Aufklärung zu gewährleisten und die regelmäßige Auseinandersetzung mit der Thematik zu fördern. Die Selbstbestimmung über den eigenen Körper ist ein zentrales, verfassungsrechtlich geschütztes Element menschlicher Würde. Dieses Menschenrecht darf nicht durch ein nachträgliches Veto ausgehebelt werden. Stillschweigen darf nicht als eineFreigabe der eigenen Organe bewertet werden. •

Dieser Artikel erschien im Mittelstandsmagazin, Ausgabe 02-2019