Pro & Contra: Sollte Deutschland auf eine Fertigstellung von Nord Stream 2 drängen?

Datum des Artikels 20.06.2019
MittelstandsMagazin

Geht es nach dem Willen der Bundesregierung, wird die Gaspipeline Nord Stream 2 bis spätestens 2020 fertiggestellt sein. Über die neue Ostsee-Pipeline sollen riesige Mengen Gas aus Russland nach Europa transportiert werden. Das deutschrussische Projekt ist jedoch politisch hoch umstritten. Die Regierung verspricht sich davon mehr Versorgungssicherheit. Die USA und andere EU-Staaten sorgen sich um eine zunehmende Abhängigkeit von Russland. Im aktuellen Mittelstandsmagazin (Ausgabe 3-2019) diskutieren zwei MIT-Mitglieder das Pro und Contra.

 

Pro: Wichtiger Baustein der Energieversorung

Thomas Bareiß (44) ist Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie. Seit Dezember 2018 ist er Mitglied des CDU-Bundesvorstands. Bareiß war von 2013 bis 2017 Gastmitglied im MIT-Bundesvorstand.

Die Bedeutung von Gas wird in den nächsten Jahren zunehmen, auch bedingt durch den Kohleausstieg. Daher muss unser Interesse auf einer sicheren und diversifizierten Gasversorgung liegen. Die Gasförderung in der Europäischen Union wird perspektivisch zurückgehen. Wir sind hier durch den Rückgang der Förderung in den Niederlanden betroffen. Auch klassische Lieferländer wie Norwegen und Algerien werden tendenziell weniger liefern. Die entstehende Lücke in Europa muss durch Importe von zusätzlichem Pipelinegas und Flüssigerdgas (LNG) sowie neue grüne Gase gedeckt werden. Vor diesem Hintergrund ist die Realisierung von Nord Stream 2 für Deutschland und Europa wichtig, denn die Pipeline erschließt eine zusätzliche Versorgungsroute mit Russland und bindet uns an neue Lagerstätten an. Mittels einer modernen Infrastruktur wird das Gas direkt aus Russland nach Deutschland und in weitere Mitgliedstaaten der EU fließen. Dabei ist die neue Route effizienter als bisherige Transportwege und rund 2.000 Kilometer kürzer. Damit einher geht eine Senkung der mit dem Gastransport verbundenen Methan-Emissionen.

Gleichzeitig setzt sich die Bundesregierung für eine Fortführung des Transits russischen Gases über die Ukraine ein. Denn wir sind uns sicher, dass wir auch diesen Transportweg für russisches Gas brauchen. Einen Stopp des Projektes kann ich mir nicht vorstellen: Es sind alle Röhren produziert und ausgeliefert, über 1.300 Kilometer der Röhren sind bereits in der Ostsee vor Deutschland, Finnland, Schweden und Russland verlegt. Wir wissen, die dänische Genehmigung steht noch aus. Hier hat die Nord Stream 2 auf Wunsch der Genehmigungsbehörde einen Antrag für eine weitere Route eingereicht, der derzeit geprüft wird. Ich bin der Auffassung, dass die Nord-Stream-2-Pipeline mit den Zielen der Energieunion in Einklang steht. Hierzu trägt auch der unter den EU-Mitgliedstaaten gefundene Kompromiss zur Änderung der Gasrichtlinie bei, der Rechtssicherheit sowohl für damit befasste staatliche Stellen als auch für Investoren schafft. Wir werden in den nächsten Monaten die Gasrichtlinie 1:1 umsetzen. Mit der Unterstützung für den Bau von LNG-Terminals setzt sich das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aber auch für eine weitere Diversifizierung unserer Gasversorgung ein, um den Marktteilnehmern weitere Wahlmöglichkeiten dafür zu bieten, aus welchen Quellen sie Gas beziehen wollen.


Contra: Die europäische Perspektive berücksichtigen

Sarah Gillen (35) ist Landesvorsitzende der MIT Saarland und Beisitzerin im MIT-Bundesvorstand. Die Diplom-Ingenieurin ist Mitglied des saarländischen Landtags und dort Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft, Arbeit, Energie und Verkehr.

Die Pläne, mit Nord Stream 2 eine zweite russische Gaspipeline durch die Ostsee nach Deutschland zu bauen, sind ökonomisch nachvollziehbar. Wer sich jedoch auf den Standpunkt stellt, dass es sich um ein rein geschäftliches Objekt handelt, aus dem sich die Politik herauszuhalten habe, irrt. Denn eine so enge wirtschaftliche Beziehung mit einem anderen Land einzugehen, bedeutet immer auch politische Konsequenzen, die es gründlich abzuwägen gilt. Ohne Zweifel würde Nord Stream 2 einen großen Beitrag zur Versorgungssicherheit Deutschlands leisten. Der Preis wäre jedoch hoch: Der Europawahlkampf hat zutage gefördert, wie sehr die Pläne die EU spalten. Mehr noch: Sie lassen Polen, Estland, Lettland, Litauen, die Slowakei und Ukraine, aber auch Schweden und Dänemark an unserer Solidarität zweifeln. Für diese Länder handelt es sich um ein sicherheitsrelevantes Thema, weshalb eine besondere Sensibilität gefordert ist.

Zugleich besteht die Angst, die verstärkte Anbindung an Russland und der Wegfall des Transits würden die Ukraine schwächen. Denn die Ukraine, zugleich möglicher EU-Beitrittskandidat, müsste auf Milliardeneinnahmen verzichten, was die dortige Wirtschaft schwächen und das Land destabilisieren könnte. Daher ist der Forderung Peter Altmaiers Nachdruck zu verleihen, der einen Kompromissvorschlag vorgelegt hat, durch den der Gastransit durch die Ukraine sichergestellt werden soll. Deutschland sollte sich deshalb ehrlich machen: Wer Solidarität in der EU selbst nicht hochhält, der wird bei nächster Gelegenheit Probleme bekommen, sie auch bei anderen einzufordern! Insgesamt ist fraglich, ob die Abhängigkeit von einem Lieferanten und die hohe Investition in eine Route sinnvoll sind. Sollten nicht eher die Ziele der EU-Kommission für eine europäische Energieunion mit größtmöglicher Unabhängigkeit verfolgt werden? Zugleich sind bereits mehrere Kilometer Rohre verlegt, ein Stopp deshalb mit hohen Kosten verbunden. Hier ist der Schutz der Investoren, dass die bereits genehmigte Pipeline auch genutzt werden kann, ein zu hohes Gut. Daher sollte nun der Fokus darauf gelegt werden, dass EU-Wettbewerbsregeln eingehalten werden, dass die Ukraine weiterhin ein wichtiger Gastransit-Partner bleibt, und dass Alternativen wie LNG forciert werden, um die Abhängigkeit von Russland zu minimieren.

Dieser Artikel erschien im Mittelstandsmagazin, Ausgabe 3-2019