Pro & Contra: Sollte eine allgemeine Dienstpflicht eingeführt werden?

Datum des Artikels 04.05.2022
MittelstandsMagazin

Die Pandemie und der Ukraine-Krieg haben gezeigt: Sowohl im Gesundheitswesen als auch bei der Bundeswehr fehlt es an Personal. Könnte ein verpflichtendes Jahr für junge Menschen dieses Problem lösen? Während Befürworter sich zudem eine Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts versprechen, sehen Kritiker dagegen einen Einschnitt in die individuellen Freiheitsrechte.


Pro

Wertvoller Beitrag für unser Gemeinwesen

In einer allgemeinen Dienstpflicht sehe ich wesentliche und vielschichtige Vorteile für alle Seiten. Ganz grundsätzlich trüge eine Dienstpflicht dazu bei, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken und die Identifikation unserer Jugend mit unseren Werten zu intensivieren. Wie entscheidend Geschlossenheit und eine breite Identifikation mit bestimmten Grundwerten sich auf ihre Resilienz auswirken können, erleben wir gerade in der Ukraine. Dort legen tapfere Frauen und Männer – auch und gerade jungen Alters – eine bewundernswerte Moral an den Tag. Sie werden angetrieben von dem Willen, sich nicht von Russland unterdrücken zu lassen. Und dabei motiviert sie ein Völkerrechts-, Freiheits- und Werteverständnis, das unserem in der EU sehr nahe kommt. Ich meine: Aufgrund der fortdauernden Krisen sollten wir die richtigen Weichen stellen, damit alle verstärkt in unser Zusammenleben investieren. Eine allgemeine Dienstpflicht kann hierzu ein Baustein sein. Ein weiterer Vorteil der Dienstpflicht ist, dass wichtige Träger gesellschaftlicher Verantwortung mit zusätzlicher Arbeitskraft und steigendem Recruiting-Potential zu rechnen hätten. Dabei sprechen wir von staatlichen und privaten Akteuren, denen es heute schon häufig an geeigneten Bewerbern fehlt. Die entsprechenden Berufe bei unseren Streitkräften, im Gesundheitswesen, in den Blaulichtorganisationen und weiteren in Frage kommenden Stellen aufzuwerten, halte ich für erforderlich. Ferner kann eine allgemeine Dienstpflicht dafür sorgen, dass noch mehr junge Menschen erfahren dürfen, wie wertvoll es ist, einen Beitrag zu einem intakten Gemeinwesen zu leisten. Dabei denke ich an jene Kinder im Grundschul- und Mittelstufenalter, die von dieser Entscheidung jetzt betroffen wären. Sollte die allgemeine Dienstpflicht kommen, werden sie weitere prägende Erfahrungen sammeln. Sie werden auf Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten treffen und mit ihnen gemeinsam für ein höheres Ziel ihren Dienst verrichten dürfen. Sie werden nach dem Schulabschluss eine fest eingeplante Orientierungszeit erhalten, in der sie sich ausprobieren dürfen. Sie werden in die Gesellschaft, deren Teil sie sind und bleiben werden, weiter hineinwachsen. Und dabei werden sie einen Beitrag für unser Gemeinwesen leisten, der in Steuergeld nicht aufzuwiegen ist.


Paul Ziemiak (36) ist Mitglied des Deutschen Bundestags. Er war von 2014 bis 2019 Bundesvorsitzender der Jungen Union und von 2018 bis 2022 Generalsekretär der CDU Deutschlands.

 

Contra

Freiwilligkeit statt Zwangsdienst

Als ich im Oktober 1995 meinen Wehrdienst angetreten habe, war ich einer von zwei Abiturienten in meinem Zug. Wir waren acht Mann auf der Stube und ich habe Erfahrungen gemacht, die ich wahrscheinlich ohne die Bundeswehr nie gemacht hätte und die ich nicht missen möchte. Ich habe Freundschaften geknüpft, die bis heute halten. Vielen Befürwortern der Wehrpflicht oder der allgemeinen Dienstpflicht geht das wahrscheinlich ähnlich, wenn sie an ihre Zeit als Wehrpflichtige oder Zivis zurückdenken. Doch die Bundeswehr hat sich verändert in den vergangenen 25 Jahren. Heute wissen wir, dass es richtig war, die Wehrplicht auszusetzen. Auch wenn es angesichts des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine wieder reflexartig zu Forderungen nach einer Wehrpflicht kommt, dürfen wir unseren Blick nicht trüben lassen. Für die Verteidigung Deutschlands und Europas zählen gut ausgerüstete, ausgebildete und spezialisierte Soldaten mehr als die schiere Mannstärke. Zum Vergleich: Alleine der europäische Pfeiler der NATO hat bereits 1,4 Millionen Männer und Frauen unter Waffen, die Russische Föderation etwa 1,2 Millionen. Auch finanziell wäre die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht ein kaum zu stemmender Kraftakt. Es müssten Strukturen und Organisationen für ganze Jahrgänge geschaffen werden die so nicht mehr existieren. Es gibt aber auch rechtliche Gründe, die dagegen sprechen. Der Zwangsdienst ist nach Freiheitsstrafen der größte Eingriff in die Persönlichkeitsrechte. Deshalb ist er auch richtigerweise nur für die Landesverteidigung vorgesehen. Eine allgemeine Dienstpflicht wäre mit dem Grundgesetz und der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht vereinbar. Meiner Meinung nach passt aber eine allgemeine Dienstpflicht auch gar nicht zu unserem freiheitlichen Staat. Sie würde die Balance zwischen den Freiheitsrechten des Einzelnen und dem Staat durcheinander bringen. Sie ist aus finanziellen, militärischen und rechtlichen Gründen derzeit nicht realistisch. Um das gesellschaftliche Engagement junger Menschen zu stärken, setzte ich mich mit der CSU stattdessen für ein niedrigschwelliges Deutschlandpraktikum ein, das von einem attraktiven Anreizsystem begleitet wird. Nur durch Freiwilligkeit wird es uns gelingen, junge Menschen für diesen Staat zu gewinnen, nicht durch einen Zwangsdienst.


Florian Hahn (48) ist Bundestagsabgeordneter aus München. Er ist verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und war von 2019 bis 2022 stellvertretender Generalsekretär der CSU.