Strompreistreiber Netzentgelte bremsen

Aktueller Status:

Der Beschluss wurde

Der Beschluss wurde erfolgreich bei WELT online platziert – zunächst sogar als Topmeldung. Auch in der Printausgabe vom 20. Juli 2023 ist der Bericht prominent abgedruckt.

Der Beschluss wurde mit Bitte

Der Beschluss wurde mit Bitte um Berücksichtigung an den Fraktionsvize der Jens Spahn der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion für Wirtschaft, Klima und Energie, Mittelstand und Tourismus, Jens Spahn MdB, an den Vorsitzenden der AG Klimaschutz und Energie, Dr. Andreas Jung MdB, an den Fachsprecher Mark Helfrich MdB, an den Fachreferenten des Konrad-Adenauer-Hauses sowie an einen Fachverteiler geschickt.

Datum des Artikels 04.07.2023
Beschluss

Eine jederzeit zuverlässige und leistungsstarke Infrastruktur ist das Rückgrat einer sicheren Energieversorgung. Der Ausbau der erneuerbaren Energien mit ihren zunehmend dezentralen und volatilen Einspeisungen sowie ihren bidirektionalen Lastflüssen zieht notwendige Investitionen und Anpassungen der Netze nach sich. Dabei muss die sehr hohe Zuverlässigkeit des Netzbetriebs in Deutschland erhalten bleiben. Dies gilt insbesondere vor der zunehmenden Vernetzung, Digitalisierung und Automatisierung unserer Wirtschaft. Neben dem notwendigen Ausbau und Ertüchtigung der Netze sind immer auch Effizienz, Kostenreduktion sowie eine faire Kostenverteilung im Blick zu behalten. Die Mittelstands- und Wirtschaftsunion fordert die Bundesregierung auf, zur Sicherung des Wettbewerbs deutscher Unternehmen auf internationalen Märkten weiteren drastischen Verteuerungen der Strom-Netzentgelte entgegenzuwirken und so einen Beitrag zur Entlastung der Strompreise zu leisten.

Die Mittelstands- und Wirtschaftsunion fordert:
1. Das bisherige Anreizregulierungssystem muss durch ein stringenteres Benchmarkverfahren ersetzt werden. Das vereinfachte Verfahren, das von vielen kleineren Netzbetreibern genutzt wird und bei dem stets nur ein gemittelter Effizienzwert angesetzt wird, muss gestrichen werden.

2. Auf der Höchstspannungsebene sind Erdverkabelungen nur in begründeten Fällen durchzuführen. Das gilt auch für Verteilungsbereiche mit verhältnismäßig niedriger Anschlussdichte.

3. Die Bereitstellung von Kapazität (u.a. heutige Kapazitätsreserve) soll zur Entlastung der Netzentgelte in einem marktwirtschaftlichen System erfolgen. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind so anzupassen, dass die Lieferung aller am Markt gehandelten Strommengen entsprechend ihres witterungsbedingten volatilen Anteils europaweit und technologieoffen physikalisch abgesichert werden muss. Für die dezentrale kleinteilige Nutzung von regenerativen Energien sind Bagatellgrenzen für die Nachweispflicht festzusetzen.

4.  In der Niederspannung sollen Eigenversorger ein kapazitätsabhängiges Netzentgelt bezahlen, da sie im Bedarfsfall von der Netzinfrastruktur abhängig sind. Bei kleinen Anlagen (kleiner 10 kW) werden Pauschalbeträge erhoben.

5. Verteilnetze sind volkswirtschaftlich wichtige Infrastrukturen. Daher ist an die Verteilnetzbetreiber aus dem Bundeshaushalt ein angemessener Zuschuss zur Senkung der Stromnetzentgelte zu leisten, um die Netzentgelte auf einen europäischen vergleichbaren Mittelwert zu senken. Der bisherige Zuschuss zur Entlastung der Übertragungsnetzentgelte bleibt davon unberührt.

6. Kosten, die nicht primär in den Netzentgelten zu verorten sind, müssen aus den Netzentgelten gelöst und über den Haushalt finanziert werden – so wie bei der EEG-Umlage.

Begründung:
Die Gebietszerstückelung in rund 900 Netzbetreiber kann Ineffizienzen bergen. Die Aufgaben der Energiewende werden zunehmend komplexer und kostenintensiver. Daher können Kooperationen und Zusammenschlüsse sinnvoll sein und kostensenkende Scaleneffekte erschlossen werden. Gleichzeit können auch kleine Netzbetreiber effizient arbeiten und große Netzbetreiber ineffizient sein.

In einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung sorgt der Wettbewerb für günstige Preise, gleicht Angebot und Nachfrage aus und motiviert die Unternehmen, nach neuen Produkten und kostengünstigen Verfahren zu suchen. Demgegenüber gehören die Strom- neben den Gasnetzen zu den sogenannten natürlichen Monopolen, in denen der Wettbewerb nur eingeschränkt wirkt oder ganz außer Kraft gesetzt ist. Damit die Netzbetreiber jedoch keine Monopolgewinne erzielen und die Netze trotzdem so kostensparend wie möglich betrieben werden, werden die Strom- und Gasnetzbetreiber EU-weit durch gesetzliche Vorgaben reguliert.

Dazu und zur Sicherstellung des Wettbewerbs auf den europäischen Strommärkten hat die EU-Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie die Entflechtung von integrierten Stromversorgungsunternehmen erlassen. Während für Übertragungsnetzbetreiber auch eine eigentumsrechtliche Trennung zwischen Netz, Erzeugung und Vertrieb durch die Richtlinie vorgegeben wird, gilt diese Verpflichtung nur für Verteilnetzbetreiber ab 100.000 angeschlossene Kunden.

Deutschland hat diese Vorgaben in das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) entsprechend übernommen und zur Ausgestaltung entsprechende Verordnungen erlassen. Während für Stromerzeugung und -vertrieb freie marktwirtschaftliche Grundsätze gelten, unterliegen zur Sicherstellung eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs die Übertragungs- und Verteilnetze der Regulierung. Die Verordnung über die Entgelte für den Zugang zu Elektrizitätsversorgungsnetzen (StromNEV) regelt im Einzelnen die Kalkulationsgrundlagen für die Bestimmung der Entgelte für die Nutzung der Stromnetze. Die Entgelte für den Zugang zu den Elektrizitätsübertragungs- und Elektrizitätsverteilernetzen dienen der Deckung der Kosten von Elektrizitätsübertragungs- und -verteilernetzen. Die Kosten werden derzeit nach dem Prinzip der Anreizregulierung auf der Grundlage der Anzreizregulierungsverordnung ermittelt, wofür auf eine netzbetreiberspezifische Erlösobergrenze abgestellt wird. Die Netzentgelte unterliegen der Prüfung und Genehmigung der Bundesnetzagentur und für einige Bundesländer durch die Landesnetzagenturen.

Im Vergleich zu anderen EU-Staaten mit zentralen Stromnetzbetreibern, ist in Deutschland insbesondere der Verteilnetzbereich mit 865 Verteilnetzbetreibern (Ende 2022) sehr dezentral strukturiert. Eine von EuroStat zuletzt für 2017 veröffentlichte Statistik über die Industrie-Stromnetzentgelte in Europa zeigt, dass Deutschland bereits in diesem Jahr mit an preislich führender Stelle in Europa lag.

Infolge der mit der Energiewende einhergehenden Dezentralisierung der Stromerzeugung und des dafür erforderlichen Ausbaus der Übertragungs- und Verteilnetze kam es in Deutschland zu erheblichen Steigerungen der Verteilnetzentgelte innerhalb der letzten 5 Jahre um bis zu über 50 %, in den letzten 10 Jahren verschiedentlich sogar um bis zu 200 %.

Allein von 2022 auf 2023 kam es bei den großen deutschen Verteilnetzbetreibern Westnetz, Westfalen-Weser-Ems, EWE, Pfalzwerke, MIT-Netz und Bayernwerk zu drastischen Erhöhungen der Stromnetzentgelte zwischen 11,5 % und 24,3 %. Deutschland nimmt damit nunmehr den Spitzenplatz der Stromnetzentgelte in der EU ein.

Mit weiteren, den Wirtschaftsstandort Deutschland belastenden erheblichen Steigerungen ist aufgrund der noch anstehenden Ausbau- und Ertüchtigungsmaßnahmen in den nächsten Jahren zu rechnen.

Das deutsche Strom-Verteilnetzentgelte nimmt für ein mittelständisches deutsches Unternehmen mit einem Stromjahresbedarf von 12.000.000 kWh und einer elektrischen Höchstleistung von 4 MW über 22 % des Gesamtstrompreises ein und ist damit ein maßgeblicher Kostenfaktor. Zudem klaffen die Netzentgelte der einzelnen Verteilnetzbetreiber in Deutschland eklatant weit auseinander. Nach dem Netznutzungsentgeltvergleich 2022 für Sondervertragskunden elektrischer Energie des Verbandes der Energieabnehmer (VEA) beträgt die Spanne für ein über Mittelspannung beliefertes mittelständisches Unternehmen mit einem Jahresstrombedarf von 16 Mio. kWh und 4.000 Vollbenutzungsstunden von 1 Cent/kWh bis zu 7 Cent/kWh. Ein Preisunterschied von 600 % oder 960.000 €/Jahr.

Auch eine MIT-Analyse der von einem mittelständischen Unternehmen mit 12 Mio. kWh Jahresbedarf und 3.000 Vollbenutzungsstunden zu zahlenden Verteilnetzentgelte 2023 in den Niederlanden, in Österreich und bei deutschen Verteilnetzbetreibern zeigt die nicht vollziehbare Preisspanne.

Der bisherige drastische Anstieg der Strom-Verteilnetzentgelte wird jedoch nicht das „Ende der Fahnenstange“ sein. Durch den mit der Energiewende einhergehenden erforderlichen Ausbau der Übertragungs- und Verteilungsnetze werden die Entgelte für die Stromnetznutzung nochmals erheblichen Auftrieb erlangen.

Wenn Deutschland bisher schon bei den Strom-Verteilnetzentgelten weltweit führend ist, werden auf viele exportorientierte deutsche Unternehmen durch den weiterhin absehbaren drastischen Anstieg der Verteilnetzentgelte auf den internationalen Märkten erhebliche Wettbewerbsnachteile zukommen. So wird einer konservativen Prognose zu Folge das mittlere Verteilnetzentgelt von 2023 bis 2030 um 33 % und bis 2040 um über 80 Prozent steigen. Die Steigerung wird den Wegfall der EEG-Umlage Mitte 2022 nahezu kompensieren.

Die MIT hält es daher für dringend geboten, weiteren drastischen Verteuerungen der Netzentgelte entgegenzuwirken. Um der absehbaren Verteuerung der Netzentgelte in den kommenden Jahren durch erheblich steigende Kosten für die Bereitstellung von Kraftwerkskapazitätsreserven über das Stromnetz entgegenzuwirken, sind rechtzeitig marktwirtschaftliche Bedingungen für eine gesicherte Stromversorgung zu schaffen. Durch den zunehmenden Anteil der volatilen Erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung und die vorgegebenen gesetzlichen Stilllegungen von konventionellen Kraftwerken kommt der Gewährleistung der Versorgungssicherheit ein zunehmender Stellenwert zu. § 13e EnWG sieht dafür den Aufbau von Kapazitätsreserven durch die Übertragungsnetzbetreiber vor. Zunächst hat das Gesetz dafür nur 2 Gigawatt eingestellt. Es ist absehbar, dass diese Reserve durch den drastischen Abbau von konventionellen Stromerzeugungskapazitäten in den nächsten Jahren bei weitem nicht ausreichen wird. Zudem sind die nur für auftretende Kapazitätslücken einzusetzende Reserven bis zu 100 Mio.€ /Gigawatt/Jahr zu vergüten und würden infolgedessen in den kommenden Jahren die Strom-Netzgelte noch maßgeblich ansteigen lassen. (Lt. BNetzA um 17 bis 21 GW bis 2031). Zur künftigen Gewährleistung der Versorgungssicherheit sind daher rechtzeitig marktwirtschaftliche Bedingungen für eine gesicherte Stromversorgung zu schaffen. Nach Auffassung der MIT gehört zu einer ordnungsgemäßen Stromversorgung insbesondere, dass die Stromanbieter die Verantwortung für die Versorgungssicherheit im Sinne der Versorgung der Letztverbraucher mit Strom tragen. Sie haben durch geeignete Geschäftsmodelle und technologische Lösungen in den bestehenden Strommärkten die Gewähr für eine Rund-um-Versorgung zu übernehmen.

Vorgegebenes Ziel mit der für Strom- und Gasnetzbetreiber eingeführten Anreizregulierung ist ein Benchmarking-System zu etablieren, um die Effizienz im Netzbetrieb zu steigern, um somit die Kosten möglichst weit unter die festgelegten Erlöse zu drücken. Druck zur Kostensenkung soll durch die Systematik der Anreizregulierung erzeugt werden. Derweilen wird Benchmarking in der betriebswirtschaftlichen Theorie als kontinuierlicher Vergleich von Produkten, Dienstleistungen sowie Prozessen und Methoden mit mehreren Unternehmen definiert, um Leistungslücken zum sogenannten Klassenbesten systematisch zu schließen. Die insbesondere bei den Verteilnetzentgelten auftretenden Unterschiede zwischen den Netzbetreibern von bis zu 700 % lassen auf eine äußert geringe Effizienz des derzeitigen Anreizregulierungssystems schließen.
Auffallend dabei sind auch die erheblichen Differenzen in den Netzentgelten bei aneinandergrenzenden Netzgebieten. Zudem bestehen erhebliche Preisdifferenzen zu den Netzentgelten in anderen EU-Ländern. Das derzeit praktizierte Anreizregulierungssystem ist daher durch ein stringentes Benchmarkingverfahren abzulösen.

Ein vorrangiges Ziel der Energiewende ist es, Strom durch Photovoltaikanlagen für den Eigenverbrauch zu erzeugen und ggf. zu speichern. Da für diesen Eigenverbrauch das Stromnetz nicht in Anspruch genommen wird, fällt dafür auch kein Netzentgelt an. Aber in sogenannten Dunkelflauten benötigen diese Betreiber für ihren Bedarf dennoch die Kapazität des Stromnetzes.

Die Netzentgelte dienen primär zur Finanzierung der Kosten von Netzausbau und -Betrieb. Sie sind hingegen kein Sammelbecken für unliebsame Kostenpositionen und dürfen nicht als solches zweckentfremdet werden, z.B. für energiewendebezogene Ausgaben wie Sicherheitsbereitschaft (Braunkohlereserve), Kapazitäts- und Netzreserve, aber auch Redispatch und Einspeisemanagement. Das gilt insbesondere für die in der Stromwirtschaft atypischen kostenträchtigen Entschädigungsleistungen für die Abregelungen von Erzeugungsanlagen.