Stromsystem in der Energiewende sicher halten

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Der Beschluss wurde mit Bitte

Der Beschluss wurde mit Bitte um Berücksichtigung an den Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie, Thomas Bareiß MdB, an den Vorsitzenden der AG Wirtschaft und Energie der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Joachim Pfeiffer MdB sowie an den Fachreferenten des Konrad-Adenauer-Hauses geschickt.

Der Beschluss wurde als

Der Beschluss wurde als Pressemeldung verschickt und auf der MIT-Webseite veröffentlicht sowie bei Twitter geteilt.

Datum des Artikels 30.06.2020
Beschluss

Das Stromversorgungssystem bildet die Blutbahnen einer modernen Gesellschaft. Ohne die jederzeit sichere Verfügbarkeit von Strom ist Deutschland als Standort für industrielle Wertschöpfung undenkbar. Daran darf es auch im weiteren Verlauf der Energiewende keinen Zweifel geben. Erneuerbare Energien müssen künftige immer mehr Verantwortung für die Systemsicherheit übernehmen, weil Kraftwerke marktlich oder vom Staat getrieben stillgelegt werden. Systemsicherheit bedeutet einen jederzeit sicheren Netzbetrieb. Auch die Nachfrageseite kann zur Systemsicherheit einen erheblichen Beitrag leisten. Der rasche Ausbau der Stromnetze bleibt die dringlichste Herausforderung für die Stromversorgungssicherheit.

Die Bundesregierung muss entsprechende Rahmenbedingungen schaffen, um das heutige Niveau der Versorgungsqualität zu halten. Dafür sind folgende Maßnahmen notwendig:

1. Der Anteil erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch soll bis in zehn Jahren auf 65 Prozent anwachsen. Die bisher in hohem Maße die Systemsicherheit gewährleistenden Stein- und Braunkohlekraftwerke sollen laut des Entwurfs des Kohleausstiegsgesetzes bis 2038 zusätzlich zu den bereits bis Ende 2022 abzuschaltenden Kernkraftwerken außer Betrieb genommen werden. Es entfallen somit Kraftwerke, die heute die Systemsicherheit zu einem hohen Maß verantworten. Ob erneuerbare Energien rasch genug ausreichend Systemverantwortung übernehmen, um die Systemsicherheit zu erhalten, ist derzeit zweifelhaft. Daher dürfen Kohlekraftwerke nur nach umfassender Analyse tatsächlich abgeschaltet werden. Diese Analyse muss den Wert dieser Kraftwerke für die Systemsicherheit berücksichtigen. Im Zweifelsfall muss der Ausstieg aus der Kohleverstromung verschoben werden und die Kraftwerke am Markt bleiben. Ersatzanlagen zu bauen, die wenige Stunden im Jahr laufen, ist volkswirtschaftlich ineffizient. Gleichzeitig müssen erneuerbare Energien, Speicher und die Nachfrage gleichberechtigt am Regelenergiemarkt teilnehmen können.

2. Durch verstärkte Bilanzkreistreue verstärkt sich das Preissignal für eine sichere Versorgung, das zur Wirtschaftlichkeit von Speichertechnologien, flexiblen Lasten bis hin zum Einsatz umweltfreundlicher moderner konventioneller und Kraft-Wärme-Kopplungskraftwerke eine marktwirtschaftliche Grundlage liefert. Dieser Mechanismus deckt also die physische Versorgungsicherheit im Netzbetrieb sicher ab, weil Abweichungen von Fahrplänen geringer werden. Das gute System der „Bilanzkreisverantwortung“ gilt es daher weiter zu verstärken und auszubauen

3. Derzeit haben geförderte EE-Anlagen je nach Marktkonstellation den Anreiz, von ihrem Fahrplan durch Mehrerzeugung abzuweichen und können damit zu Systemungleichgewichten führen. Anlagenbetreiber werden dann so vorgehen, wenn die zusätzlichen Einnahmen aus dem Stromverkauf und der EEG-Förderung höher sind als die zu erwartende Pönale durch die Bilanzkreisabweichung. Dies muss dringend beendet werden, indem z. B. die Pönalen für geförderte EE-Anlagen angepasst werden. Die im EEG geltende 6H-Regelung verursacht zudem volkswirtschaftlich nicht sinnvolle Mehrkosten und falsche Marktsignale, da die Förderung erst bei negativen Preisen von sechs Stunden am Stück ausgesetzt wird. Die Regelung zum EEG sollte daher an die Regelung aus dem KWKG angepasst werden. Bagatellschwellen sind dabei sinnvoll, sollten aber nach und nach gesenkt und mittelfristig abgeschafft werden.

4. Durch Flexibilisierung kann die Nachfrageseite künftig einen wesentlichen Beitrag zu Systemsicherheit beitragen. Insbesondere Industrie 4.0 wird neue Möglichkeiten der Reaktion in Echtzeit mit sich bringen. Durch eigene Erzeugungsanlagen besitzen die Unternehmen noch größere Wahlmöglichkeiten, ob sie z. B. Strom beziehen, selbst erzeugen, ins Netz der allgemeinen Versorgung einspeisen, Systemdienstleistungen zur Verfügung stellen, Stromverbrauch verschieben oder erhöhen. Damit das volle Potenzial der Nachfrageseite für ein sicheres Stromsystem genutzt werden kann, müssen Hürden rasch abgebaut werden. Dazu gehören insbesondere bessere Rahmenbedingungen für Eigenerzeugungsanlagen (EEG-Umlage und Drittstromabgrenzung) und eine leichtere Teilnahme am Regelenergiemarkt.

5. Eigenerzeugungsanlagen, die von Kunden mit Standardlastprofil betrieben werden, verursachen häufig erhebliche Systemungleichgewichte, da der Stromlieferant den Verbrauch des Kunden prognostiziert, ohne den Eigenverbrauch aus der Anlage vollständig berücksichtigen zu können. Dieses Systemungleichgewicht muss durch zusätzlichen Regelleistungsbedarf aufgefangen werden, was die Stromkosten erhöht. Durch die Weiterentwicklung der Standardlastprofile oder anderer Maßnahmen – insbesondere Messungen sowie die Installation intelligenter Zähler – muss dieser Effekt eingegrenzt und am besten beseitigt werden.

6. Um die Systemsicherheit auf hohem Niveau zu halten und die Teilung der deutschen Strompreiszone unbedingt zu verhindern, ist ein rascher Ausbau der Übertragungsnetze dringend erforderlich. Dadurch können vor allem auch Redispatchkosten gesenkt und die Resilienz des Stromversorgungssystems gestärkt werden. Zudem muss der Ausstieg aus der Kohleverstromung eng mit Fortschritten beim Netzausbau gekoppelt werden. Die Netzreserve darf nur so lange zum Einsatz kommen, wie unbedingt notwendig und keinesfalls zu einem Dauerzustand werden. Schlankere Planungs- und Genehmigungsverfahren für Netze und Erzeugungsanlagen, eine besser Personalausstattung in den Behörden sowie eine Verschlankung der Klageinstanzen sind für eine erfolgreiche Energiewende und die langfristige Systemsicherheit unabdingbar Wichtig ist, dass die Stromnetze auf allen Spannungsebenen in der Lage sein müssen, bei zunehmend wechselnden Einspeiseverhältnissen sichere Lastflüsse zu gewährleisten.

7. Aus Sicht der MIT wird die Versorgungsqualität momentan nicht ausriechend geprüft. Bisher werden mit dem SAIDI-Wert und den weiteren herangezogenen Kenngrößen nur Unterbrechungen über drei Minuten berücksichtigt. Der SAIDI mag bisher eine konstant hohe Systemsicherheit suggerieren, unterschlägt aber schleichende Verschlechterungen der Versorgungsqualität bei zunehmenden Unterbrechungen unter drei Minuten. Für das produzierende Gewerbe reicht diese Betrachtung insofern nicht aus. Schon Unterbrechungen und Spannungsschwankungen im Millisekundenbereich können erhebliche negative Auswirkungen haben und müssen daher zukünftig von einem Monitoring der Versorgungssicherheit abgedeckt sein. Maßnahmen wie Stresstests, effizienter Einsatz bestehender Reservekapazitäten u.a. sollten den Kohleausstieg aus Sicht der Versorgungssicherheit flankieren. Das im Kohleausstiegsgesetz vorgesehene Monitoring ist dementsprechend nicht ausreichend.


Begründung:
Systemdienstleistungen, bestehend aus Momentanreserve, Spannungs- und Frequenzhaltung sowie Versorgungswiederaufbau (Schwarzstartfähigkeit) werden heute ganz überwiegend durch konventionelle Kraftwerke erbracht. Ohne diese Leistungen kann das Stromnetz nicht betrieben werden. Durch den gesetzlich festgelegten Ausstieg aus der Kernenergie sowie den geplanten Ausstieg aus der Kohleverstromung werden allerdings in den kommenden Jahren zahlreiche Erzeugungsanlagen stillgelegt, die derzeit unabdingbar für ein stabiles Stromsystem sind. Ohne diese Kraftwerke wäre die Systemsicherheit in Deutschland gefährdet.

Erneuerbare Energien, Speicher und die Nachfrageseite, nicht zuletzt durch Eigenerzeugungsanlagen, können künftig noch mehr Systemdienstleistungen erbringen. Sie benötigen dafür allerdings Zeit, zudem muss der Regelenergiemarkt durch z. B. kürzere Vorhaltezeiten sukzessive erst an diese Anbieter angepasst werden. Erste Schritte wurden mit der Absenkung der Mindestschwellen in der Vergangenheit bereits gegangen. Bei der Primärregelleistung sind Speicher bereits ein wichtiger Teil des Marktes. Durch die weitere Stärkung der Bilanzkreistreue und die Überarbeitung der Standardlastprofile kann zudem der Bedarf an Regelenergie gesenkt werden.

Beim Netzausbau hat Deutschland viel Zeit vergeudet. Dabei ist eines völlig klar: Ohne eine ausreichende Übertragungskapazität zwischen Nord- und Süddeutschland ist die einheitliche deutsche Strompreiszone nicht zu erhalten. Zwei oder mehr Preiszonen würden zu einem ineffizienteren Strommarkt führen und sind daher klar abzulehnen. Zudem müssen die Grenzkuppelstellen bis 2025 jährlich stärker für den grenzüberschreitenden Stromhandel geöffnet werden. Dies führt zu deutlich steigenden Redispatchkosten und vermehrten Schalthandlungen in Deutschland, die sich negativ auf die Systemsicherheit auswirken können.