Verteidigungswirtschaft in Deutschland stärken

Datum des Artikels 22.02.2023
Beschluss

Neue Herausforderungen erfordern eine neue Bewertung der sicherheitspolitischen Interessen unseres Landes – auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Nach dem Ende des Kalten Krieges und der Wiedervereinigung wurden die deutschen Verteidigungsausgaben stark zurückgefahren. Das innerhalb der NATO im Jahr 2014 vereinbarte Ziel, mindestens 2 Prozent des BIP für Sicherheit und Verteidigung auszugeben, wurde in Deutschland seitdem in keinem Jahr erreicht. Schon vor der dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine war klar, dass die Verteidigungsausgaben bis 2024 um etwa 86 Milliarden Euro aufgestockt werden müssten, um die NATO-Vorgaben zu erfüllen. Als Reaktion auf den russischen Überfall auf die Ukraine hat die Bundesregierung mit Unterstützung der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag ein 100 Mrd. Euro schweres Sondervermögen aufgelegt. Diese Schuldenermächtigung verteilt sich allerdings auf mehrere Jahre und ist ausschließlich darauf angelegt, ohnehin bestehende Lücken zu schließen.

Heute beschäftigt die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie in Deutschland über 150.000 Menschen. Einen großen Teil der Aufträge vergibt die Bundeswehr an mittelständische Unternehmen. Leider bleibt die Verteidigungsindustrie bei der Erfüllung deutscher Sicherheitsinteressen weit hinter ihren Möglichkeiten zurück. Die politischen Rahmenbedingungen erlauben es Investoren und dem Mittelstand nicht, sich an die geänderten geopolitischen Bedingungen nach der Zeitenwende anzupassen. Abseits des Sondervermögens sind die veranschlagten Haushaltsmittel im Kernverteidigungshaushalt besonders im Bereich von Investitionen für militärische Beschaffungsvorhaben und für innovative Forschungsprojekte dramatisch unterveranschlagt. Bestimmte Beschaffungs- und Vergabeverfahren sind kompliziert und dauern zu lang. Ein großer Bremsklotz für einen Kapazitätsaufbau der Verteidigungsindustrie sind die bürokratische Vergabepolitik und die unzeitgemäße und restriktive Exportpolitik. So werden in Deutschland seit 2017 auch Lieferungen von Partnerstaaten in Kooperationsprojekten der Ausfuhrkontrolle unterworfen, wenn deutsche Komponenten in ausländischen Produkten verbaut wurden. Dadurch sind unsere Unternehmen risikobehaftete Partner bei internationalen Rüstungsprojekten, denn kein anderer Staat will sich von der deutschen Ausfuhrkontrolle abhängig machen.


Die Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) fordert:


1. Die Bundesregierung muss sich unmissverständlich zur Notwendigkeit der Förderung der deutschen Verteidigungsindustrie bekennen. Spätestens der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat klar gemacht, dass Frieden, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Europa nur möglich sind in wehrhaften Staaten, die die Souveränität von sich und ihrer Partner wirksam gegen militärische Aggressoren verteidigen können. Notwendige Bedingung dieser Wehrhaftigkeit ist eine leistungsfähige und innovative Sicherheits- und Verteidigungsindustrie mit starken mittelständischen Unternehmen.


2. Die Bundesregierung muss endlich die eigenen Versprechungen umsetzen und spätestens mit dem Bundeshaushalt 2024 und für die folgenden Haushalte das 2%-Ziel erreichen. Für die Zukunftsfähigkeit der Bundeswehr einerseits und die Perspektiven der wehrtechnischen Industrie andererseits ist es zentral, dass die Mittel für Beschaffungsvorhaben im Kernhaushalt auskömmlich sind und steigen. Aktuell ist das Gegenteil der Fall: Der Anteil an Investitionsmitteln sinkt kontinuierlich zugunsten der laufenden Betriebsausgaben. Die Zeitenwende hat schmerzhaft gezeigt, dass es Geld kostet, Sicherheit und Wohlstand für Deutschland und Europa zu gewährleisten. Das 100 Mrd. Euro- Sondervermögen ist ausschließlich darauf ausgerichtet, ohnehin bestehende Lücken in der Ausstattung der Bundeswehr zu schließen. Es sollte als Anschubfinanzierung betrachtet werden. Darüber hinaus müssen die kontinuierlichen Verteidigungsausgaben bzw. die Mittel im Einzelplan 14 zügig erhöht werden, auch, um den Erhalt des nun neu angeschafften Materials gewährleisten zu können. Das zwei-Prozent-Ziel der NATO muss ab dem nächsten Haushaltsjahr eingehalten und entsprechend der Bedrohungslage dynamisch angepasst werden. Ausgaben für Sicherheit und Verteidigung sind dabei keine Sonderausgaben, für die die Aufnahme neuer Schulden („Sondervermögen“) auf Dauer gerechtfertigt ist. Vielmehr müssen Haushaltsmittel so priorisiert und ggf. gestrichen werden, dass eine ausreichende Finanzierung der Bundeswehr und die Erreichung des vertraglich vereinbarten 2%-Ziels aus dem Kernhaushalt heraus möglich ist.


3. Beschaffungsprozesse und Vergabeverfahren müssen bei Rüstungsaufträgen vereinfacht werden und gleichzeitig hohe Qualität, Wirtschaftlichkeit und Wettbewerb gewährleisten. Gleichermaßen ist die Industrie auf Planbarkeit und Verlässlichkeit angewiesen.

a. Dem Beispiel anderer EU-Staaten folgend müssen die Spielräume in der Anwendung der Ausnahmevorschrift des Artikels 346 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) auch über die aktuelle Krise hinaus ausgeschöpft werden, um die deutschen Sicherheitsinteressen und den Erhalt nationaler Souveränität zu wahren.

b. Für Krisenzeiten muss grundsätzlich eine Möglichkeit geschaffen werden, vergaberechtliche Vorschriften auszusetzen bzw. Prozesse wesentlich zu beschleunigen. In § 12 der Vergabeverordnung für Verteidigung und Sicherheit (VSVgV) muss die Möglichkeit zur ausnahmsweisen Vergabe von Aufträgen im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb ausgeweitet werden. Dabei ist eine ausreichende Beteiligung mittelständischer Unternehmen zu gewährleisten.

c. Innerhalb der Europäischen Union müssen Beschaffungskriterien im Rüstungsbereich stärker harmonisiert werden, etwa durch einheitlichere Standards und Spezifikationen. Dadurch wird der Zugang in anderen EU-Staaten und die Teilnahme an Kooperationsprojekten für den deutschen Mittelstand vereinfacht.

d. Eine Voraussetzung dafür, dass mittelständische Unternehmen im Bereich Rüstung investieren können, ist Planbarkeit.


4. Der Export der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie muss deutlich gesteigert werden. Nur größere Stückzahlen ermöglichen Investitionen in Produktionskapazitäten und in Forschung und Entwicklung und den Aufbau einer starken Rüstungsindustrie. Anderenfalls droht eine zunehmende Abhängigkeit von anderen rüstungsproduzierenden Staaten, die durch die Digitalisierung der Waffensysteme noch verstärkt wird. Durch den weltweiten Absatz steigen darüber hinaus die Möglichkeiten, Erfahrungen mit den Waffensystemen und Technologien zu sammeln. Rüstungsexporte sind ferner ein wichtiges Instrument zur Verfolgung geopolitischer Interessen, etwa zur Unterstützung verbündeter Staaten.

a. Die von der Ampel geplante Verschärfung des Rüstungsexportkontrollgesetzes muss sofort gestoppt werden. Eine europäische Harmonisierung ist anzustreben, deutsche Sonderwege sind zu vermeiden.

b. Die bestehenden politischen Grundsätze der Bundesregierung müssen reformiert werden, um Exporte für Rüstungsgüter zu erleichtern.  Die Antrags- und Genehmigungsprozesse in der Exportkontrolle müssen erheblich vereinfacht und beschleunigt werden. Ein Rüstungsexportkontrollgesetz soll sich bei den Kriterien und Prozessen an den Standards der rüstungsexportstarken EU- und NATO-Partner orientieren. Die Zeitenwende fordert eine geopolitische Kehrtwende in der deutschen Außenpolitik. Insbesondere muss die Bundesregierung von jeglicher Einflussnahme auf Exportentscheidungen anderer EU- oder NATO-Staaten absehen, wenn es sich um Systeme handelt, in denen deutsche Produkte keinen maßgeblichen Teil ausmachen.

c. Der Absatz deutscher Sicherheits- und Verteidigungsprodukte auf Auslandsmärkten muss politisch flankiert und stärker gefördert werden. Das gilt insbesondere dann, wenn die Wettbewerbssituation auf Auslandsmärkten zugunsten von Konkurrenzprodukten aus anderen Staaten verzerrt ist. Die Exportinitiative „Zivile Sicherheitstechnologien und -dienstleistungen" muss gestärkt und für militärische Produkte erweitert werden.

d. Bei der Beschaffung von Rüstungsprodukten im Ausland muss die Bundesregierung die Aufrechnung mit möglichen Offset-Verpflichtungen einfordern. Die Beschaffung von Rüstungsgütern aus dem Ausland kann ökonomisch effizient und sicherheitspolitisch geboten sein. Viele ausländische Regierungen beschaffen Rüstungsgüter aus Deutschland. Oft werden dafür Gegengeschäfte (Offset- oder Kompensationsgeschäfte) eingefordert. Wenn die Bundesregierung ausländische Lieferanten zum Zug kommen lässt, muss auch sie auch eine entsprechende Offset-Anrechnung einfordern und dabei auch mittelständische heimische Sicherheits- und Verteidigungsindustrie einbinden.


5. Landesverteidigung und Heimatschutz müssen von der Bundesregierung und im Rahmen der Gesetzgebung als systemrelevant und nachhaltig anerkannt werden. Auf europäischer Ebene muss sich die Bundesregierung für eine Einstufung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie als nachhaltige Branche einsetzen. Wachstum, Wohlstand und eine wertegeleitete Politik braucht Sicherheit, die ohne eine leistungsfähige Sicherheits- und Verteidigungsindustrie nicht möglich ist. Regelwerke wie die EU-Taxonomie müssen Investitionen in Sicherheits- und Verteidigungswirtschaft der EU bzw. NATO grundsätzlich als förderungswürdig anerkennen. Eine Diskriminierung von Unternehmen, Investoren oder Banken, die in diese Branche investieren, ist zu unterbinden. Die Regierungen in Bund und Ländern sind aufgerufen, entsprechende Einschränkungen in den Kreditvergaberichtlinien öffentlicher Förderbanken zu beseitigen.


6. Bei der Beschaffung sind teure Speziallösungen zu vermeiden. Bei allen Beschaffungsvorhaben ist mittels eines konsequenten Forderungscontrollings sicherzustellen, dass alle militärisch notwendigen Fähigkeiten bereitgestellt werden, ohne auf teuren „Goldrand-Lösungen“ – meist mit erheblichem Entwicklungsbedarf und hohen Risiken – zu bestehen. Standard-Produkte, die schnell und ohne Zusatzkosten in Serie hergestellt werden können, sind zu bevorzugen.


7. Die Bundesregierung muss Produktionskapazitäten der deutschen Industrie systematisch und kontinuierlich erfassen, die Skalierbarkeit der Rüstungsproduktion prüfen und regelmäßige Stresstests für militärische Ernstfälle simulieren. Der Krieg in der Ukraine machte nicht nur den Mangel an Rüstungsprodukten innerhalb der Bundeswehr deutlich, sondern auch die Grenzen und Produktionskapazitäten der Rüstungsunternehmen. Die Bundesregierung muss anhand von Bedrohungsszenarien und der Erfassung von Produktionskapazitäten jederzeit in der Lage sein, mögliche Lieferengpässe vorzubeugen und Unternehmen gegebenenfalls zu befähigen, die Produktion von Rüstungsgütern im Krisenfall entsprechend skalieren zu können.


8. Die Lieferung von Waffen und Ausrüstung an die Ukraine ist zu begrüßen. Allerdings müssen entstehende Lücken bei der Bundeswehr umgehend durch Nach- bzw. Neubeschaffungen geschlossen werden. Dabei sind auch mittelständische Unternehmen in Deutschland zu berücksichtigen. Auf selbstauferlegte Bürokratie muss verzichtet werden, Ersatzbeschaffungen dürfen nicht als vollkommen neue Beschaffungsvorhaben klassifiziert werden.


9. Staatliche Überprüfungen von Investitionen aus dem Ausland in die deutsche Verteidigungsindustrie, Auflagen und Untersagungen müssen zügig durchgeführt werden und dürfen nur dann erfolgen, wenn erkennbar eine mögliche Gefährdung vorliegt und das Prüfverfahren transparent ist. Investitionsprüfungen („Investment Screening“) gemäß der Außenwirtschaftsverordnung (AWV) sind ein erheblicher Eingriff in Privateigentum und Vertragsfreiheit. Gleichwohl muss der Staat negative Auswirkungen ausländischer Direktinvestitionen für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit abwenden. Dies kommt besonders im Fall nationaler Schlüsseltechnologien in Betracht. Abgesehen von den Sonderfällen sind ausländische Investitionen ein wertvoller Beitrag zur Sicherheit in Deutschland. Sowohl das sektorübergreifende Prüfverfahren (§§55 ff. AWV) als auch das im Bereich Rüstung und Wehrtechnik anzuwenden sektorspezifische Prüfverfahren (§§60 ff. AWV) müssen die Verhältnismäßigkeit wahren, damit Investitionen in die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie für ausländische Investoren nicht grundsätzlich unattraktiv werden.