Warum kauft die EZB Staatsanleihen?

Datum des Artikels 25.06.2020
MittelstandsMagazin

Das Bundesverfassungsgericht hat die milliardenschweren Staatsanleihekäufe der Europäischen Zentralbank für teilweise verfassungswidrig erklärt. Was bezweckt die EZB mit ihren Kaufprogrammen, wie funktionieren Staatsanleihen und was bedeutet das Urteil für den Euroraum?

Was sind Anleihen?

Anleihen (engl. Bonds) gehören neben Aktien zu den wichtigsten Anlageklassen auf den weltweiten Börsenplätzen. Unternehmen und Staaten können sich über solche Instrumente Geld beschaffen. Während Aktien handelbare Anteile an einem Unternehmen darstellen, handelt es sich bei Anleihen um kleingestückelte Kredite: Anleger leihen einem Staat oder einem Unternehmen für einen bestimmten Zeitraum Kapital und erhalten dafür Zinsen. Anleihen von Unternehmen heißen Unternehmensanleihen, Anleihen von Staaten heißen Staatsan- leihen. Gegenüber einem Bankkredit haben Anleihen den Vorteil, dass der Emittent, also der Staat oder das Unternehmen, keine zusätzlichen Sicherheiten bereitstellen muss. Am Ende der Laufzeit zahlt der Emittent dem Inhaber der Anleihe den eingezahlten Betrag wieder zurück. Während die Höhe der Verzinsung festgelegt ist, kann der Kurs der Anleihe schwanken.

Geldpolitik der EZB

Im Euroraum sind die jeweiligen nationalen Zentralbanken – hierzulande die Deutsche Bundesbank – und als oberste EU-Behörde die Europäische Zentralbank (EZB) für die Geldpolitik zuständig. Ihr oberstes Ziel ist es, die Preise im Euro-Raum stabil zu halten. Dazu soll die Inflationsrate auf mittlere Sicht nahe, aber unter zwei Prozent gehalten werden. So wie die Regulierung des Leitzinses ist der Kauf von Anleihen ein geldpolitisches Instrument. Indem die EZB den nationalen Banken Staatsanleihen abkauft, steigt die im Umlauf befindliche Geldmenge. Das treibt sowohl die Konjunktur als auch die Inflation an. Für die EZB bietet sich das gerade jetzt an, da der Leitzins und die Inflation ohnehin niedrig sind. Fallende Preise können Unternehmen und Verbraucher ver- leiten, Investitionen aufzuschieben. Das kann die Konjunktur bremsen. Im Mai lagen die Verbraucherpreise im Euroraum nur noch um 0,1 Prozent höher als ein Jahr zuvor. In diesem Jahr dürfte die Teuerung gerade einmal 0,3 Prozent betragen. Staaten und Unternehmen profitieren zudem davon, wenn die EZB als Großeinkäufer ihrer Wertpapiere am Markt auftritt. Sie müssen dann nicht so hohe Zinsen bieten und kommen günstiger an frisches Geld. Nach den EU-Verträgen ist es der EZB allerdings untersagt, selbst Wirtschaftspolitik zu betreiben. Das ist vorrangig Aufgabe der Mitgliedsstaaten. Eindeutig geregelt ist auch das „Verbot monetärer Staatsfinanzierung“. Heißt: Die EZB darf nicht die Haushalte überschuldeter EU-Staaten retten.

Illegale Staatsfinanzierung?

Unter anderem diesen Vorwurf erhoben die Kläger um den früheren CSU-Bundestagsabgeordneten Peter Gauweiler und den Finanzwissenschaftler Markus C. Kerber. Zwar urteilte das Bundesverfassungsgericht Anfang Mai nun, dass eine „offensichtliche Umgehung des Verbots monetärer Staatsfinanzierung noch nicht festgestellt werden kann.“ Die milliardenschweren Anleihekäufe der EZB seit 2015 seien dagegen kompetenzwidrig ergangen. Bundesregierung und Bundestag hätten Grundrechte verletzt, indem sie nicht dagegen eingeschritten seien. „Obwohl die EZB Staatsanleihen aller Eurostaaten kauft, ist das Ankaufprogramm der Sache nach ein Programm zur finanziellen Unterstützung der überschuldeten Staaten“, kommentierte Gauweiler den Richterspruch. Politiker würden dadurch angeleitet, zusätzliche Schulden auf Kosten Dritter zu machen. „Sie werden durch die EZB-Politik um dreistellige Milliardenbeträge ‚entlastet‘, während den deutschen Sparern die Nullzinspolitik bereits weit über 200 Milliarden gekostet hat“, so Gauweiler. In den Jahren 2015 und 2018 hatte die EZB für rund 2,6 Billionen Euro Staatsanleihen und andere Wertpapiere gekauft. Den Großteil machte das „Public Sector Purchase Programme“ (PSPP) aus, auf das sich das Urteil bezieht. Zum 1. November 2019 wurde das Programm in geringerem Umfang neu aufgelegt. Die Verfassungsrichter stellten sich mit ihremUrteil gegen den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Dieser hatte das Kaufprogramm im Dezember 2018 abgesegnet. Nach dem Karlsruher Urteil darf sich die Deutsche Bundesbank künftig nur unter bestimmten Bedingungen am PSPP beteiligen. Die Bundesregierung hat nun bis zum 5. August Zeit, die EZB zu einer Überprüfung des Kaufprogramms zu bewegen.

Bedeutung in der Coronakrise

Die aktuellen Notprogramme der EZB in der Coronakrise klammerten die deutschen Verfassungsrichter in ihrem Urteil ausdrücklich aus. Die Zentralbank reagierte prompt: Sie kündigte an, über ein zusätzliches Kaufprogramm (PEPP) weitere 750 Milliarden Euro für Staats- und Unternehmensanleihen in die Hand nehmen. Anfang Juni sattelte die EZB noch einmal auf: aus 750 Milliarden Euro werden nun 1,35 Billionen Euro. Das neue Programm enthält zudem eine wesentliche Änderung. Bislang galt die Regel, dass die EZB höchstens ein Drittel der ausstehenden Anleihen eines Staates kaufen darf. Das soll für PEPP nicht mehr gelten. Es ist deshalb wahrscheinlich, dass auch das neue Programm angefochten wird.

Wie geht es weiter?

Sowohl EZB-Direktorin Isabel Schnabel als auch Präsidentin Christine Lagarde bekräftigten, dass nur der EuGH rechtlich für die EZB und ihr Handeln zuständig sei. Die Bundesbank habe sich nach den geldpolitischen Beschlüssen im Euroraum zu richten. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte sogar an, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland zu prüfen. Damit steckt die Bundesbank in einer Zwickmühle: Entweder sie verstößt zukünftig gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts oder gegen ihre Verpflichtungen im Rahmen der europäischen Geldpolitik. Darüber steht die grundsätzliche Frage, ob europäisches Recht immer Vorrang vor nationalem Recht haben mussSolange diese Frage offen bleibt, wird der angeheizte Streit um die EZB-Anleihekäufe nur in die nächste Runde gehen.