Widerstand gegen Lieferkettengesetz: Mittelständler als Menschenrechtspolizei?

Datum des Artikels 21.10.2020
MittelstandsMagazin

Das geplante Lieferkettengesetz der Bundesregierung soll Unternehmen verpflichten, in ihrer gesamten Lieferkette auf die Einhaltung von Menschenrechten und Sozialstandards zu achten. Wer das Gesetz kritisiert, gilt schnell als Ausbeuter. Ganz so einfach ist es aber nicht.

Die Debatte um das Lieferkettengesetz wird hart geführt. Wie so oft stimmt auch hier der Satz des verstorbenen CDU-Politikers Heiner Geißler: „In der Politik sind Emotionen Fakten.“ Wirtschaftsverbände, die Kritik an dem Gesetz üben, werden vom grünen Bundestagsabgeordneten Uwe Kekeritz auf Twitter mit den Worten bedacht: „Statt auf nachhaltige Produktionsmuster zu setzen, wird versucht, die Ausbeutung von Mensch und Natur schönzureden.“ Neben Politikern sind es vor allem Nichtregierungsorganisationen, die sich für das Lieferkettengesetz einsetzen. Sie haben sich zu der Initiative Lieferkettengesetz zusammengeschlossen. Die Initiative veröffentlicht Umfragen, Flyer, initiiert Petitionen und gibt Argumentationsleitfäden heraus. Auch haben sich mittlerweile 230 katholische Bischöfe weltweit hinter ein Lieferkettengesetz gestellt. Die evangelische Kirche befürwortet es ebenfalls. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), dessen Ministerium maßgeblich an dem Gesetz arbeitet, hängt die Latte hoch: „Es ist kein Kokolores, sondern es geht um die fundamentalen Rechte von Menschen: Es geht um den Kampf gegen Sklaverei. Es geht um den Kampf gegen Kinderarbeit. Es geht um die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.“ Bundesentwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU), der Initiator des Gesetzes, behauptet im Bundestag: „Wer sagt, es geht nicht, will nicht.“ 

Emotionale Debatte

Die Gegner des Lieferkettengesetzes haben es schwer. Sie stehen schnell in dem Verdacht, Profite seien ihnen wichtiger als Menschenrechte, Arbeits- und Sozialstandards oder der Umweltschutz. Entsprechend vorsichtig äußerten sich die Kritiker zu Beginn der Debatte. Doch je mehr Eckpunkte des Gesetzes bekannt werden, desto lauter wird die Kritik. Ingo Kramer, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, sagte im Handelsblatt, es habe in den letzten Jahren wenige Gesetzentwürfe gegeben, „die so weltfremd waren, wie dieser“. „Der Entwicklungsminister, dem es mit all seiner Amtsautorität nicht gelungen ist, die Menschenrechtslage in Entwicklungsländern zu verbessern, stellt sich jedenfalls vor, dass der Mittelständler aus dem Sauerland das hinkriegt. Das finde ich – mit Verlaub – absurd“, so Kramer weiter. Auch die MIT begrüßt es, wenn Menschenrechte entlang der Lieferketten künftig besser eingehalten werden sollen – „aber es muss für Mittelständler praktikabel sein“, sagt MIT-Vorsitzender Carsten Linnemann. Diese Praktikabilität sei im aktuellen Gesetzentwurf nicht gegeben.

Vorschläge für praktikables Gesetz

Matthias Heider, stellvertretender Vorsitzender der MIT und des Wirtschaftsausschusses des Bundestages, kritisiert zudem die Haftung innerhalb der gesamten Lieferkette: „Die Vorstellung, dass jedes einzelne Glied einer Lieferkette von Deutschland aus kontrolliert werden kann, ist schlicht illusorisch. Das kann kein mittelständisches Unternehmen ernsthaft leisten.“ So sei bereits die Herstellung eines einfachen Herrenhemdes häufig mit über 100 Arbeitsschritten verbunden. „Ich schlage vor, die Haftung auf die erste Ebene der Lieferkette, also auf die direkten Zulieferer, zu begrenzen. Eine zivilrechtliche Haftung muss ausgeschlossen sein“, sagt Heider. Sanktionen dürfe es zudem nur bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit geben. Die MIT-Wirtschaftskommission, deren Vorsitzender Heider ist, hat weitere Vorschläge für ein praktikables Lieferkettengesetz erarbeitet. „Die Größe der Unternehmen, die unter das Lieferkettengesetz fallen, muss bei 5000 Mitarbeitern liegen. So ist es beispielsweise auch im französischen Lieferkettengesetz geregelt“, erklärt Jörg Hamel, der als Mitglied der Wirtschaftskommission an dem Vorschlagspapier mitgearbeitet hat. „In seiner aktuellen Version würden bereits Unternehmen mit 500 Mitarbeitern von dem Lieferkettengesetz erfasst“, sagt Hamel, der als Geschäftsführer des Handelsverbands in Aachen, Düren und Köln arbeitet. „Damit würde das Gesetz auch zahlreiche Mittelständler treffen. Diese Vorgaben seien schon für große, global agierende Konzerne schwer einzuhalten. Für einen Mittelständler ist das schlicht nicht leistbar.“

Es gibt durchaus Großkonzerne wie Nestlé oder Adidas, die für das Lieferkettengesetz sind. Das ist aber erklärbar. An den Finanzmärkten werden solche Konzerne schon heute von ihren Investoren gezwungen, für Nachhaltigkeit und Mindeststandards in der Lieferkette zu sorgen. Sie haben also solche Überwachungssysteme längst etabliert. Bei ihrer Marktmacht haben sie auch ganz anderen Einfluss auf Produzenten und Lieferanten, von denen sie ganze Jahresproduktionen abkaufen, als ein Mittelständler. Adidas beschäftigt weltweit rund 50 Experten und führte 2019 rund 1.200 Kontrollen in Zuliefererbetrieben durch. Das kann ein Mittelständler mit 500 oder auch 1000 Mitarbeitern gar nicht gewährleisten. Und so hat die Forderung der Großkonzerne nach einem Lieferkettengesetz den faden Beigeschmack, dass damit zugleich unliebsame mittelständische Konkurrenz aus dem Markt gedrängt wird.

Kein nationaler Alleingang

Jörg Hamel kritisiert auch, dass die Politik ihre Verantwortung auf die Unternehmen abschiebt, auf die Einhaltung von Menschenrechten und Arbeitsstandards im Ausland zu achten: „Es kann nicht sein, dass Unternehmen eine Art Polizei bilden sollen, um Verstöße zu ahnden und zu kontrollieren.“ Dazu seien Unternehmen nicht geeignet. „Hinzu kommt die Corona-Pandemie mit ihren massiven Auswirkungen. Jede zusätzliche Belastung für Unternehmen ist momentan Gift“, so Hamel. Im schlimmsten Fall könne das Lieferkettengesetz in der jetzigen Form zum Rückzug deutscher Unternehmen führen. „In dem Moment, in dem sich deutsche Unternehmen zurückziehen, schließen Unternehmen, vor allem aus China, sofort die Lücke“, sagt Hamel. Damit sei unterm Strich niemandem geholfen. „Dass chinesische Unternehmen besser auf die Einhaltung der Menschenrechte achten als deutsche Unternehmen, glaubt hoffentlich kein Mensch.“

„Das Ziel einer Lieferkette ist richtig“, stellt MIT-Chef Carsten Linnemann klar. „Aber über den Weg zu diesem Ziel müssen wir noch einmal sehr sorgfältig nachdenken.“ Das Lieferkettengesetz solle deshalb gemeinsam mit den europäischen Partnern erarbeitet werden, nicht in einem nationalen Alleingang. Linnemann: „Das ist am Ende kontraproduktiv und bringt unserer Wirtschaft nichts als unnötige Wettbewerbsnachteile – ohne dass in der Sache etwas gewonnen wäre.“

Micha Knodt

 

Dieser Artikel erschien im Mittelstandsmagazin, Ausgabe 5-2020