Wie lange geht das noch gut?

Datum des Artikels 20.04.2021
MittelstandsMagazin

Die Zuschüsse des Bundes zu den Sozialversicherungen steigen immer weiter an. Damit die Kosten für Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung nicht explodieren, gehören manche Leistungen auf den Prüfstand.

Die Sozialversicherungen sind eine deutsche Erfolgsgeschichte. 1883 wurde die Krankenversicherung von Otto von Bismarck auf den Weg gebracht. 1884 folgte die Unfallversicherung, 1889 die Rentenversicherung. Die Arbeitslosenversicherung entstand 1927, die Pflegeversicherung 1995. Diese fünf Versicherungen bilden heute die gesetzlichen Sozialversicherungen. Sie sichern die Bevölkerung gegen Unfall, Krankheit, Alter, Arbeitslosigkeit und Invalidität ab. Die Sozialversicherungen sind die Grundlage für den Sozialstaat. Die Finanzierung der Sozialversicherungen, mit Ausnahme der Unfallversicherung, erfolgt durch das beitragsfinanzierte Umlagesystem. Das heißt, dass die eingezahlten Beiträge direkt wieder an die Leistungsempfänger ausgezahlt werden. Die Beitragszahler haben im Gegenzug einen Leistungsanspruch, etwa wenn sie in Rente gehen. Allerdings stößt das Umlagesystem schon seit längerem an seine Grenzen. Der Hauptgrund dafür ist der demografische Wandel, aber auch die Wiedervereinigung und steigende Arbeitslosigkeit rissen ein Loch in die Sozialkassen. Eigentlich sollen sich die Sozialversicherungen aus den Beiträgen finanzieren. Doch diese Rechnung geht schon länger nicht mehr auf, der Bund bezuschusst mit Steuergeldern. Entsprechend steigen die Sozialausgaben des Bundes gemessen am Bruttoinlandsprodukt seit Jahren konstant an. Über die Hälfte des Bundeshaushaltes fließt mittlerweile in die Sozialversicherungen. Allein seit 2018 ist der Bundeszuschuss um 16,5 Prozent gestiegen und liegt nun bei etwas über 130 Milliarden Euro.

Zahl der Beitragszahler sinkt

Dass die Kosten der Sozialversicherungen in den kommenden Jahrzehnten drastisch sinken, ist so gut wie ausgeschlossen. Das Ausmaß des demografischen Wandels wird erst in den kommenden Jahren, mit dem Eintritt der Babyboomer-Generation in die Rente, vollends spürbar sein. Rentengeschenke wie die Rente mit 63 belasten die junge Generation zusätzlich. Gleichzeitig sind keine Mehreinnahmen zu erwarten. Der Anteil der Beitragszahler wird laut Zahlen des Bundeswirtschaftsministeriums bis 2040 um 16 Prozent sinken. Die Zahl der Beitragsempfänger hingegen wird um 14 Prozent steigen. Außerdem haben Union und SPD festgelegt, dass die Sozialabgaben für Arbeitnehmer und Arbeitgeber bei unter 40 Prozent des Einkommens stabilisiert werden sollen. Das lässt kaum Spielraum, denn schon heute liegt der durchschnittliche Anteil bei 39,9 Prozent. Kinderlose Beitragszahler liegen schon heute über der Grenze von 40 Prozent, da sie einen höheren Sozialversicherungsbeitrag zahlen müssen. Es ist also keine Frage, ob die Finanzierung der Sozialversicherungen reformiert werden muss, sondern wie. Reformvorschläge gibt es viele. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil haben mehrere Entwürfe für Reformen, vor allem im Gesundheits- und Pflegebereich, erarbeitet. Doch die Pläne sind mit hohen zusätzlichen Ausgaben verbunden. Spahns Reform der Pflegeversicherung soll rund sechs Milliarden Euro jährlich kosten. Hubertus Heil will für 2023 zehn Milliarden Euro mehr Zuschüsse für die Rente. Das Geld dafür soll aus dem Bundeshaushalt kommen. Insbesondere bei der Pflege kritisiert die MIT, dass das Leistungsspektrum in den letzten Jahren konstant ausgeweitet wurde. Zudem werden auch hier, wie bei der Rente, zukünftig mehr Pflegebedürftigen weniger Beitragszahler gegenüberstehen. Spahns Pflegereform sieht weitere Leistungen, insbesondere eine Deckelung der Eigenanteile, vor. Die MIT dagegen will die Pflegeversicherung in ihrer Grundausrichtung als „Teilkasko-Versicherung“ erhalten. „Die Pflegeversicherung war nie als Vollkaskoversicherung gedacht“, sagt der CSU-Bundestagsabgeordnete und Co-Vorsitzende der MIT-Gesundheitskommission, Stephan Pilsinger. Die Pflegeversicherung solle einen Teil der hohen Kosten tragen. „Sie muss aber auch finanzierbar bleiben, damit die Abgaben auf Arbeit nicht weiter steigen.“ Die MIT fordert die Bundesländer in einem Beschluss auf, ihrer Verantwortung nachzukommen und mehr Geld in Pflegeeinrichtungen zu investieren. Außerdem spricht sich die MIT für eine betriebliche Pflegezusatzversicherung aus, welche staatlich gefördert wird.

Die Rente ist sicher?

Der CDU-Bundesfachausschuss soziale Sicherung und Arbeitswelt hat Ende des letzten Jahres Vorschläge zur Rentenpolitik vorgestellt. „Angesichts des demografischen Wandels wird es in Zukunft mehr Rentner und weniger Arbeitnehmer geben. Bliebe 
alles wie es ist, wäre die Rente auf Dauer nicht finanzierbar“, heißt es in dem Papier. Die Arbeitsgruppe will den Generationenvertrag erneuern und einen Lastenausgleich zwischen den Generationen schaffen. Deswegen sollen grundsätzlich bei allen zukünftigen Reformen der gesetzlichen Rentenversicherung die Belastungen zu gleichen Teilen auf die Beitragszahler und die Rentenempfänger verteilt werden. „Belastungen durch den demografischen Wandel können nicht einseitig nur durch Veränderung einer Stellschraube zu Lasten einer Generation aufgefangen werden“, schreiben die Autoren. Union und SPD haben die Leistungen der Rentenversicherung immer mehr ausgeweitet: Rente mit 63, Mütterrente, Grundrente, Erwerbsminderungsrente und die Anhebung des Rentenniveaus auf 48 Prozent bis 2025. Aber eine Antwort auf die zentrale Frage, wie weniger Beitragszahler für mehr Rentner aufkommen können, hat die große Koalition bislang nicht. Vor allem an die wohl wichtigste und effektivste Stellschraube, das Renteneintrittsalter, trauten sich Union und SPD nicht heran. Der CDU-Fachausschuss wagt dies nun: „Gewonnene Lebenszeit muss aber zur Erhaltung der Generationengerechtigkeit auch zum Teil in Erwerbstätigkeit verbracht werden.“ Dies soll durch stärkere Anreize für längeres Arbeiten erreicht werden. Auch soll das Renteneintrittsalter individualisiert werden. Damit will man unterschiedlichen Arbeits- und Lebenssituationen gerecht werden. Ein Dachdecker könnte dann früher in Rente gehen als ein Bürokaufmann – ohne Abschläge bei der Rente befürchten zu müssen. Wie das allerdings in der Praxis ermittelt werden soll, bleibt offen.

Generationengerechtigkeit ins Grundgesetz

Auch soll die gesetzliche Rente von einem reinen Umlagesystem zu einem Mischsystem aus Umlage und Kapitalanlage umgebaut werden. Dabei soll eine Körperschaft des öffentlichen Rechts eingerichtet werden, die einen Rentenfonds für die Kapitalanlage aufbaut und betreut. Die MIT hat kürzlich eigene Vorschläge für die Zukunft der Rentenversicherung erarbeitet. Beide Papiere haben ähnliche Ansätze, etwa bei der Flexibilisierung des Renteneintrittsalters. Auch sehen beide Papiere vor, die Rentenversicherung breiter aufzustellen und neben der staatlichen auch die betriebliche und private Altersvorsorge zu stärken. Einen durch Schulden finanzierten Staatsfonds in der Verantwortung der Ren
tenversicherungen lehnt die MIT aber ab. Bei der Generationengerechtigkeit geht die MIT weiter als das Papier des CDU-Fachausschusses. Die MIT will die Generationengerechtigkeit bei der Altersvorsorge im Grundgesetz festschreiben. „Damit die Rente auch in Zukunft finanzierbar bleibt, darf es keine Denkverbote geben“, sagt die stellvertretende MIT-Bundesvorsitzende und Co-Vorsitzende der Arbeits- und Sozialkommission, Jana Schimke. Es müssten deshalb auch „Fehlentscheidungen der Vergangenheit“ korrigiert werden. Die Einführung der Rente mit 63 ist aus ihrer Sicht ein Fehler, „da sie dem Arbeitsmarkt Fachkräfte und der Rentenversicherung Beitragszahler entzieht“. Zudem setze sie Anreize für gesunde und gut qualifizierte Fachkräfte, frühzeitig in Rente zu gehen. Aus Sicht der MIT lässt sich nur durch die Verlängerung der Erwerbsphase ein noch stärkerer Anstieg des Rentenbeitragssatzes verhindern.

Nachhaltige Finanzierung

Dass sich bei den Sozialversicherungen in den kommenden Jahren große Finanzierungslücken auftun werden, war schon vor der Corona-Krise absehbar. Die Pandemie hat diese Ent
wicklung aber noch einmal deutlich verstärkt. Dennoch wurden immer wieder erhebliche Leistungsausweitungen beschlossen, ohne für eine nachhaltige Finanzierung zu sorgen. „Um das hohe Niveau der sozialen Absicherung in Deutschland aufrecht erhalten zu können, muss sich das Sozialstaatsversprechen künftig wieder stärker an der tatsächlichen Hilfebedürftigkeit der Anspruchsberechtigten und den finanziellen Rahmenbedingungen ausrichten“, heißt es in einem Beschluss des MIT-Bundesvorstands. Grundrente, Mütterrente oder die geplante Pflegereform würden diesem Anspruch nicht gerecht. Die Ausweitung der Steuerfinanzierung müsse gestoppt werden, die Finanzierung und Kosten künftige Reformen transparent gemacht werden. Die MIT setzt sich deswegen für ein Leistungsmoratorium für alle Zweige der Sozialversicherungen ein. Dann dürfte es künftig ohne nachhaltige Finanzierung keine Ausweitung der Leistungen in den Sozialversicherungen mehr geben.

 

Micha Knodt

Redakteur