"Wir brauchen eine Atempause"

Datum des Artikels 11.12.2015
MIT in den Medien

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Carsten Linnemann aus Paderborn setzt sich kritisch mit der Flüchtlingspolitik auseinander. Sein Gastbeitrag ist ein Auszug aus dem Buch "Ins Offene" von Jens Spahn, Mitglied im CDU-Präsidium und Staatssekretär im Finanzministerium.

"Die Flüchtlingsdebatte nimmt absurde Züge an. Sie pendelt zwischen Luftballons und Stacheldraht. Entsprechend gereizt ist die Stimmung in der Gesellschaft. Auch deswegen, weil sich viele Menschen nicht mehr trauen, ihre Meinung zu artikulieren. Weil sie Angst haben, dass sie etwas Falsches sagen und in die rechte Ecke gestellt werden könnten.

Von einer offenen Debattenkultur, die Ausdruck einer freiheitlichen Gesellschaft ist, sind wir entfernter denn je. Zum Schaden unserer Demokratie, denn extreme Kräfte bekommen in einem solchen Klima leicht Oberwasser. Umso wichtiger ist es, dass die Politik die Probleme offen anspricht und nichts schönredet.

Aber das gilt nicht nur für die Politik. So haben sich einzelne Persönlichkeiten aus der Wirtschaft nicht mit Ruhm bekleckert, als sie den Eindruck erweckten, dass Flüchtlinge die Fachkräftelücke schließen könnten. Ein Blick auf die Fakten entlarvt solches Reden als Wunschtraum: Die überragende Mehrheit der Flüchtlinge beherrscht unsere Sprache nicht, berufliche Qualifikationen fehlen. Die Integration in den Arbeitsmarkt ist das A und O. Aber sie ist eben nicht zum Nulltarif zu haben.

Das wissen nicht zuletzt auch die freiwilligen Helfer, ohne deren Engagement das staatliche System bereits kollabiert wäre. Von ihnen sind sie zu hören, die unbequemen, aber ehrlichen Fragen: Wie sollen wir es schaffen, so schnell winterfeste Unterkünfte zur Verfügung zu stellen? Wo sollen so schnell die Lehrer herkommen, die den Flüchtlingen die deutsche Sprache und Kultur vermitteln?

Zufriedenstellende Antworten gibt es darauf nicht. Zugleich stoßen schon jetzt viele Kommunen an die Grenzen ihrer Aufnahmefähigkeit. Jeder weiß: Kein Land der Welt ist in der Lage, auf Dauer einen so großen wie unkontrollierten Zuzug von Menschen zu verkraften. Wir brauchen dringend eine Begrenzung. Dazu sind die Fluchtursachen zu bekämpfen und durch Maßnahmen zu flankieren, die den Zielländern kurzfristig Erleichterung bringen. Eine effektive Grenzsicherung ist unabdingbar – am besten auf europäischer, notfalls auf nationaler Ebene.

Deutschland braucht jetzt eine Atempause. Damit wir uns auf das konzentrieren können, was am
dringendsten ist: die Integration der Flüchtlinge, und zwar basierend auf dem Prinzip des Förderns und Forderns. Wenn wir hier versagen, droht unser Staat in seinen Grundfesten erschüttert zu werden. Soweit darf es nicht kommen."