„Wir müssen uns auf erhebliche Wohlstandsverluste einstellen“

Datum des Artikels 16.04.2020
MittelstandsMagazin

Friedrich Merz hat das Coronavirus am eigenen Leib erfahren. Am letzten Tag seiner Quarantäne spricht der Kandidat für den CDU-Vorsitz mit Mittelstandsmagazin-Chefredakteur Thorsten Alsleben über das Virus, die wirtschaftlichen Folgen und den parteiinternen Wettstreit.

Herr Merz, wie geht es Ihnen?

Merz: Danke, gut. Wobei: Mir ging es nie richtig schlecht. Aber inzwischen sind auch die Grippe-Symptome weg, die ich hatte.

Sie waren der erste CDU-Spitzenpolitiker, bei dem Corona nachgewiesen wurde. Was war das für ein Gefühl, als Sie die Diagnose bekommen haben?

Ich hatte schon leichte Symptome. Insofern wusste ich, auf was ichmich einzustellen habe. Es ist dann zum Glück auch nicht wesentlich schlimmer geworden, aber es hat länger gedauert, als ich dachte. Ich hatte zum Schluss einen ziemlich lästigen Schnupfen. Der ist dann aber auch nach ein paar Tagen verschwunden. Angst hatte ich nie.

Haben Sie sich auch gefragt: Warum fahren wir die ganze Weltwirtschaft runter für etwas, das sich relativ harmlos anfühlt?

Naja, was sich bei einem persönlich harmlos anfühlt, muss ja nicht für die ganze Menschheit harmlos bleiben. Insofern waren die Entscheidungen richtig, die die Staaten getroffen haben, einschließlich der Bundesrepublik Deutschland, jetzt die Verbreitung so weit wie möglich zu strecken und das Gesundheitssystem darauf vorzubereiten, dass es dann eben einen etwas flacheren, aber immer noch dramatischen Verlauf der Erkrankung geben könnte. Man darf nicht von seinem persönlichen Wohl- oder Unwohlbefinden auf die ganze Gesellschaft schließen.

Die Staaten haben ja sehr unterschiedlich reagiert. Singapur zum Beispiel hat sehr früh die Grenzen nach China geschlossen und alle Infizierten und ihre Kontaktpersonen per Datenanalyse aufgespürt und isoliert.

Autoritäre politische Systeme können anders agieren als freie, offene Gesellschaften. Wenn ich von Staatengemeinschaft spreche, dann meine ich vor allem die Staatengemeinschaft der westlichen Welt, der Europäischen Union. Und hier hat es ja doch ein mehr oder weniger gleichgerichtetes Handeln der Regierungen gegeben. Ich denke, es ist auch aus heutiger Sicht richtig gewesen, so zu entscheiden. Man wird aus der Rückschau vielleicht in einigen Punkten zu anderen Ergebnissen kommen. Aber das ist etwas, was wir zu einem späteren Zeitpunkt, wenn die Krise vorbei ist, in Ruhe und Sorgfalt analysieren müssen, um daraus dann auch Schlussfolgerungen für zukünftige Krisen dieser Art zu ziehen. Aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt sehe ich keinerlei Veranlassung für irgendeine Kritik.


14 Tage befand sich Friedrich Merz in Quarantäne. Der CDU-Politiker wurde Mitte März positiv auf das Corona-Virus getestet. Merz sagte alle öffentlichen Termine ab. Für das Telefon-Interview mit dem Mittelstandsmagazin nahm er sich dennoch Zeit.

 

Deutschland hat in einer Woche die Schuldenbremse ausgehebelt, die höchste Neuverschuldung aller Zeiten beschlossen, ein Verstaatlichungsprogramm und die weitreichendste Außerkraftsetzung zivilrechtlicher Regeln beschlossen.War das nötig?

Auch da werden wir erst aus der Rückschau endgültige Antworten geben können. Die Politik muss tagtäglich neu entscheiden, wie sie mit einer sich verschärfenden Lage umgeht. Ich bin der Meinung, dass die Entscheidungen der Bundesregierung richtig waren. Sie müssen allerdings auch zeitlich befristet bleiben und dürfen nicht dazu führen, dass wir nach der Krise plötzlich eine ganz andere Wirtschaftsordnung haben. Alle Maßnahmen müssen deshalb zeitlich eng befristet sein. Die Bundesregierung und auch die Landesregierungen dürfen nichts tun, was die Handlungsspielräume der Zukunft ohne Not weiter einengt. Das wird schon schwierig genug.

In welchen Fällen können Sie sich vorstellen, dass der Staat Unternehmen übernehmen soll – und in welchen nicht?

Wenn man überhaupt Blaupausen hat für die Reaktionen von heute, dann sind es die Erfahrungen aus der Finanzkrise von 2009. Die US-Regierung hat damals eine große Zahl von Banken in die Insolvenz gehen lassen. Und diejenigen, die als systemrelevante, große Banken identifiziert worden sind, wurden zwangsrekapitalisiert und sind heute stärker denn je. Ich erinnere deshalb daran, weil wir es mit unseren Banken damals anders gemacht haben – mit allen Folgen, die das bis heute hat. Das sollten wir mit der Industrie während und nach Corona so nicht wiederholen. Wenn man heute zum Beispiel in Unternehmen der Luftfahrtindustrie so interveniert, dann dient dies dem Ziel, diese Unternehmen zu erhalten und sie mit einer Kapitaldecke auszustatten, die ihnen die Wettbewerbsfähigkeit nach der Krise erlaubt. Das ist das Motiv, das man akzeptieren kann und muss.

Es gibt Anzeichen, dass chinesische Investoren, aber auch amerikanische Hedgefonds den Wertverlust von an sich gesunden Mittelständlern nutzen wollen, um diese günstig zu erwerben. Bräuchten wir für solche Fälle eine vorübergehende Verschärfung der Außenwirtschaftsverordnung?

Auch da gibt es Erfahrungen aus der Finanzkrise, die genau zu diesem Ergebnis führen würden. Die Europäer sollten sich darauf verständigen, dass es solche Krisengewinne nicht geben darf. Wenn das auf europäischer Ebene nicht möglich ist, dann muss auf nationaler Ebene gehandelt werden. Ich bin der Meinung, dass die Außenwirtschaftsverordnung jetzt so angewendet werden muss, dass Unternehmen aller Größenordnungen vor Beteiligungen oder gar Übernahmen hinreichend geschützt werden.

Ausgangsbeschränkungen, Firmenpleiten, Arbeitslosigkeit und dann die massiven Subventionen des Staates:Wie lange halten wir das durch?

Das ist schwer zu sagen. Die Nervosität hat ja schon am dritten oder vierten Tag des Shutdowns begonnen, und die Rufe nach Exit-Strategien werden täglich lauter. Ich denke, dass es jetzt zunächst einmal wichtig ist, aus rein gesundheitspolitischer Sicht die Krise so zu bewältigen, dass sie uns nicht über den Kopf wächst. Danach muss natürlich relativ schnell das normale Leben wieder anfangen. Aus meiner Sicht ist die entscheidende Frage:Wann öffnen unsere Schulen wieder? In dem Augenblick, wo Kindergärten, Kitas und Schulen ihren normalen Betrieb wieder aufnehmen, muss parallel dazu auch das normale Wirtschaftsleben wieder in Gang kommen. Aber das zu entscheiden wird eine schwierige Gratwanderung.



Das heißt, die Wirtschaft sollte stufenweise hochgefahren werden?

Das wird gar nicht anders gehen. Denn auch die Unternehmen, die jetzt heruntergefahren worden sind, können nicht von einem Tag auf den anderen wieder in Volllast gehen.

Werden wir am Ende dieser Krise spürbare Wohlstandseinbußen haben?

Es wird den Eigentümern der Unternehmen schlechter gehen, alleine weil in der Krise ein erheblicher Teil des Eigenkapitals verbraucht wurde. Es wird den Aktionären der börsennotierten Aktiengesellschaften schlechter gehen, und es wird natürlich auch dem ganzen Land schlechter gehen. Die Zahl der Arbeitsplätze wird geringer, die Zahl der Arbeitslosen wird größer. Die Zahl der Unternehmen, die in die Insolvenz gehen müssen, wird zwangsläufig größer werden. Wir müssen uns erstmals seit vielen Jahrzehnten auf wirklich erhebliche Wohlstandsverluste für die ganze Gesellschaft einstellen.

Wird denn auch etwas besser sein?

Ja, zum Beispiel in der menschlichen Kommunikation, der Wert auch des persönlichen Austausches, der Wert der Nachbarschaftshilfe, der Wert unserer sozialen Institutionen, der Wert unseres Gesundheitssystems. Ich denke, wir werden in eine Zeit neuer Wertschätzung kommen. Wir erkennen plötzlich, dass Dinge, die als selbstverständlich galten, so selbstverständlich gar nicht sind. Und das könnte ein enormer Zugewinn an sozialem Kapital für diese Gesellschaft bedeuten.

Was muss die Politik machen, wenn diese Krise weitgehend überwunden ist? Was sind dann die ersten Aufgaben?

Die Maßnahmen, die ergriffen worden sind, müssen irgendwann auch wieder zurückgenommen werden. Der Lockdown kann kein Dauerzustand bleiben. Es muss der Bevölkerung vermittelt werden, dass die Eigenverantwortung der Unternehmen, aber auch die eigene Verantwortung der Arbeitnehmer in Deutschland sukzessive wieder im Vordergrund steht. Der Staat kann nicht auf Dauer eine paternalistische Haltung einnehmen. Wir müssen uns damit abfinden, dass viele Dinge nicht mehr selbstverständlich sind. Das geht bis hin in den Bereich der sozialen Leistungen, die man neu justieren muss, damit klar wird, dass man den wirklich Bedürftigen helfen muss, aber eben nicht allen helfen kann. Das wird eine ganz schwierige Gratwanderung für die Wirtschaftspolitik und für die Sozialpolitik werden in den nächsten Monaten, vielleicht in den nächsten Jahren. Aber darin liegt auch eine große Chance, dass wir uns nämlich wieder auf den wesentlichen Kern sozialstaatlicher Aufgaben besinnen. Wir werden manches, an das wir uns gewöhnt haben, nicht aufrechterhalten können. Wir können uns nicht mehr alles leisten in den nächsten Jahren und Jahrzehnten.

Ist die Grundrente damit jetzt passé?

Meine Meinung zur Grundrente ist hinlänglich bekannt. Die Koalition muss die Grundrente jetzt so oder so zu Ende bringen. Es sollten dann aber wenigstens die Voraussetzungen erfüllt sein, die von den Koalitionspartnern formuliert worden sind, wenn man sie denn tatsächlich auch beschließt. Aber ein ungutes Gefühl bleibt.

Wie geht es jetzt mit dem Wettbewerb um den CDU-Vorsitz weiter?

Wir haben einen Stillstand verabredet bis mindestens Ende April. Ich rechne damit, dass der innerparteiliche Wahlkampf auch danach noch mehrere Wochen lang nicht wieder aufgenommen wird. Möglicherweise werden wir dadurch erst auf dem regulären Parteitag im Dezember eine Entscheidung treffen. Dementsprechend wird der innerparteiliche Wettbewerb um den Parteivorsitz der CDU später beginnen. Aber dies ist etwas, was im Augenblick weder für die Betroffenen noch für die Beteiligten insgesamt im Vordergrund steht. Die Bevölkerung in Deutschland wartet jetzt auf viele Antworten, aber nicht in erster Linie auf diese.



Ihr Mitbewerber Armin Laschet ist in einem Regierungsamt und kann sich als Macher präsentieren. Beeinflusst die Corona-Krise Ihre Wahlchancen?

Corona beeinflusst alles. Die Frage ist nur, in welche Richtung. Deswegen ist es aus meiner Sicht viel zu früh, darüber ein Urteil abzugeben. Ich rechne auch nicht in den Kategorien: Hilft mir das oder schadet mir das? Entscheidend ist jetzt, dass jeder an seinem Platz das tut, was er kann, um zu helfen, diese Krise zu bewältigen.

Was könnte ein möglicher Slogan einerWahlkampagne 2021 mit Friedrich Merz sein? 
 

Darüber werde ich mir erst Gedanken machen, wenn es soweit ist. Das Jahr 2021 und der Bundestagswahlkampf, der vielleicht im Herbst stattfindet, sind aus heutiger Sicht so weit weg, dass ich, ehrlich gesagt, noch überhaupt keine Idee habe, welches Thema dann möglicherweise im Vordergrund stehen könnte. Es gilt jetzt, gemeinsam die Corona-Krise zu meistern.

Wissen Sie schon, wer Ihr Wunsch-Generalsekretär oder Ihre Wunsch- Generalsekretärin ist?

Ich habe dazu gewisse Vorstellungen, aber noch keine endgültige Entscheidung getroffen. Und ehrlich gesagt ist auch diese Frage für mich mit Blick auf die dramatische Lage in unserem Land im Moment völlig nebensächlich.

Beantworten Sie die folgenden Fragen bitte nur mit Ja oder Nein. Sie haben einen Joker. Hätten Sie Verständnis, wenn jemand das derzeitige Erscheinungsbild der Großen Koalition als „grottenschlecht“ bewertet?

Nein.

Haben Sie im Februar zumindest schon für möglich gehalten, dass die Corona-Krise solche massiven Auswirkungen auf Deutschland haben könnte?

Nein.

Wird Deutschland schneller und besser aus der Krise herauskommen als andere Länder?

Ja.

Werden beim nächsten mit Coronavergleichbaren Virus solche einschneidenden Maßnahmen wie jetzt wieder nötig sein?

Joker.

Würde Jens Spahn auch bei einem Kanzler Merz eine wichtige Rolle spielen?

Ja.

Kann die Union bei der nächsten Bundestagswahl die 40-Prozent- Marke überwinden?

Ja.

Bitte vervollständigen Sie folgenden Satz: Wenn ich nach der Krise ein Unternehmen gründen würde…

… würde ich Mundschutzmasken und Schutzbekleidung herstellen.

 

Friedrich Merz (64) kandidiert erneut mit Unterstützung des MIT-Bundesvorstands für den CDU-Parteivorsitz, auch wenn die Kandidaten derzeit wegen der Corona-Krise den Wettbewerb ausgesetzt haben. Der Rechtsanwalt und frühere Richter begann seine politische Laufbahn 1989 als Abgeordneter des Europäischen Parlaments. 1994 wechselte er in den Deutschen Bundestag, wo er von 2000 bis 2002 die CDU/CSU-Fraktion in der Opposition anführte. 2009 wechselte der Sauerländer in die Wirtschaft, um als Anwalt und Unternehmensberater zu arbeiten. Von 2009 bis 2019 war der Hobbypilot Vorsitzender der Atlantik-Brücke. Seit 2019 ist er Vizepräsident des Wirtschaftsrates der CDU. Merz ist verheiratet und Vater von zwei Töchtern und einem Sohn.

 

Dieser Artikel erschien im Mittelstandsmagazin (Ausgabe 2-2020)