Zukunft der Altersvorsorge

Datum des Artikels 23.09.2022
MittelstandsMagazin

Warum es mehr als nur eine Säule braucht

Es ist allen klar, dass es ein ‚Weiter so‘ in der Rentenpolitik nicht geben darf. Die Grenzen der Belastbarkeit von Arbeitgebern und Arbeitnehmern sind erreicht“, sagt Michael Littig, MIT-Bundesvorstandsmitglied und Mitglied des CDU-Bundesfachausschusses Soziale Sicherung und Arbeitswelt. Das Fundament des Generationenvertrags sei nicht stark genug, um das Ungleichgewicht zwischen immer mehr Rentenbeziehern und -einzahlern zu tragen. Schon heute werde die gesetzliche Rente mit mehr als 112 Milliarden Euro jährlich aus Bundesmitteln bezuschusst.
Die MIT-Kommissionen Arbeit/Soziales/Familie und Steuern/Haushalt/Finanzen haben deshalb eine Projektgruppe zum Thema Altersvorsorge gebildet. Erste Eckpunkte liegen bereits vor. „Damit langfristig die Beitragssätze aller Sozialversicherungszweige unterhalb der 40-Prozent-Marke gehalten werden können, braucht es grundlegende Reformund Konsolidierungsansätze“, heißt es in einem ersten Arbeitsentwurf. Die Projektgruppe fordert eine grundlegende Neuausrichtung der Altersvorsorge. Diese könne künftig nur mit drei starken Säulen funktionieren: der gesetzlichen Rentenversicherung, der betrieblichen und der privaten Altersvorsorge.

Kapitaldeckung nicht auf Pump

Eine kapitalgedeckte Rente oder eine Aktienrente, wie sie die FDP derzeit plant, sieht Littig skeptisch: „Die Gedankenspiele, eine kapitalgedeckte Komponente im Bereich der staatlich verantworteten Vorsorgelösungen zu entwickeln, stellen für die aktuellen Herausforderungen absolut keinen Lösungsansatz dar.“ Erst langfristig, das hieße auf Sicht von mindestens 30 bis 70 Jahren, könnten Kapitaldeckungsansätze im staatlichen Bereich Optionen bieten, so Littig: „Wobei bei allen diskutierten Modellen zahlreiche ordnungspolitische Fragen noch nicht geklärt sind. Es ist auch grundsätzlich die Frage, ob der Staat Kapitalanlage-Management mit allen Implikationen betreiben soll oder darf und auch für mögliche Risiken gerade stehen kann. Ohnehin: Eine schuldenfinanzierte Kapitalanlagelösung ist grundsätzlich auszuschließen“, sagt der IT-Unternehmer, der viele Jahre die MIT-Kommission Arbeit und Soziales geleitet hat. 
Die Politik war in den letzten Jahren geneigt, das Leistungsspektrum der gesetzlichen Rentenversicherung kontinuierlich auszuweiten. Die langfristige Finanzierung dieser Leistungsausweitungen müssen aber kommende Generationen leisten. Um künftige Beitragszahler nicht zu überlasten und vor politischen Begehrlichkeiten zu schützen, muss nach Ansicht der Projektgruppe das Prinzip der Generationengerechtigkeit in der Rente institutionell gestärkt und grundgesetzlich verankert werden. 

Rentenalter an Lebenserwartung koppeln

Dabei ist für viele Experten die Anpassung der Regelaltersgrenze das zentrale Element, um die gesetzliche Rente finanzierbar zu halten. Als gerecht und erklärbar gilt die Kopplung der Regelaltersgrenze an die Lebenserwartung im Verhältnis 3:1 ab 2031. Die steigende Lebenserwartung muss beim Renteneintritt berücksichtigt werden, weil die Menschen länger gesund sind und zugleich der Gesundheitsschutz in der Arbeitswelt eine größere Rolle spielt. Für Beschäftigte mit besonderen Belastungen sollte es Sonderregelungen geben, die sie nicht benachteiligen. 
Derzeit plant die Bundesregierung, den Einnahmedefiziten durch einen einmaligen Kapitalstock in Höhe von zehn Milliarden Euro zu begegnen. Doch für eine ernsthafte Finanzierung müsste der Kapitalstock jährlich aufgebaut werden. „Für die Babyboomer kommt diese Rente zu spät. Diese Generation hätte man vor 20 oder 30 Jahren vorwarnen müssen. Eine kapitalgedeckte Rente ist nur für die Jungen eine Lösung. Für die Alten gibt es nichts“, sagt der Ökonom Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen von der Universität Freiburg. 
Es gibt außerdem keine Garantie, dass sich eine Bundesregierung nicht aus diesen Mitteln behilft, um andere Vorhaben zu finanzieren. Auch für die Risiken eines staatlich organisierten Kapitalstocks – bei negativen Renditen und gleichzeitig hoher Inflation – gibt es keine Lösung. Die Mittel für den Kapitalstock können ohnehin nur aus Steuermitteln oder über Schulden finanziert werden.

Anreize für längeres Arbeiten

Wer vor oder nach der Regelaltersgrenze in die Rentenphase eintritt, erhält derzeit besondere Abschläge oder Zuschläge. Um Anreize für längeres Arbeiten zu setzen und somit dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, sollte der bisherige Zuschlag bei späterem Renteneintritt erhöht werden. Allgemein muss ein früherer oder späterer Renteneintritt versicherungsmathematisch gerechter abgebildet werden. 
Außerdem verspricht die Bundesregierung, dass das Rentenniveau über Jahrzehnte bei 48 Prozent stabil bleibt. „Das Rentenniveau bis auf alle Ewigkeit bei 48 Prozent zu halten, hieße, dass wir jetzt vernachlässigen, dass die künftigen Rentner nicht die Kinder bekommen haben, die wir dazu bräuchten“, sagt Raffelhüschen. 
Dies betrifft nicht nur Arbeitnehmer, sondern auch Selbstständige. Rund die Hälfte aller Selbstständigen hat Ansprüche an die gesetzliche Rentenversicherung. Sie sollen auch in Zukunft eine echte Wahl haben zwischen der gesetzlichen Rentenversicherung und anderen Vorsorgearten. Dazu zählt die Einführung eines aktienbasierten Vorsorgekontos, das ein insolvenz- und pfändungssicheres Vorsorgedepot mittels Wertpapieren ermöglicht.

Mehr betrieblich vorsorgen

Neben der gesetzlichen Rentenversicherung bieten zahlreiche Arbeitgeber ihren Mitarbeitern Unterstützung in der Altersvorsorge an. Die betriebliche Altersvorsorge bildet somit die zweite Säule. So ist nach Ansicht der MITProjektgruppe das neue Sozialpartnermodell ein attraktives und renditestarkes Vorsorgemodell für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Damit alle Beschäftigten davon profitieren können, soll dieses Modell auch für nicht-tarifgebundene Unternehmen offenstehen. Hindernisse bei der Etablierung bereits beschlossener Sozialpartnermodelle sollten schnell beseitigt werden. Besonders für Geringverdiener ist es oft schwierig, für das Alter vorzusorgen. „Gerade bei Personen mit großen Sorgen um ihre Altersabsicherung – nämlich denjenigen mit geringerem Einkommen – sind private und betriebliche Altersvorsorge allerdings unterdurchschnittlich verbreitet“, sagt die Ökonomin Dr. Ruth Schüler vom Institut der deutschen Wirtschaft. Die mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz eingeführte Geringverdienerförderung ermöglicht gerade einkommensschwachen Beschäftigten eine betriebliche Altersvorsorge mit geringem Aufwand für den Arbeitnehmer und steuerlichen Anreizen für den Arbeitgeber. Dieses Modell ist für Geringverdiener unterhalb der Einkommensgrenze sehr attraktiv und sollte verpflichtend mit einem Obligatorium ermöglicht werden. Dabei sollte der Förderhöchstbetrag von jährlich 288 Euro dynamisch und kontinuierlich angepasst werden.

Kosten und Bürokratie abbauen

Die Akzeptanz der betrieblichen Altersvorsorge hängt stark von den Arbeitgebern ab. Deshalb ist es entscheidend, die Lasten durch Kosten und Bürokratie zu entfernen – etwa das neue Nachweisgesetz für Arbeitgeber –, und die Haftung in Grenzen zu halten. Zur weiteren Stärkung der Akzeptanz ist es erforderlich, dass auf Betriebsrenten zukünftig nur noch der halbe Beitrag zur Kranken- und Pflegeversicherung (Arbeitnehmeranteil) gezahlt werden muss.
Als dritte Säule fungiert die private Altersvorsorge. Diese ist vielseitig und lässt sich individuell auf die Bedürfnisse des Vorsorgenden anpassen. „Die Riester-Rente erfüllt als einziges staatliches Altersvorsorgeprodukt die Anforderungen aller Bevölkerungsschichten und ist überall gleichermaßen akzeptiert“, sagt Jana Schimke, stellvertretende MIT-Vorsitzende und Co-Vorsitzende der MIT-Kommission Arbeit, Soziales und Familie. „Mit rund 16 Millionen Verträgen konnte sie vielen Beschäftigten eine gute Ergänzung zur gesetzlichen Rente bieten. Nach 18-jährigem erfolgreichem Bestehen müssen jedoch die Rahmenbedingungen reformiert und vereinfacht werden“, fordert sie.

Familien-Rente statt Riester-Rente

Schimke schlägt eine Umwandlung der Riester-Rente in eine Familien-Rente vor: „Dazu gehört die Ausweitung des Kreises der Förderberechtigten auf alle einkommenssteuerpflichtigen Personen. Die Höhe der Kinderzulage wird einheitlich unabhängig vom Zeitpunkt der Geburt auf 300 Euro pro Kind festgelegt.“ Mit Blick auf die Inflation sollten die staatlichen Zulagen jährlich angehoben und dynamisiert werden. „Zur Reduzierung der Komplexität muss der Weg zu einer reinen Zulagenförderung und ein Verzicht auf den Sonderausgabenabzug beschritten werden“, so Schimke.
Aufgrund des langjährigen Niedrigzinsumfelds und der Verpflichtung einer 100-Prozent-Garantie sind die Renditeaussichten privater und betrieblicher Vorsorgeformen eingeschränkt. Sie verhindern die Vorsorgebemühungen der Bürger. Um den Sparern wieder eine Zukunftsperspektive zu bieten, muss nach Schimkes Ansicht eine Abweichung von der 100-Prozent-Beitragsgarantie möglich sein. Durch steuerrechtliche Änderungen kann die Vermögensbildung belebt und weitaus besser befördert werden. Deshalb sollte der Sparerpauschbetrag aus Sicht der Projektgruppe schnellstmöglich auf 4.500 Euro angehoben und kontinuierlich angepasst werden. Ebenso sollen die Arbeitnehmersparzulage und der Höchstbetrag für vermögenswirksame Leistungen angehoben werden.

Mitarbeiter besser beteiligen

Auch Aktienanlagen und Immobilien sind ein wichtiger Baustein in der Altersvorsorge und im Vermögensaufbau. Die Anzahl der Deutschen, die sich mit Aktien beschäftigen, steigt. Chancensuche und Alternativlosigkeit angesichts des bisherigen Zinsumfelds treiben vor allem jüngere Bundesbürger an. Diese Entwicklung gilt es durchAuch Aktienanlagen und Immobilien sind ein wichtiger Baustein in der Altersvorsorge und im Vermögensaufbau. Die Anzahl der Deutschen, die sich mit Aktien beschäftigen, steigt. Chancensuche und Alternativlosigkeit angesichts des bisherigen Zinsumfelds treiben vor allem jüngere Bundesbürger an. Diese Entwicklung gilt es durch frühzeitige Information und Schulung in den Bildungseinrichtungen positiv zu begleiten. 
Die Beteiligung von Mitarbeitern am eigenen Unternehmen stärkt die Bindung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Sie steigert die Produktivität und ermöglicht die Teilhabe des Einzelnen am Erfolg des gesamten Unternehmens. Die Verdopplung des Freibetrags von jährlich 360 auf 720 Euro war unter der unionsgeführten Bundesregierung ein wichtiger Schritt. Um die Attraktivität der Mitarbeiterkapitalbeteiligung zu verbessern, sollte der Freibetrag schrittweise auf 5.000 Euro im Jahr erhöht werden. Damit würde Deutschland an andere europäische Länder anschließen und gleichzeitig auch eine Grundlage zur Förderung der Startups ermöglichen.

Weg zum Eigenheim erleichtern

Für ein selbstbestimmtes Wohnen bis ins hohe Alter ist die eigene Immobilie die beste Wertanlage und Altersvorsorge. Doch steigende Baukosten, hohe Baunebenkosten, lange Verfahren und Bürokratie sowie die viel zu geringen Fördermöglichkeiten erschweren den Weg zum Eigenheim. Um dem zu begegnen, muss den Ländern ermöglicht werden, beim Ersterwerb des Eigenheims ein Freibetrag bei der Grunderwerbssteuer von 250.000 Euro pro Erwachsenen und 150.000 Euro pro Kind einzuführen. Auch sollten Zuschussprogramme für den altersgerechten und barrierefreien Umbau – insbesondere über KfW-Programme – ausgebaut werden. Der Bausparvertrag und der Wohn- Riester (künftig: Wohn-Familien-Rente) müssen als Finanzierungsmöglichkeiten wieder attraktiver werden, indem die Arbeitnehmersparzulage, die Wohnbauprämie, Zulagen und der Förderhöchstbetrag angehoben werden.

Verteilung der Lasten auf alle Säulen

Die drei Säulen bieten also viele Möglichkeiten der Altersvorsorge. Essentiell ist die Verteilung der Lasten auf die verschiedenen Vorsorgearten. Denn wenn wir weiterhin nur die erste Säule belasten und keine Entlastung oder Stützpfeiler bauen, wird das gesamte System zusammenbrechen. Denn eine einzelne Säule kann nie ein gesamtes Konstrukt tragen, auch nicht, wenn sie noch vor wenigen Jahrzehnten so sicher schien.