"Erneuerbare Energien müssen ohne Subventionen auskommen"

Datum des Artikels 08.11.2018

Peter Altmaier ist erst der dritte CDU-Wirtschaftsminister nach Ludwig Erhard (1949 bis 1963) und dem MIT-Gründer Kurt Schmücker (1963 bis 1966). Mit der Stärkung von Mittelstand und Industrie und den Mammutprojekten Energiewende und Digitalisierung steht der Minister vor großen Aufgaben. Im Interview mit Mittelstandsmagazin-Chefredakteur Thorsten Alsleben spricht sich Altmaier für eine Soli-Entlastung für alle aus.

Herr Altmaier, was war Ihr bisher größter Erfolg als Wirtschaftsminister im Sinne der Wirtschaft?

Peter Altmaier: Noten vergeben – das ist meine Sache nicht. Ich kann Ihnen aber sagen, was meine Maßgabe als Bundesminister für Wirtschaft und Energie ist: Vollbeschäftigung, mehr Teilhabe am Wohlstand, Innovationsfähigkeit und Entlastung von Bürgern und Unternehmen. Es gibt viel zu tun, wenn Deutschland auch künftig so erfolgreich bleiben will, wie es das bisher war. Das erste halbe Jahr meiner Amtszeit war geprägt von zahlreichen Gesprächen und Reisen, mit dem Ziel, einen eskalierenden Handelskonflikt mit den USA zu vermeiden und das ist uns bislang gelungen. Das ist durchaus ein Erfolg. Denn Zölle bremsen Handel und Wachstum und verteuern Preise. Im Vordergrund der letzten Monate standen zudem unsere Bemühungen, die Gespräche zwischen Russland und der Ukraine bezüglich eines künftigen Gastransfers durch die Ukraine sowie den dringend erforderlichen Stromnetzausbau in Deutschland voranzubringen. Dazu habe ich mir in Gesprächen, Netzgipfeln und einer Netzreise an die Hotspots des Netzausbaus die Lage genau angesehen und Vorschläge für mehr Tempo beim Ausbau vorgelegt, die gerade innerhalb der Bundesregierung beraten werden. Das wird Kosten sparen. Das dafür wichtige Netzausbaubeschleunigungsgesetz ist auf den Weg gebracht. Auch beim Thema Innovationen muss unsere Wirtschaft unterstützt werden, daher bin ich mit dem Finanzminister in Gesprächen über eine steuerliche Forschungsförderung und habe gemeinsam mit der Forschungsministerin eine Agentur für Sprunginnovationen gegründet. Denn Zukunftsthemen wie Künstliche Intelligenz oder Batteriezellfertigung entscheiden über unseren künftigen Wohlstand. Auch der gemeinsame Entwurf für ein Fachkräftezuwanderungsgesetz hat dazu beigetragen, dass die Debatte versachlicht wurde, dass wir eine Chance haben, die Fehler der 70er und 80er Jahre zu vermeiden und trotzdem dafür zu sorgen, dass die Wirtschaft wieder über ausreichend qualifizierte Fachkräfte verfügt. Nicht zuletzt ist es uns gelungen, über den Koalitionsvertrag hinaus den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung um 0,5 Prozentpunkte und nicht wie ursprünglich vorgesehen nur 0,3 Prozentpunkte zu senken. Das sind einige der Meilensteine.

Die Bundeskanzlerin hat Ihr Ministerium das „Kraftzentrum der Sozialen Marktwirtschaft“ genannt. In Unternehmen und Wirtschaftsverbänden ist man bislang eher enttäuscht. Können Sie die Enttäuschung verstehen?

Ich verstehe, dass man gerne jeden Tag neue, einfache Lösungen hätte – jedoch lässt sich das für die meisten unserer heutigen komplexen Probleme so nicht darstellen. Als Bundeswirtschaftsminister habe ich ein ganz klares Ziel: Ich will die Soziale Marktwirtschaft, die über Jahrzehnte Garant für den wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes war, modernisieren und fit machen für die Zukunft. Mir ist dabei klar: Die Soziale Marktwirtschaft braucht Unternehmer, die Ideen haben und dafür auch Risiken eingehen und investieren. Investitionen fallen aber nicht vom Himmel, sondern sind wohlüberlegte und langfristige Entscheidungen. Wir müssen daher unseren Unternehmen Planungssicherheit geben – nur dann werden sie auch hier weiter investieren und Arbeitsplätze schaffen. Für mich gehört zur Planungssicherheit zum Beispiel das klare Bekenntnis, dass die Sozialausgaben langfristig nicht über 40 Prozent steigen werden. Ich werde daher als Wirtschaftsminister keiner Entscheidung zustimmen, die die Balance der Sozialen Marktwirtschaft zuungunsten der Unternehmerinnen und Unternehmer verschiebt. Zudem werde ich gemeinsam mit den Wirtschaftsverbänden sprechen, um unsere Industrie zu stärken und unsere Unternehmen zu entlasten. Auch der Schutz unserer kritischen Infrastrukturen vor dem Ausverkauf durch ausländische Investoren gehört dazu. Auch da befindet sich mein Vorschlag zur Aktualisierung unseres Außenwirtschaftsrechts gerade in der Abstimmung mit den anderen Ressorts. Kurz: Vieles ist auf den Weg gebracht, vieles bleibt zu tun. Und meine Tür steht immer offen für Vorschläge und Sorgen aus dem Mittelstand.

Die Große Koalition will den Anteil der Erneuerbaren von jetzt 36 auf 65 Prozent im Jahr 2030 erhöhen. Wie teuer wird das für die Stromverbraucher? Und: Was sagen Sie Mittelständlern, die sich darüber beklagen, dass Deutschland mittlerweile die höchsten Strompreise in der EU hat?

Wir wollen die Energiewende so kosteneffizient wie möglich gestalten. Dabei müssen wir die Versorgungssicherheit und den Strompreis für die Unternehmen und die Verbraucherinnen und Verbraucher fest im Blick haben. Mein Ziel ist es, dass die erneuerbaren Energien in absehbarer Zeit ohne zusätzliche Subventionen auskommen. Dazu müssen sie ein „business case“ werden. Wenn ein Land wie Deutschland mit seiner starken Industrie die Energiewende zum Erfolg bringt, werden wir auch andere Länder davon überzeugen können. Mit der Umstellung auf Ausschreibungen haben wir dafür gesorgt, dass die Kosten für die EEG-Förderung schon erheblich sinken. Wir brauchen zudem geeignete Lösungen, damit auch mittelständische Unternehmen, die viel Strom verbrauchen – ob es nun Bäckereien oder Maschinenbauunternehmen sind – im internationalen Wettbewerb bestehen können. Hierzu werden wir gemeinsam mit der Wirtschaft diskutieren. Ziel muss sein, zunächst die Belastungen für diese Unternehmen nicht weiter steigen zu lassen. Langfristig müssen wir sie sukzessive reduzieren.

Erneuerbaren-Ausbau geht nur mit Netzausbau. Abstrakt sind sich da alle einig. Wenn es konkret wird, wendet man sich vor Ort gegen neue Stromtrassen. Wie können Sie die Länder zu unser aller Glück zwingen?

Wir brauchen den Netzausbau, wenn wir die Energiewende erfolgreich meistern wollen. Schließlich haben sich die Menschen für einen Ausstieg aus der Kernenergie und für den Einstieg in nachhaltige Energieerzeugung entschieden, über den Kohleausstiegspfad wird derzeit noch verhandelt. Für diese Umstellung brauchen wir zügig auch neue Netze. Und zwar aus zwei Gründen: Zum einen muss der Strom vom Windpark in der Nordsee auch in der Ladesäule in Ingolstadt ankommen. Zum anderen kosten uns die bestehenden Netzengpässe viel Geld – 1,4 Milliarden Euro im letzten Jahr. Deshalb habe ich das Thema zur Chefsache gemacht und zum Beispiel im August meinen „Aktionsplan Stromnetz“ vorgelegt. Damit wollen wir den Netzausbau deutlich beschleunigen und bestehende Netze optimieren. Es geht aber nur miteinander! Auf dem Netzgipfel im September habe ich daher eine Allianz mit allen Ländern geschlossen und konkrete Maßnahmen zur Beschleunigung vereinbart. Das jetzt vorgelegte Netzausbaubeschleunigungsgesetz wird den Ausbau schneller machen. Wir dürfen den Netzausbau aber nicht über die Köpfe der Betroffenen hinweg durchsetzen. Oft haben die Leute vor Ort eine bessere Idee davon, wie man das ein oder andere Problem umschiffen kann. Und ich habe auch gelernt, dass man im Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern viele Vorbehalte auch abbauen kann. Deshalb bin ich auf meiner ersten Netzausbaureise zu den Orten gefahren, wo es knirscht. Weitere Reisen zu anderen Hotspots Deutschlands sind fest eingeplant. Außerdem stehe ich im ständigen Austausch mit Bürgerinitiativen, Landbesitzern und Netzbetreibern.


Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und MIT-Hauptgeschäftsführer Thorsten Alsleben im Gespräch

Sehr viele Klagen hören wir auch über die Bürokratie, gerade auch bei Statistikpflichten. Warum müssen eigentlich Unternehmen auch Daten melden, die längst irgendwo bei Behörden gespeichert sind?

Das frage ich mich auch. Es kann nicht sein, dass Unternehmen und Bürgerinnen und Bürger immer wieder Daten an Behörden melden müssen, die an anderer Stelle längst vorliegen. Unternehmen müssen sich auf ihr Geschäft und auf Innovationen konzentrieren können und nicht auf das Ausfüllen von Formularen. Mit dem Bürokratieentlastungsgesetz III wollen wir beim Bürokratieabbau schneller als bisher vorankommen. Das betrifft insbesondere auch Statistikpflichten. Hier erarbeiten wir derzeit mit Experten, auf welche Statistiken wir ganz verzichten und wie wir die Wirtschaftsstatistik durch die Digitalisierung modernisieren können – und so Mehrfacherhebung vermeiden.

Bis heute gibt es Unmut über die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Sie sollte vor allem Google und Facebook treffen, belastet jetzt aber gerade Mittelständler und Ehrenamtler in Vereinen und Parteien. Warum konnte Ihr Haus da bei den Verhandlungen in Brüssel keine Ausnahmen für diese Gruppen heraushandeln?

Die DSGVO ist keine Verordnung für eine bestimmte Zielgruppe und das sollte sie auch nie sein. Sie setzt vielmehr einheitliche und hohe Datenschutzstandards für alle, die in der EU Waren und Dienste anbieten und dabei personenbezogene Daten verarbeiten, das ist weltweit einmalig. Klar ist aber, dass diese Regeln, vor allem auch für kleine Unternehmen und Organisationen, handhabbar sein müssen. Zur Frage der Umsetzung laden wir und das Bundesinnenministerium regelmäßig Verbände und Datenschutzaufsichtsbehörden zu einem Round-Table ein, um durch Erfahrungen aus der Praxis mögliche Anpassungen zu diskutieren. Im Mai 2020 wird die Verordnung zudem erstmalig EU-weit evaluiert. Da wird sich herausstellen, ob sie effektiv ist und innovative Geschäftsmodelle ermöglicht. Sollte sich zeigen, dass Änderungen notwendig sind, wird die EU-Kommission hierzu Vorschläge machen.

In Brüssel wird die E-Privacy-Verordnung verhandelt. Wenn das, was sich andeutet, so käme, würde das für Unternehmen in Deutschland erhebliche Nachteile bedeuten, während die marktbeherrschenden Internetkonzerne aus den USA fein raus wären. Wie können Sie das noch verhindern?

In der Debatte um die E-Privacy-Verordnung wird häufig vergessen, dass wir mit der E-Privacy-Richtlinie bereits heute Vorschriften haben, die die Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation schützen. Es wird also mit der Verordnung bei Weitem nicht alles anders werden. Unser Ziel ist, den Schutz der Privatsphäre aufrechtzuerhalten und gleichzeitig innovative digitale Geschäftsmodelle zu ermöglichen. Wie bei der DSGVO wird auch hier das Marktortprinzip gelten: In der EU angebotene Dienstleistungen sollen alle den gleichen Regelungen unterliegen, auch dann, wenn Anbieter außerhalb der EU ansässig sind. Denn klar ist: Wer auf dem EU-Binnenmarkt – immerhin dem größten gemeinsamen Wirtschaftsraum der Welt – Geschäfte machen möchte, der ist dazu herzlich eingeladen, aber zu unseren Regeln. Das gilt auch in der digitalen Welt.

Wer ist in der Regierung eigentlich Hauptansprechpartner für Digitales? Kanzleramtschef Braun, Staatsministerin Bär, Infrastrukturminister Dobrindt oder Sie?

Das kommt darauf an, worum es geht: Die Digitalisierung betrifft fast alle Lebens- und Wirtschaftsbereiche, sie ist ein absolutes Querschnittsthema und das Zukunftsthema. In vielen Bereichen – von der Gesundheit, über die Mobilität bis hin zur industriellen Produktion – wird die Digitalisierung maßgeblich darüber entscheiden, wie wir zukünftig leben und arbeiten. Daher arbeiten auch alle Ressorts intensiv daran, diese Entwicklung zu gestalten. Unser gemeinsames Ziel ist es, Deutschland fit zu machen für die Digitalisierung, international Vorreiter bei Zukunftstechnologien zu sein und dabei stets die Interessen der Bürgerinnen und Bürger sowie der Wirtschaft und insbesondere der kleinen und mittleren Unternehmen im Blick zu haben.

Bei den Unternehmensteuern ist Deutschland im Vergleich der Industriestaaten trauriger Spitzenreiter. Brauchen wir eine Reform?

Das Wachstum hat in den Vereinigten Staaten durch die Reform stark angezogen. Als Wirtschaftsminister verfolge ich die Entwicklung genau. In Deutschland gehen wir im nächsten Jahr in das zehnte Jahr des Aufschwungs. Und ich will, dass dies noch viele Jahre anhält. Dazu müssen wir uns aber immer aufs Neue die Frage stellen, wie unser Standort attraktiv bleiben kann. Dazu gehören für mich Entlastungen der Unternehmen und unserer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Zusätzliche Haushaltsspielräume müssen wir auch für entlastende Maßnahmen nutzen – für diejenigen, die unseren Wohlstand erst erarbeiten.

Viele Unternehmen ärgern sich, dass der Soli für sie gerade nicht abgeschafft werden soll. Wie stehen Sie zu dem MIT-Antrag zum CDU-Parteitag, den Soli ganz abzuschaffen?

Ich bin ja Delegierter und darf mit abstimmen. Aber das wird jetzt natürlich nicht verraten. Ich habe mich mehrfach dafür ausgesprochen, dass wir bei steigenden Einnahmen des Staates auch Entlastungen vorsehen müssen für die Leistungsträger in diesem Land. Das hat viele Facetten. Dazu gehört die steuerliche Forschungsförderung, dazu gehört die energetische Gebäudesanierung, dazu gehört aber auch der Bereich des Soli. Denn die bisher vereinbarte Lösung bringt zwar eine große Entlastung für sehr viele Menschen in Deutschland, aber schließt auch viele Menschen, insbesondere mittelständische Unternehmer und Handwerker, von diesen Entlastungen aus.

Und das finden Sie nicht gut?

Das finde ich problematisch, weil es auch etwas zu tun hat mit dem Gefühl der Steuergerechtigkeit. Als der Soli eingeführt wurde, waren wir uns einig, dass alle ihren Beitrag leisten müssen. Wenn wir ihn wieder abschmelzen, müsste das Prinzip gelten, dass auch alle entlastet werden. Und dass die Entlastung nicht nur auf eine Gruppe begrenzt wird, und sei sie noch so groß.

Sie befürworten ja eine industriepolitische Initiative für eine nationale Batterieproduktion. Wie ist so eine Staatsintervention mit der Ordnungspolitik nach Ludwig Erhard vereinbar?

Ich bin der tiefen Überzeugung, dass der Staat sich aus der Wirtschaft so weit wie möglich raushalten soll. Es gibt aber Bereiche, da kann der Staat unterstützen und Entwicklungen anschieben. Denken Sie an Airbus. Franz Josef Strauß hat damals als Finanzminister die Initiative ergriffen, aus der kleinteiligen europäischen Flugzeugindustrie den Airbus-Konzern zu schmieden. Heute beliefert Airbus einen großen Teil des Weltmarktes. Ohne diese Initiative hätte Europa nie zu den US-Konkurrenten Boeing und McDonnell-Douglass aufschließen können. Ich möchte mich jetzt nicht mit Franz Josef Strauß vergleichen, aber auch heute gibt es Projekte, bei denen der Staat einen Anstoß geben kann – etwa bei der Batteriezellfertigung oder der Künstlichen Intelligenz. Dabei darf es aber immer nur um einen Anschub gehen, wir wollen keine dauerhaften Subventionen.

Welches Geschäftsmodell hätten Sie eigentlich, wenn Sie ein Unternehmen gründen würden?

Ein Unternehmen aus der Plattformökonomie, aber was, verrate ich nicht.

Damit es keiner wegschnappt?

Genau.

Kommen wir am Schluss zur Satzvervollständigung. Von Ludwig Erhard unterscheidet mich...?

… dass ich keine Zigarren rauche. Und im Übrigen ist Ludwig Erhard unvergleichlich, unerreichbar.


Peter Altmaier (60) ist seit März 2018 Bundesminister für Wirtschaft und Energie. Der Saarländer bringt reichlich Regierungserfahrung mit: Zuvor war er Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramts (2013 bis 2018) und übergangsweise zudem Finanzminister (2017 bis 2018). Sein erstes Ressort war aber 2012 das Umweltministerium. Davor war der Jurist Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsbundestagsfraktion, der er seit 1994 als Abgeordneter angehört. Altmaier ist ledig, bekannt für seine Kochkünste und seine Twitter-Aktivitäten. Neben Englisch und Niederländisch spricht Altmaier fließend Französisch – ganz zur Freude unserer französischen Fotografin Laurence Chaperon, mit der er bei unserem Termin ausgiebig in ihrer Muttersprache plauderte.