So schlecht wie zum Jahresende war die Stimmung im Euro-Raum schon lange nicht mehr. Der Brexit, die weltweiten Handelskonflikte, aber auch die Schuldenpläne Italiens sorgen für Spannungen auf den Märkten. So überraschte es nicht, als das Wirtschaftsforschungsinstitut ifo Anfang November seine Erwartungen kräftig nach unten korrigierte. Der ifo-Klimaindex für das vierte Quartal sackte von 19,6 Punkten auf 6,6 Zähler ab. „Die Konjunktur im Euroraum steuert auf unruhiges Fahrwasser zu“, warnt ifo-Präsident Clemens Fuest. Wegen der globalen Handelskonflikte senkte das Institut auch die Exportprognose. Davon ist besonders Deutschland betroffen.
Wenig Optimismus bei Firmenchefs
Hierzulande ist die Konjunktur auch nach Ansicht des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) eingebrochen. „Die Wirtschaftsleistung in Deutschland dürfte im dritten Quartal um etwa 0,3 Prozent gesunken sein“, teilte das Institut mit. Zuletzt war sie im ersten Quartal 2015 rückläufig. Als Grund werden die Produktionsrückgänge in der exportstarken Automobilindustrie angegeben. Aber auch die zunehmenden Probleme der großen Schwellenländer, in die Deutschland viel exportiert. Dementsprechend getrübt ist die Stimmung unter den deutschen Firmenchefs.
©ifo Institut
Der ifo-Geschäftsklimaindex, für den monatlich 9000 deutsche Unternehmen befragt werden, sank um 0,9 Punkte auf 102,8 Punkte. Es ist der zweite Rückgang in Folge. Die Unternehmen waren nicht nur mit ihrer aktuellen Geschäftslage weniger zufrieden. „Auch der Optimismus mit Blick auf die kommenden Monate nahm ab“, sagt Fuest und erklärt: „Die weltweiten Unsicherheiten bremsen die deutsche Wirtschaft aus.“ Einzig das Bauhauptgewerbe schätzte seine Geschäftslage merklich besser ein. Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands des Baugewerbes, erklärt das vor allem mit dem Immobilien-Boom in Deutschland: „Der Treiber schlechthin ist der Wohnungsbau. Für die gute Auftragslage sorgen aber auch der Investitionshochlauf bei Bundesfernstraßen, diverse Großprojekte bei der Deutschen Bahn und Brückensanierungen“, so das MIT-Mitglied gegenüber dem Mittelstandsmagazin.
Aufschwung verliert an Tempo
Von einem gemischten Bild spricht ebenso das Bundeswirtschaftsministerium. Nachdem im November auch noch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (die „Wirtschaftsweisen“) seine Prognose für 2019 auf 1,5 Prozent senkte, kommentierte das Ministerium: „Der Aufschwung wurde im dritten Quartal nur unterbrochen. Ursache war die WLTP-Problematik in der Kfz-Industrie.“ Damit ist die schleppende Umstellung auf den neuen Abgas-Prüfstand WLTP gemeint, weswegen Autohersteller die Produktion zurückfahren mussten.
Also nur ein temporäres Problem? Das Ministerium setzt auf positive Signale: „Die Konjunktur in der EU blieb im dritten Quartal aufwärtsgerichtet und die amerikanische Wirtschaft boomt. Die Weltwirtschaft befindet sich trotz aller Missklänge im Aufschwung.“ Die gute Entwicklung des Arbeitsmarkts und kräftige Lohnzuwächse sorgten zudem dafür, „dass der private Konsum grundsätzlich eine wichtige Stütze der deutschen Konjunktur bleibt“. Dem Gutachten der Wirtschaftsweisen, dem offiziellen Beratergremium der Bundesregierung, setzt das Ministerium eine eigene Prognose entgegen: Nicht um 1,5 Prozent, sondern um 1,8 Prozent wird die Wirtschaft 2019 wachsen. So oder so: Nach vielen Boom-Jahren verliert die deutsche Wirtschaft derzeit an Tempo.
Wirtschaftsweise für Reformen
Neben den genannten Gründen – Brexit, Handelsstreit, Staatsverschuldung und Autokrise – sehen die Wirtschaftsweisen den Fachkräftemangel und die demografische Entwicklung als weitere Wachstumsbremsen an. „Die ungewisse Zukunft der globalen Wirtschaftsordnung und der demografische Wandel stellen die deutsche Volkswirtschaft vor große Herausforderungen. Deshalb stehen wir vor wichtigen wirtschaftspolitischen Weichenstellungen“, sagte der Chef-Wirtschaftsweise Christoph M. Schmidt bei der Präsentation des Gutachtens in Berlin und führte diese gleich mit aus: Die EU sollte protektionistischen Tendenzen entgegentreten, unter anderem mit Vergeltungsmaßnahmen und neuen Freihandelsabkommen. Deutschland sollte den verschärften internationalen Steuerwettbewerb annehmen und den Solidaritätszuschlag vollständig abschaffen. Weiter empfiehlt der Sachverständigenrat, den Brexit zu verhindern, Grund- und Grunderwerbssteuer zu reformieren, das Gesundheitssystem effizienter zu gestalten (mit Bürgerpauschale), und rät der Europäischen Zentralbank eine „normale Geldpolitik“ an. Ordnungspolitisch sauber empfehlen die Wirtschaftsweisen zudem, auf eine „lenkende Industriepolitik“ zu verzichten – und stoßen damit sogleich auf Widerstand bei Wirtschaftsminister Peter Altmaier. „Die Auffassung, dass sich Wirtschaftspolitik allein auf die Schaffung von Rahmenbedingungen beschränken soll, also die ausnahmslose Ablehnung einer aktiven Industriepolitik, teile ich ausdrücklich nicht“, sagte Altmaier. Es gebe Bereiche, in denen die Politik die Industrie unterstützen müsse, etwa bei der Batteriezellfertigung.
Hohe Steuern gefährden Jobs
Ähnlich äußerte sich Altmaier bereits im Interview mit dem Mittelstandsmagazin (Ausgabe 5-18). Dort auf die in Deutschland vergleichsweise hohen Unternehmenssteuern angesprochen, reagierte er noch zurückhaltend. Wenige Tage nach den Konjunkturprognosen von IfW, ifo, Wirtschaftsweisen und Bundesstatistikamt sagte der Minister dagegen der „Welt am Sonntag“, ein Absenken der Körperschaftsteuer sei „mittelfristig notwendig“. Es sei ein Nachteil und gefährde Arbeitsplätze, dass die Körperschaftsteuer in Deutschland „inzwischen höher als in anderen großen Industrieländern wie USA, Großbritannien und demnächst auch Frankreich“ sei.
MIT-Bundesvorsitzender Carsten Linnemann mahnt deshalb Reformen an. „Gerade weil sich die Wachstumsaussichten eintrüben, müssen wir dem Ratschlag des Sachverständigenrats folgend mehr Reformeifer zeigen und den internationalen Steuerwettbewerb annehmen“, so der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Konkrete Vorschläge für eine große Reform der Unternehmenssteuern hat die MIT auch schon vorgelegt (www.mit-bund.de/steuerreform).
Hubertus Struck
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