
Sandra Schnarrenberger ist eine typische mittelständische Busunternehmerin. Seit siebzig Jahren bedient ihre Gairing Omnibusverkehr GmbH den Busverkehr im bayerischen Neu-Ulm. Ihr Unternehmen hat rund 20 Busse. Wie sie haben die meisten Unternehmen der Branche kleine Flotten und sindlokal gebunden, da sie meist nur bestimmte Linien oder einzelne Verkehrsgebiete bedienen. Sandra Schnarrenberger kennt die Branche und sie kennt Politik: Sie ist Präsidentin des Landesverbands Bayerischer Omnibusunternehmen und war Mitglied im MIT-Bundesvorstand. „Lange Zeit war die Omnibuswirtschaft ein relativ sicheres Geschäftsfeld“, erzählt sie. Zwar sei das Geschäft mit hohen Investitionskosten, vor allem durch die Anschaffung der Busse, verbunden gewesen. „Dadurch waren die Gewinnmargen klein. Gleichzeitig waren die Unternehmen aber langfristig abgesichert. Wer keine groben Fehler machte, konnte davon ausgehen, dass der Vertrag verlängert wird“, so Schnarrenberger. Doch seit einigen Jahren kippt das. Kommunen nehmen den privaten Unternehmen immer mehr Geschäft ab. Dabei, so der Vorwurf der Busunternehmer, werde es meistens teurer für die Bürger und auch die Effizienz leide.
Das erste Problem war eine eigentlich gut gemeinte EU-Vorschrift: Mit der Verordnung 1370 reformierte die Europäische Union die Vergaben von Personenverkehrsleistungen. Wie zuvor in vielen anderen Bereichen geschehen, sollten die Linien des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) künftig europaweit ausgeschrieben werden. Dieses System war für viele EU-Länder gut geeignet. In Frankreich beispielsweise wird der Markt für den ÖPNV von vier großen Unternehmen kontrolliert. Auf einem solchen Markt dient die öffentliche Ausschreibung dem Wettbewerb. Doch für die mittelständischen Verkehrsunternehmen in Deutschland schien die Reform zum Problem zu werden. In den europaweiten Ausschreibungen hätten sie gegen Unternehmen antreten müssen, die ein Vielfaches ihrer Größe haben. Der Verlust der Konzession hätte für viele das Aus bedeutet, da sie ihren einzigen Auftraggeber verloren hätten.
Deutscher Sonderweg
„Auf Europaebene haben viele Abgeordnete der CDU/CSU für Möglichkeiten gekämpft, um den hiesigen Mittelstand zu erhalten“, sagt Schnarrenberger. Bei der Umsetzung der EU-Verordnung in deutsches Recht wurde neben der europaweiten Ausschreibung auch die Möglichkeit der Direktvergabe festgeschrieben. Die Aufgabenträger des ÖPNV, meist sind das Kreise oder kreisfreie Städte, haben seitdem die Möglichkeit, den ÖPNV direkt an ein privatwirtschaftliches Unternehmen zu vergeben. Alternativ können sie den Auftrag auch an ein kommunales Unternehmen vergeben. Das kommunale Unternehmen muss zu 100 Prozent zur Stadt oder dem Kreis gehören. Der Direktvergabe an Private sind allerdings Grenzen gesetzt. Das Auftragsvolumen darf einen geschätzten Jahresdurchschnittswert von einer Million oder eine jährliche Personenverkehrsleistung von 300 000 Kilometern nichtüberschreiten. Bei der Vergabe an ein mittelständisches Unternehmen mit maximal 23 Fahrzeugen sind diese Grenzwerte verdoppelt.
„Mit dieser Regelung waren wir Omnibusunternehmer der Meinung, dass wir unsere Strukturen erhalten können“, berichtet Schnarrenberger. „In den Jahren nach der Reform mussten wir aber feststellen, dass die Aufgabenträger von der Möglichkeit der Direktvergabe an kleine familiengeführte Unternehmen kaum Gebrauch machen.“ Stattdessen bemühen sich die Aufgabenträger, die Direktvergabe vor allem für kommunale Unternehmen anzuwenden. Laut Zahlen des Bundesverbandes der Omnibusunternehmer und der DB Regio Bus wurden zwischen 2008 und 2016 rund 1,2 Milliarden Kilometer im ÖPNV direkt vergeben. 96 Prozent gingen an kommunale Verkehrsunternehmen, vier Prozent an privatwirtschaftliche Unternehmen. Damit war genau das Gegenteil dessen passiert was die Politiker mit der Regelung damals bezweckt hatten: die Direktvergabe an Private wurde die Ausnahme, die an kommunale Unternehmen die Regel.
Pforzheimer Verhältnisse verhindern
Viele Unternehmen nehmen diese Praxis der Aufgabenträger nicht einfach so hin. Der Rechtsanwalt Clemens Antweiler hat schon mehrfach im Auftrag von Verkehrsunternehmen gegen ÖPNV-Vergaben geklagt: „Kommunen und Kreise mit eigenen Verkehrsunternehmen haben natürlich ein Interesse daran, dass ihre Verkehrsunternehmen nicht leer ausgehen.“ Der Fall Pforzheim sei maßgeblich für diese Entwicklung gewesen, berichtet Antweiler: „Dort kam es 2016 dazu, dass die Stadtwerke Pforzheim in allen Vergabeverfahren gegen eine Gesellschaft der DB Regio unterlagen.“ Im kommunalen Bereich habe es einen Aufschrei gegeben – Pforzheimer Verhältnisse müssten unbedingt verhindert werden. Aus Sicht von Antweiler versuchen die Aufgabenträger seitdem „Direktvergaben um jeden Preis“.
Die Aufgabenträger sind bei einer geplanten Direktvergabe verpflichtet, diese im Amtsblatt der EU anzukündigen. „Auf Grund dieser Veröffentlichungen haben einige Verkehrsunternehmen die Rechtsauffassung vertreten, dass eine Direktvergabe nicht zulässig ist, weil es sich bei den jeweiligen Verträgen nicht um eine Dienstleistungskonzession, sondern um klassische öffentliche Dienstleistungsaufträge handelt“, berichtet Antweiler. Normalerweise seien Zuschüssen des Staates an Unternehmen nach EU-Recht verboten. „Für den Sektor Verkehr hat die EU Sonderregelungen geschaffen, da der ÖPNV ohne Zuschüsse nicht organisiert werden kann. Öffentliche Ausschreibungen sind aus beihilferechtlicher Sicht vertretbar, da das Unternehmen gewinnt, welches die geringsten Zuschüsse verlangt“, erklärt Antweiler. Bei der Direktvergabe sei dies anders. Hierbei handele es sich immer um eine Konzession, nicht um einen Auftrag. „Dienstleistungskonzessionen sind aber dadurch gekennzeichnet, dass der Auftragnehmer das wesentliche Betriebsrisiko trägt“, so Antweiler. Wenn der ÖPNV aber von einem kommunalen Unternehmen betrieben wird, liegt das Betriebsrisiko nicht bei der Kommune, sondern beim Steuerzahler. Er muss letztendlich dafür einstehen, wenn das kommunale Unternehmen nicht wirtschaftlich arbeitet. „In der Praxis sind die meisten Verträge im ÖPNV keine Konzessionen, sondern klassische Dienstleistungsaufträge. Die Möglichkeit der Direktvergabe besteht nicht“, erklärt Antweiler und verweist auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 21. März 2019.
Verstaatlichter Markt
Nachdem die Direktvergabe durch das Urteil des EuGH weitgehend ausgeschlossen ist, weichen die Aufgabenträger auf Inhouse-Geschäfte aus. Dabei entfallen die Vorgaben des Vergaberechts. Auch nutzen die Aufgabenträger jede Möglichkeit, um die Laufzeiten der Konzessionen zu erhöhen. Die Höchstlaufzeit für Direktvergaben von Buslinien im ÖPNV liegt eigentlich bei zehn Jahren. Kommen aber noch andere Verkehrsmittel hinzu, etwa Schienenverkehr, kann die Höchstlaufzeit steigen. Antweiler hatte im Auftrag von drei Busunternehmen gegen die Direktvergabe im Verkehrsverbund Rhein-Ruhr geklagt: „Wir reden hier über eine Vertragslaufzeit von 22,5 Jahren mit einem Gesamtvolumen von mehr als 70 Milliarden Euro. Das sind zehn Berliner Flughäfen.“ Dass das Oberlandesgericht Düsseldorf die Direktvergabe dennoch genehmigte, ist für Antweiler unverständlich: „Der europäische Gerichtshof betont in seiner Rechtsprechung, dass Ausnahmeregelungen für Direktvergaben eng auszulegen sind. Was hier passiert, steht in klarem Widerspruch zum EU-Recht.“ Das letzte Wort sei aber noch nicht gesprochen, aktuell liefen mehrere Verfassungsbeschwerden gegen Beschlüsse des Oberlandesgerichts Düsseldorf. „Die EU-Kommission hat schon angekündigt, gegen bestimmte Direktvergaben vorzugehen“, berichtet Antweiler.
Sandra Schnarrenberger hat kein Verständnis für das Verhalten der Aufgabenträger: „Die Entscheidungsträger schirmen ihre kommunalen Unternehmen für über 20 Jahre vor dem Wettbewerb ab. Ihre vor Ort ansässigen Mittelständler schicken sie aber in die europaweiten Ausschreibungen, obwohl sie auch für sie eine Direktvergabe durchführen könnten.“ Ihre Forderung: Die kommunalen Unternehmen dürften sich nicht auf Kosten der Privatwirtschaft ausbreiten. „Kleinunternehmer mit 20 oder 30 Bussen hören reihenweise auf. Um die Missstände rückgängig zu machen, müssen mindestens zehn Prozent der Konzessionen an Mittelständler vergeben werden. Wenn es so weitergeht, wird der ÖPNV endgültig zu einem abgeschotteten, verstaatlichten Markt – mit allen damit verbundenen Folgen“, prognostiziert Schnarrenberger. Sie rechnet vor allem mit steigenden Kosten, die letztendlich die Allgemeinheit zu tragen hätte. Auch die Fahrgäste könnten zu den Leidtragenden zählen: „Die Verkehrsplanung erfolgt nicht mehr nach den Bedürfnissen der Fahrgäste, sondern nach vorgeschriebenen Gesetzen und Regeln. Ich erlaube mir zu sagen, dass wir für unsere Kunden immer der direktere Ansprechpartner waren und auf Kundenwünsche schneller eingegangen sind. Das ist zumindest die Rückmeldung unserer Fahrgäste, auf die ich sehr stolz bin", berichtet sie.
Micha Knodt
Volontär
Dieser Artikel erschien im Mittelstandsmagazin (Ausgabe 2-2020)
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