Dorothee Bär im Interview: „Digitales Bürgerkonto wäre ein Gewinn an Datensouveränität“

Datum des Artikels 19.04.2018
MittelstandsMagazin

Als Digital-Staatsministerin ist Dorothee Bär Deutschlands oberste Digital-Strategin. Mittelstandsmagazin-Chefredakteur Thorsten Alsleben hat mit ihr über ihre neue Aufgabe, den Datenschutz und die MIT-Forderung eines einheitlichen Bürgerportals im Internet gesprochen. Sie ist überzeugt: Digitalisierung wird das Leben für alle besser machen.


Frau Bär, was kann eine Staatsministerin im Kanzleramt, die kein eigenes Ressort hat, mehr in Sachen Digitalisierung erreichen als ein Bundeswirtschaftsminister oder ein Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur?

Dorothee Bär: Vom Kanzleramt aus werden schon immer die verschiedenen Ressorts koordiniert. Die Digital-Staatsministerin kann deshalb das erreichen, was uns fehlt: Koordination und Kooperation. An Kraft mangelte es den einzelnen Ressorts ja schon bisher nicht.

Der Erfolg von Digitalisierung in Unternehmen und in der Politik hängt immer auch davon ab, wie viel die Führung davon versteht. Wie digital denken denn die Bundeskanzlerin und ihre Kabinettskollegen?

Im Kabinett gib es wie überall Kollegen mit mehr und welche mit weniger digitaler Leidenschaft. Die Kanzlerin als Naturwissenschaftlerin und engagierte Verfechterin des Themas ist da auf jeden Fall ganz vorn dabei.

Es ist aber schon beängstigend, wie weit Politik und Verwaltung in ihren Prozessen von digitalen Vorreitern wie Estland und Österreich entfernt sind. Warum sind wir um Jahre hinterher?
Da ist die deutsche Mentalität, dass alles erst einmal bis ins kleinste Detail geregelt und abgesichert  sein muss, ein wesentlicher Faktor. Außerdem sind wir auch Opfer unseres eigenen Erfolgs. Über viele Jahre hat die Verwaltung ja gut funktioniert, da denken sich viele: „Warum dann etwas ändern?“ Estland hatte nach dem Untergang der Sowjetunion einen ganz anderen Handlungsdruck. Aber natürlich hätten wir früher anfangen müssen, die Digitalisierung voranzutreiben. Jetzt ist der Handlungsdruck groß, zum Beispiel in Städten wie Berlin. Plötzlich schafft es die Verwaltung nicht mehr, den Zustrom von Neubürgern zu verarbeiten. Deshalb muss das System im laufenden Betrieb umgebaut werden.

Wie wollen Sie denn in den nächsten drei Jahren alle Bundesministerien, 16 Länder und hunderte Kommunen dazu bewegen, sich auf ein einheitliches Bürgerportal zu verständigen und dort die wichtigsten Dienstleistungen anzubieten? 

Die Erkenntnis, dass etwas passieren muss, ist nach meiner Wahrnehmung bei fast allen Akteuren vorhanden. Aber auch für Kommunen brauchen wir niedrigschwellige Angebote, also Digitalisierungslösungen, die sich schnell und ohne große Risiken implementieren lassen. Ich bin aber sicher, dass die Bürgerinnen und Bürger relativ schnell Druck machen werden, wenn sie sehen, dass man in einer Nachbarkommune sein Kindergeld online beantragen kann und in der eigenen Gemeinde nicht.

Im Moment dürften ja Behörden nicht mal mit dem Einverständnis der Betroffenen ihre Daten an eine andere Behörde weitergeben. Deshalb muss man zum Beispiel bei der Geburt eines Kindes oder bei einer Unternehmensgründung dieselben Angaben für mehrere Behörden immer wieder machen. Wie wollen Sie das bei unseren strengen Datenschutzregeln ändern? 

Indem wir die entsprechenden Gesetze ändern. Wir wollen die Option schaffen, alle Daten nur noch einmal angeben zu müssen. Welche Behörde die Daten wann wofür nutzt, lässt sich dann im Bürgerkonto einsehen. Für mich wäre das ein Gewinn an Datensouveränität. Aber wer das nicht will, kann weiter seine Daten bei jedem Vorgang erneut angeben.

Die Datenschutzgrundverordnung führt bei allen Unternehmen, aber vor allem im Mittelstand, zu erheblichem zusätzlichen bürokratischen Aufwand und großem Unmut. Kann man da noch was korrigieren?

Gesetze sollen das Zusammenleben der Menschen besser machen. Jetzt führen wir die Verordnung erst einmal ein. Sollten wir Schwächen oder Verbesserungspotenzial feststellen, müssen wir da rangehen.

Gleichzeitig wird in Brüssel die E-Privacy-Verordnung debattiert. Die derzeitigen Entwürfe würden es Verlagen und Webseiten-Betreibern erschweren, ihre kostenlosen Seiten mit Werbung zu finanzieren. Wie wollen Sie das verhindern?

Indem wir uns in Brüssel dafür einsetzen, dass wir keine Verordnung schaffen, die die Vorherrschaft der großen – in der Regel amerikanischen – Plattformen noch weiter verfestigt. Deutschland ist ja in der Europäischen Union nicht ohne Einfluss.

Digitalisierung bedeutet Veränderung. Veränderung ist aber anstrengend. Wie können wir Menschen motivieren, Digitalisierung positiver zu sehen?

Anstrengungen nimmt man auf sich, wenn man ein Ziel vor Augen hat. Ich klettere auf den Berg, um am Ende auf dem Gipfel zu stehen. Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern so ein Ziel aufzeigen. Nämlich dass die Digitalisierung ihr Leben besser macht, dass es unseren Kindern besser gehen wird, wenn wir hier erfolgreich sind.

Viele haben aber auch einfach Angst, dass sie die Neuerungen nicht mehr verstehen, dass sie ihre Jobs verlieren. Was sagen Sie denen?

Denen müssen wir helfen zu verstehen, was das Neue ist. Da hilft kein Expertentum mit technischer Fachsprache, wir müssen den Wandel in allgemeinverständliche Worte fassen. Und wir müssen ihnen helfen, sich weiter zu qualifizieren. Es fallen durch die Digitalisierung ja erst einmal einzelne Tätigkeiten weg. Ob der Job auch wegfällt, hängt davon ab, ob er Tätigkeiten enthält, die nicht digitalisierbar sind oder wo das gar nicht wünschenswert ist.

Brot wird auch in der Digitalisierung aus Mehl gemacht, Wasserrohre aus Metall oder Kunststoff. Warum sollten sich klassische Mittelständler wie Bäcker oder Heizungsinstallateure um Digitalisierung kümmern?

Vielleicht will der Bäcker sein fantastisches Brot ja nicht nur in der Nachbarschaft verkaufen? Wäre dann ein Onlineshop eine Lösung? Oder vielleicht will er die Kundenzahlen hochschrauben durch entsprechende Aktivitäten in sozialen Netzwerken? Und der Heizungsinstallateur ist sogar zwingend darauf angewiesen. Künftig wird die Heizung ja Teil des Smart Home. Und vielleicht sollte er mit dem Elektroinstallateur nebenan kooperieren und Systemlösungen von der smarten Heizung über steuerbare Beleuchtung bis zur Wallbox für das Laden des Elektroautos anbieten?

Wagen Sie doch mal eine Prognose: Wo wird Deutschland 2021 digitaler sein als heute?

Mein größter Wunsch ist, dass die Antwort vor allem lautet: In der Bildung! Sonst versündigen wir uns an unseren Kindern, die ganz selbstverständlich in eine digitale Welt hineinwachsen. Aber auch in der persönlichen Mobilität wird es gerade im städtischen Bereich Standard sein, digital optimierte Reiseketten zu nutzen. „Mobility as a Service“ kommt massiv. Im Bereich eHealth werden wir riesige Fortschritte erleben. Die Generation der „Silver Surfer“ wird sich den Gebrechen des Alters nicht ergeben und massiv die neuen Technologien nutzen, wenn sie die Lebensqualität erhöhen. Dagegen werden die jungen Arbeitnehmer massiv auf den Einsatz von Technologien zum mobilen Arbeiten drängen, wenn die Familiengründung ansteht. Die Arbeitswelt wird digitaler, flexibler, vielgestaltiger. Bei der Verwaltung werden die ersten großen Projekte laufen, die dann plötzlich schnell normal werden, so wie heute die Steuererklärung über ELSTER schon immer dagewesen zu sein scheint. Und dazu werden Bereiche kommen, die uns jetzt noch gar nicht einfallen.

Ok, dann verabreden wir uns jetzt schon mal für 2021 für ein Interview, um das zu überprüfen. Frau Bär, zum Schluss noch eine Satzvervollständigung: Ganz sicher niemals digital wird…

… das, was uns als Menschen ausmacht, Taufe, Hochzeit, Geburtstag. Das Bedürfnis nach Bindung, Heimat und Gemeinschaft bleibt und wird im digitalen Zeitalter noch viel wichtiger.

Dorothee Bär (40) ist Deutschlands erste Staatsministerin für Digitales. Das Amt ist im Bundeskanzleramt angesiedelt und bekommt einen eigenen Arbeitsstab. Die Diplom-Politologin gehört seit 2002 dem Deutschen Bundestag an. 2013 wurde sie zur Parlamentarischen Staatssekretärin beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur ernannt. Bär ist stellvertretende Vorsitzende der CSU. Sie ist verheiratet und Mutter zweier Töchter und eines Sohnes.

Das Interview erscheint in der Ausgabe 02-2018 des Mittelstandsmagazins.