Der Mittelstand hat in der Ampel keine Stimme

Datum des Artikels 03.02.2023
MittelstandsMagazin

Der Mittelstand ist das Rückgrat unserer Wirtschaft. Aber in allen Entlastungspaketen der Bundesregierung wurden die Betriebe bisher nicht berücksichtigt. Dabei geraten wegen der gestiegenen Energiepreise viele Betriebe ins Straucheln.

Energiekrise, Inflation, Fachkräftemangel – die Probleme, mit denen sich die rund 3,6 Millionen Unternehmen gerade herumschlagen, sind vielfältig. 98 Prozent der Betriebe zählen zum Mittelstand. Die Mittelständler haben den guten Ruf der Marke „Made in Germany“ geprägt: Fest verwurzelt in ihrer Heimat, ein sicherer Arbeitgeber seit Generationen, Nachhaltigkeit als Teil der Unternehmens-DNA. Eigentlich sollten genau das die Unternehmen sein, die
der Politik besonders am Herzen liegen. Gerade solche Unternehmen sollten gezielt unterstützt und ihre Besonderheiten berücksichtigt werden. Doch bei den drei Hilfspaketen der Ampel ging der Mittelstand weitgehend leer aus. Das Ganze ist umso erstaunlicher, da es auch in der aktuellen Ampel in guter Tradition einen Mittelstandsbeauftragten gibt. Die
Wirtschaftswoche schrieb im Februar über den Grünen Michael Kellner, er fremdle noch mit seiner Rolle. Besuchte man Ende November die Website des „Mittelstandsbeauftragten“ beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), verbesserte sich der Eindruck nicht. Sie ist verwaist. Auf der Themenseite der BMWK-Website mit dem Titel „Europäische Mittelstandspolitik“: Null Einträge seit dem Amtsantritt der Ampel. Bei der Themenseite „Mittelstandspolitik“ gibt es immerhin 14 Einträge, die Hälfte davon sind allerdings Anfragen oder schriftliche Fragen der Opposition.
Trotz der historischen Krise, vor der der Mittelstand steht, nahm Kellner im Oktober eine zusätzliche Position an. Bundeswirtschaftsministerium und die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien hatten sich darauf verständigt, dass Kellner Ansprechpartner für die Kultur- und Kreativbranche sein soll. Ist der Mittelstand für die Ampel nur ein Nebenschauplatz? Fest steht: Gerade jetzt braucht der Mittelstand einen Beauftragten, der mit vollem Einsatz zielgerichtete Unterstützungsmaßnahmen und Entlastungen für seine Zielgruppe auf den Weg bringt.
Auch Albrecht von der Hagen, Hauptgeschäftsführer des Verbands DIE FAMILIENUNTERNEHMER, bestätigt diesen Eindruck: „Die Koalition hangelt sich in ihrer Mittelstandspolitik von einer Ankündigung zur nächsten. Die konkrete und zielgerichtete Umsetzung verzögert die Regierung jedoch in immer mehr Feldern. Der grüne Mittelstandsbeauftragte Michael Kellner hat Anfang des Jahres zugesichert, Unternehmen auch künftig nicht im Stich zu lassen. Mit den ersten beiden Entlastungspaketen wurden im Wesentlichen jedoch nur staatliche Hilfen mit der Gießkanne an die Bevölkerung ausgeschüttet. Der Mittelstand wartet derweil noch immer auf das Gros der ihn betreffenden Entlastungen.“ Er fragt: „Wo bleiben die laut Eigenlob der Bundesregierung, beispiellosen Unterstützungs- und Entlastungsmaßnahmen besonders auch für Unternehmen‘?“
Denn die Zahlen sind alarmierend. Gesamtwirtschaftlich bewegt sich Deutschland in schwierigem Fahrwasser. Der Sachverständigenrat erwartet in seinem Anfang November vorgestellten Jahresgutachten, dass das reale Bruttoinlandsprodukt hierzulande in 2022 um 1,7 Prozent steigt und im Jahr 2023 um 0,2 Prozent zurückgeht. Für die Inflation erwarten die Wirtschaftsweisen Jahresdurchschnittswerte von 8,0 Prozent in diesem Jahr und 7,4 Prozent für das nächste Jahr. Sie warnen, dass selbst diese Prognose mit erheblichen Abwärtsrisiken behaftet sei.
Dass diese Stimmung im Mittelstand längst angekommen ist, bestätigt auch Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter Unternehmenskommunikation und Wirtschaftsforschung beim Verband der Vereine Creditreform. Eine aktuelle Umfrage von Creditreform zeigt, dass die Energiekosten und Inflation derzeit mit Abstand die wichtigsten Themen für den Mittelstand sind. Hantzsch erläutert, dass die Insolvenzzahlen noch nicht so hoch seien, wie manch einer befürchtet habe, denn noch immer verschleiere die zeitweise ausgesetzte Pflicht zum Insolvenzantrag die Situation der Unternehmen. Eine Bonitätsanalyse von Creditreform habe jedoch bereits zum Jahreswechsel 2021/22 deutlich schlechtere Werte gezeigt. Hantzsch prognostiziert: „In Deutschland befinden wir uns trotz einer aktuellen (leichten) Zunahme der Pleitefälle immer noch auf einem niedrigen Niveau. Das wird sich in den kommenden Wochen und Monaten aber ändern.“ Und er merkt an: „Unternehmen mit unrentablen Geschäftsmodellen müssen auch den Weg der Insolvenz beschreiten dürfen, sonst wächst die Zahl der dauerhaft ertragslosen Firmen. Eine auf marktwirtschaftlichen Prinzipien aufgebaute Volkswirtschaft verträgt es nicht, wenn alle Unternehmen auf Teufel komm raus am Leben erhalten werden.“
Dass die Krise kein reines Branchenproblem ist, zeigen neben den historisch schlechten gesamtwirtschaftlichen Kennzahlen auch die bisherigen Einsendungen zu der von der MIT im Herbst ins Leben gerufenen Aktion „Mittelstand retten jetzt“ (Infokasten Seite 13).
Eines der betroffenen Unternehmen gehört Michael Döppner. Er ist Geschäftsführer der Leopold Feuerstein Holztechnik GmbH. Das Unternehmen wurde 1898 gegründet. Döppner führt es heute als Ur-Enkel des Gründers in vierter Generation. Er sagt: „Die Energiekrise belastet uns stark. Der Arbeitspreis unseres Stromanbieters wird sich von ca. 14 Cent pro kWh auf ca. 62 Cent pro kWh erhöhen.“ Ein Preisanstieg von etwa 500 Prozent. Das Unternehmen arbeitet mit Holz und ist spezialisiert auf den Holztreppenbau sowie den Bau von Sicherheitsfenstern und -türen aus Holz und Aluminium. Es beschäftigt mehr als 40 Mitarbeiter. Wie der Geschäftsführer mit dem Preisanstieg umgeht, ist noch unklar. „Einen Teil werden wir weitergeben können, den Rest muss das Unternehmen tragen.“ Döppner fordert endlich Lösungen von der Politik. Er wünscht sich, dass das Energieangebot erweitert und vollumfänglich ausgeschöpft wird. 
Familienunternehmen wie das von Döppner gibt es viele. Laut dem Institut für Mittelstandsforschung in Bonn sind 93,6 Prozent aller 3,6 Millionen Unternehmen Familienunternehmen. Hauptgeschäftsführer von der Hagen sieht bei den Energiepreisen ebenfalls weiterhin viel Handlungsbedarf. Er sagt: „Bei der Strom- und Gaspreisbremse soll es eine Härtefallregelung für besonders betroffene kleine und mittlere Unternehmen geben. Fast möchte man loben, immerhin habe die Regierung darauf geachtet, dass niemand von ihr zu viel Urlaub ins nächste Jahr überträgt.“
Unmut gibt es in allen Branchen. Selbst im Gesundheitsbereich gerät vieles in Wanken. So berichtet Physiotherapeut Ulrich Pohl aus Frankfurt am Main mit Blick auf die Regelungen zur Raumtemperatur: „Die derzeitige Energiekrise kostet meine Praxis viel Geld. Eine Raumtemperatur von 18 Grad ist für uns absolut unzureichend. Nötig sind stattdessen 22 bis 23 Grad.“ Zusätzlich blickt er auch wegen des Fachkräftemangels besorgt in die Zukunft seiner seit über 30 Jahren bestehenden Praxis. Ähnlich ergeht es Dr. Stefanie Ullrich-Colaiacomo, die Ärztin in einer Praxisgemeinschaft in Baden-Württemberg ist. „Der Versorgungsaufwand und damit der Frust in den Praxen ist geradezu explodiert.“ Zu den dramatisch gestiegenen Energiepreisen käme auch noch das Milliarden-Loch bei den Krankenkassen. Es drohten reale Einkommensverluste im deutlich zweistelligen Bereich, teilweise bis zu 20 Prozent. Die Hausärztin warnt vor dem Ende eigentümergeführter Praxen mit freiberuflichen Ärzten und macht auf ein weiteres Problem aufmerksam: „Ohne finanzielle Ressourcen gibt es keine Digitalisierung und Umsetzung von Innovationen in den Praxen. Dies gefährdet die qualitativ hochwertige Patientenversorgung.“
Vor allem die zahlreichen Handwerksbetriebe müssen derzeit an allen Fronten kämpfen. Neben den Bäckereien, die seit dem Sommer ihre Lage sichtbar und laut öffentlich machten, sind auch andere Innungen betroffen, bspw. Dachdecker und Fleischer. Stellvertretend für einen der ca. 10.000 Fleischereibetriebe in Deutschland steht Fleischermeisterin Nora Seitz aus Sachsen, die zusammen mit ihrer Mutter die fast 100 Jahre alte Familienfleischerei führt. Seitz ist auch Mitglied des Präsidiums des Deutschen Fleischer-Verbandes und berichtet über die schlechte Stimmung in der Branche. Sie kritisiert, dass die Mittelstandspolitik der Ampel bisher wenig nachvollziehbar ist: „Die Ampel kommt ihrer Führungsrolle nicht nach. Viele ihrer Aktionen waren nicht mit Fakten hinterlegt oder entsprachen der Expertenmeinung. Nach diesem Hin und Her der Regierung – Stichwort Gasumlage – kamen dann die Briefe von den Energieversorgern. Und wir mussten mit Mondpreisen kämpfen.“ Besonders im Lebensmittelhandwerk sei die Situation dramatisch, die Corona-Krise beispielsweise die Partyservice-Angebote komplett zum Erliegen gebracht habe. Das Branchen-Sterben beschleunigte sich. Seitz erläutert: „Was nun passiert, ist beispiellos. Wir verlieren schon jetzt Kollegen, die sicher noch die Anstrengungen einer Nachfolgersuche unternommen hätten und uns noch ein paar Jahre erhalten geblieben wären. Diese gehen jetzt einfach vom Markt. Und das dauerhaft.“ Ähnlich wie auch die Familienunternehmer ruft das Handwerk nach Steuersenkungen und finanziellen Überbrückungshilfen, falls die Gas- und Strompreisbremse tatsächlich erst ab März Geld in die Kassen vieler Betriebe spült. Zudem fordert sie auch die Einführung eines Härtefallfonds für besonders bedrohte Kleinst- und Kleinbetriebe.
Insgesamt lässt sich also erkennen, dass die Zeit von Branchenlösungen vorbei ist. Stattdessen wird der Ruf nach strukturellen Entlastungen deutlich. Bereits im September kritisierte die Bundesvorsitzende der Mittelstands-und Wirtschaftsunion, Gitta Connemann genau das auch am dritten Entlastungspaket und bezeichnete dieses als „Unterlassungspaket“. Die Ampel habe erneut keine strukturelle Entlastung für kleine und mittlere Betriebe vorgesehen. Die Kritik ist immer noch aktuell.
hen. Die Kritik ist immer noch aktuell.
Der Wirtschaftsexperte Hantzsch von Creditreform sieht ebenfalls dringenden Handlungsbedarf, um die wirtschaftliche Lage der Unternehmen zu stabilisieren, und warnt vor Liquiditätsengpässen: „Anhand unseres Debitorenregisters Deutschland (DRD) können wir deutlich sehen, dass sich die Zahlungsmoral kontinuierlich verschlechtert. Dabei ist es egal, ob Kleinunternehmen, Mittelständler oder Großkonzern. Unternehmen aller Größenklassen lassen ihre Kreditgeber zuletzt länger und über das gesetzte Zahlungsziel hinaus auf den Geldeingang warten.“ Und er warnt: „Zur Wahrheit gehört aber auch, dass viele der Mehrkosten die Unternehmen und Verbraucher noch gar nicht erreicht haben. Noch lange sind nicht alle Nebenkostenabrechnungen verschickt, und viele Unternehmen werden Probleme haben, neue Energieverträge abzuschließen.“
Eine einfache Lösung, die die Mittelstands- und Wirtschaftsunion seit Beginn der Krise fordert, wäre die Einführung eines sogenannten Belastungsmoratoriums. Ganz konkret soll dies bedeuten, dass für den Zeitraum der Krise keine zusätzlichen Belastungen auf die Unternehmen zukommen. MIT-Chefin Connemann erklärt dazu: „Die Bundesregierung muss die Notbremse gegen zusätzliche Belastungen für die Wirtschaft ziehen. Jede weitere Bürokratie oder finanzielle Last schadet Unternehmen und ihren Beschäftigten. Jetzt ist nicht die Zeit für Ideologie, sondern für Planungssicherheit und Entlastung statt Belastung.“ Zwar hat Finanzminister Christian Lindner (FDP) für die Bundesregierung ein solches Moratorium im Herbst angekündigt, wie dieses aber aussehen soll und welche Gesetze konkret darunter fallen könnten, ist weiter unklar.
Gleichzeitig wird die Liste an zusätzlicher Bürokratie und Extra-Regulierungen, für die Wirtschaft lang und länger. Im Fokus der Kritik stehen das nationale Lieferkettengesetz und die Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung, die Brüsseler Taxonomie und das europäische Lieferkettengesetz. Auch auf EU-Ebene soll es eine Art Belastungsmoratorium geben. In Straßburg stimmte auf Initiative der EVP eine Mehrheit der Abgeordneten einem solchen Antrag zu. Auch hier gibt es schon länger Handlungsbedarf. Laut einer internen Abfrage der MIT unter den Hauptgeschäftsführern verschiedenster Verbände in Berlin hat sich die Anzahl der belastenden Regulierungen aus Brüssel im Vergleich zum März bis in diesen Herbst noch weiter erhöht. Von Moratorium also bisher keine Spur. Kein Wunder also, dass die Ausgestaltung eines solchen Instruments auch in Brüssel hoch umstritten ist und intensiv diskutiert wird. Interessant ist außerdem: In der Europäischen Kommission hat der Mittelstand unter Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen allem Anschein nach an Einfluss verloren. So gibt es keinen zentralen Ansprechpartner und damit quasi keinen Advokaten für die Belange des Mittelstandes. Aufgrund der Krise wäre das aber dringend notwendig. Der Mittelstand braucht echte Kämpfer für seine Belange. Das Rückgrat der deutschen Wirtschaft darf keine ernsthaften Risse bekommen. Dafür braucht es vollen Einsatz, sowohl in Berlin als auch in Brüssel. Doch aktuell hat der Mittelstand keine Stimme in der Regierung.